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Der 1. September 1941: Juden müssen den Gelben Stern tragen

In den Jahren zwischen der „Reichskristallnacht“ im November 1938 und den ersten Deportationen im Oktober 1941 wurde die jüdische Bevölkerung Schritt für Schritt aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen, gedemütigt und beraubt. Nach der „Kristallnacht“ saßen in den Konzentrationslagern Sachsenhausen, Buchenwald und Dachau knapp 30.000 „Novemberjuden“, wie sie sich selbst nannten, ein.

Ihre Entlassung hing zumeist von gültigen Auswanderungspapieren ab. So standen Ehefrauen und Familienangehörige tagelang vor ausländischen Botschaften und den wenigen geöffneten Büros der jüdischen Organisationen, um Einreisegenehmigungen oder Transitvisa zu bekommen, die sie der örtlichen GESTAPO vorlegen mussten. Die meisten Freigelassenen, schriftlich zum Schweigen über ihre Zeit in den Lagern gezwungen, wickelten ihre geschäftlichen Angelegenheiten so schnell wie irgend möglich ab und flüchteten aus Nazideutschland. Der Schock, wie Kriminelle festgenommen zu werden, gekoppelt mit der Erfahrung, rechtlos und physisch ausgeliefert zu sein, hatte die überwiegend gutbürgerlichen Juden ins Herz getroffen. Ihre Organisationen konnten ihnen kaum helfen, teils waren sie handlungsunfähig, teils verboten. Im Jahre 1939 schuf der Nazistaat, in dem die mörderische SS nun die Federführung in der „Judenpolitik“ übernommen hatte, die „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland.“

An ihrer Spitze wirkten altbekannte jüdische Repräsentanten wie Leo Baeck, Otto Hirsch oder Paul Eppstein. Doch der neu geschaffene Verband unterstnad dem Reichssicherheitshauptamt und alle deutschen Juden – ausgenommen die in Mischehe lebenden – gehörten ihm zwangsweise an. Nach demselben Muster wurden jüdische Zentralorganisationen in Österreich und dem Sudetenland eingerichtet. N o c h verfolgte das Nazi-Regime eine Politik der Vertreibung der Juden, und so oblag auch der Reichsvereinigung als Hauptaufgabe die „Förderung der Auswanderung“. Da die rund 295.000 Personen zählende jüdische Minderheit im „altreich“ stark überaltert war und Behinderte oder Kranke das Land nicht verlassen konnten, hatte sie zudem deren Versorgung zu übernehmen, denn staatliche Leistungen erhielten Juden nicht mehr. Die nicht Emigrierten mussten der Reichsvereinigung hohe Abgaben für diese Arbeit entrichten. Im April 1939 verloren sie den Mieterschutz. In der Folgezeit mussten die Bezirksstellen der Reichsvereinigung „Judenhäuser“ einrichten. Manche Städte wie Köln oder München ließen Barackenlager für Juden bauen.

Die staatliche Ausplünderung jedoch ging weiter: Wohlhabende Juden erhielten Bescheide über die Höhe ihrer „Sühneleistung“, mit der Göring schließlich mehr als 1,1 Milliarden Reichsmark für die Staatskasse eintrieb. Währenddessen steuerte Hitlers Außenpolitik auf einen Krieg zu. Lautstark lastete er „den Juden“ am 30. Januar 1939 vorab die Schuld daran an und drohte: „Wenn es dem internationalen Finanzjudentum innerhalb und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.“

"National Zeitung", Ausgabe von Samstag, 20. September 1941 und ein Plakat. Fotos: Archiv/RvAmeln

„National Zeitung“, Ausgabe von Samstag, 20. September 1941 und ein Plakat. Fotos: Archiv/RvAmeln

Mittlerweile flohen alle Juden, die irgendwie konnten, aus dem Land. Die Weltöffentlichkeit verfolgte das Flüchtlingsdrama, als das Passagierschiff „St. Lois“, mit mehr als 900 Passagieren im Mai aus Hamburg ausgelaufen, in Kuba nicht anlanden durfte und auch die Vereinigten Staaten von Amerika es abwiesen. Die jüdischen Flüchtlinge drohten mit Massenselbstmord, wenn sie nach Deutschland zurück müssten. Schließlich konnten sie im Juni 1939 in Antwerpen von Bord gehen. Der Beginn des Zweiten Weltkrieges verschlechterte die Situation der deutschen Juden noch einmal dramatisch: Die letzten Aufnahmeländer schlossen die Tore und Transitwege wurden unsicher. Kindertransporte, mit denen 10.000 Kinder nach England ausgereist waren, konnten nicht fortgesetzt werden. Bereits genehmigte Auswanderungsvorhaben stockten, Schiffe liefen nicht aus, Container mit Umzugsgut stapelten sich in deutschen Häfen. Immer weniger Emigrationsziele standen offen, bis nur noch der Landweg nach Shanghai bleib.

Die Reichsvereinigung hoffte noch, Gruppenauswanderungen organisieren zu können, die jedoch kaum zustande kamen. In Hitlers „Großdeutschem Reich“ unterlagen Juden jetzt einer nächtlichen Ausgangssperre, mussten in speziell eingerichteten „Judenläden“ zu knapp bemessenen Zeiten einkaufen, Rundfunkgeräte abgeben, sie erhielten reduzierte Lebensmittel- und keine Kleiderkarten oder wurden zur Zwangsarbeit verpflichtet, um nur einige Beispiele aufzuzählen. Mehrere tausend polnische Juden, die sich noch im Lande befanden, wurden in die Konzentrationslager deportiert. Zudem heizte das Propagandaministerium unter Goebbels Leitung die antijüdische Stimmung in der deutschen Bevölkerung an, die auf fruchtbaren Boden fiel: Der Film „Jud Süß“ feierte im September 1940 in Berlin Premiere. Er wurde in den folgenden Monaten in allen Kinos vorgeführt und gehörte im Winter 1940/41 zum Pflichtprogramm aller Angehörigen der Polizei im Reich. 1939/1940 hatte das NS-Regime bereits tausende Geisteskranke im Rahmen der so genannten Euthanasie getötet, darunter auch Juden.

Im Sommer 1940 wurden nun gezielt jüdische „Patienten“ in Sammeltransporten in die fiktive Anstalt Cholm verlegt, tatsächlich aber ermordet. Das Nazi-Regime machte überdies Geschäfte mit dem Mord: Die Reichsvereinigung erhielt Kostenbescheide für Unterbringung und Verpflegung der längst Umgebrachten, die sich bis März 1941 auf rund eine halbe Million Reichsmark für 1.100 „Patienten“ beliefen. Im Jahre 1940 gerieten durch den Einmarsch deutscher Truppen in die westlichen Nachbarländer Holland, Belgien, Luxemburg und Teile Frankreichs neben den einheimischen auch die dorthin geflüchteten deutschen Juden wieder in den Einflussbereich des Nazistaates, der sie umgehend antijüdischen Maßnahmen unterwarf und sie internierte. 1940/41 alarmierten erste Deportationen die deutschen Juden. Aus vorgeblich militärischen oder siedlungspolitischen Gründen wurden etwa 1.000 Stettiner und 160 Schneidemühler Juden im Februar und März in den Distrikt Lublin, in das so genannte „General-Gouvernement“ transportiert, 6.500 badische und pfälzische im Oktober 1940 nach Gurs im unbesetzten Teil Frankreichs, 400 Danziger im Februar 1941 und knapp 1.600 Wiener Juden im Februar und März 1941 wiederum nach Lublin.

Dies geschah teilweise im Vorgriff auf neue Planungen der Machthaber, die nach den erfolgreichen Ost- und Westfeldzügen die Judenpolitik der „forcierten Emigration“ durch „territoriale Lösungen“ ersetzen wollten. Juden sollten an die Peripherie abgeschoben werden, beispielsweise könnte der Distrikt Lublin – so die Gedankenspiele im Reichssicherheitshauptamt – 300.000 deutsche und österreichische Juden aufnehmen. Der Plan wurde gestoppt, vermutlich weil die Umsiedlung der Baltendeutschen Vorrang hatte. Im Mai 1940 veranlasste der schnelle Sieg über Frankreich das Auswärtige Amt und das Reichssicherheitshauptamt, parallel Planungen für eine „Ansiedlung“ von Juden auf der Insel Madagaskar zu entwickeln. 4,9 Millionen europäische und 1,6 Millionen Juden aus anderen Teilen der Welt sollten dort in einem Polizeistaat unter deutscher Aufsicht leben, so hoffte das Auswärtige Amt. Adolf Eichmanns Konzept für das Reichssicherheitshauptamt schloss vier Millionen europäischer Juden ein.

Der Verlauf des Krieges zerschlug jedoch die utopischen Pläne, die allesamt den Tod der „Umgesiedelten“ in Kauf genommen hätten. Am 1. September 1941 erließ das Innenministerium die Richtlinien für die Kennzeichnung; – so mussten Juden ab 15. September den „Stern“ tragen. Zugleich erging das Verbot, ohne Genehmigung den Wohnort zu verlassen oder öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen und der Kulturbund musste die Arbeit einstellen. Es oblag der Reichsvereinigung, ihren Mitgliedern die Sterne für 10 Reichspfennig pro Stück zu verkaufen und die Rechnung der Herstellerfirma Geitel & Co. zu begleichen.

Die Auswanderung wurde im Oktober 1941 verboten. Von November 1938 bis zu diesem Zeitpunkt waren rund 100.000 Juden aus Deutschland geflüchtet, mehr als 20.000 jedoch bereits deportiert worden. Für die verbliebenen Juden planten die Nazi-Verbrecher nun Großdeportationen „in den Osten!“

Von Rolf von Ameln

Redaktion Israel-Nachrichten.org

 

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Von am 04/12/2014. Abgelegt unter Spiegel der Zeit. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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