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Der Mord an den sowjetischen Psychiatriepatienten: Die hilflosesten Opfer

Genau zu dem Zeitpunkt, als im August des Jahres 1941 die Mordaktion an den psychisch Kranken im Deutschen Reich vorläufig abgebrochen wurde, begann die Tötung von Insassen der Psychiatrie in der von der „Großdeutschen Wehrmacht“ besetzten Teilen der Sowjetunion – ein bis heute weitgehend unbekannt gebliebenes Verbrechen.

Der Massenmord der Nazis an den psychisch Kranken war eines der ersten und brutalsten Verbrechen Hitlers und seiner Schergen, richtete er sich doch gegen die hilflosesten Opfer. Von Beginn des Jahres 1940 an überprüften Ärzteteams die Insassen der psychiatrischen Anstalten im Reich und entschieden darüber, wer am Leben bleiben durfte und wer zur Ermordung vorgesehen war. Anschließend transportierte man die ausgesuchten Opfer in den berüchtigten grauen Bussen zu einer der sechs Mordanstalten, wo sie im Giftgas erstickt wurden. Diese Verbrechen wurden relativ bald in der Bevölkerung bekannt und sorgten für Unruhe und Proteste. Als der Bischof von Münster, Clemens von Galen, die Morde in seinen Predigten öffentlich anprangerte, fühlte sich das Nazi-Regime herausgefordert.

Angesichts der Verzögerungen im gerade begonnenen Krieg gegen die Sowjetunion wollte Hitler die Bevölkerung nicht noch weiter verunsichern und ließ ab dem 23. August 1941 den Massenmord an den Patienten im Reich erst einmal stoppen. Dies ist allerdings weithin bekannt. Weniger weiß man jedoch über die Massaker an den Psychiatriepatienten in den besetzten sowjetischen Gebieten, die fast zur gleichen Zeit begannen. Von einem Stopp der Krankenmorde konnte also überhaupt nicht die Rede sein, sondern vielmehr von ihrer Aussetzung und Verlagerung. Schon kurz nach dem Einmarsch der Wehrmacht wurden im Juli 1941 im lettischen Daugavpils und in Choroszcz bei Bialystok die Patienten aus ihren Anstalten vertrieben und notdürftig untergebracht. In der letzten Augustwoche, also genau nach Hitlers vermeintlichen „Stopp-Befehl“, begannen die Massaker an diesen hilflosen Menschen. Im Krieg gegen Sowjetrussland waren es aber nicht zentrale Entscheidungen und besondere Organisationen, die für diese Verbrechen verantwortlich zeichneten, sondern sie beruhten auf den Initiativen einzelner deutscher Militärs und Besatzungsfunktionäre.

Auch wurden hier nicht theoretische Diskussionen um Eugenik geführt oder Untersuchungen an den Patienten vorgenommen. Vielmehr hing die Vorgehensweise schlichtweg davon ab, wer nach der Eroberung einer Stadt als erster auf eine psychiatrische Anstalt traf. Meist unternahmen Offiziere der Wehrmacht erste Inspektionen, oft auch Militärärzte, die nach Räumlichkeiten für neue Lazarette suchten. Nicht selten meldeten sie dies an vorgesetzten Stellen, und nicht selten entschieden diese dann, dass die Patienten nicht weggesachickt, sondern sofort ermordet werden sollten. Diesen „schmutzigen Job“ delegierte man an die SS- und Polizeieinheiten, etwa die Einsatzgruppen. So teilte das Oberkommando der 3. Panzerarmee im Juni 1942 mit: „Dem Panzer-AOK. 3 wurde Meldung erstattet. Es ordnete die Beseitigung der Krüppel an und beauftragte damit das Kommando der Sicherheitspolizei und des SD. in Wjasma. Die Durchführung des Befehls erfolgte am 13. und 14.Juni.“

113 Behinderte wurden erschossen. Gelegentlich „kümmerte“ sich die Einsatzgruppe von sich aus um die Anstalten. Freilich wurde diese Politik auch in den Zentralen des Reiches diskutiert. So vermerkte der Chef des Generalstabes Halder zu einer Debatte über das Schicksal psychisch Kranker in Nowgorod, im Gebiet der Heeresgruppe Nord: „Irrenanstalten bei Nord. russen sehen Geistesschwache als heilig an. Trotzdem Tötung notwendig.“ In einem anderen Fall wurden sogar „Mordspezialisten“ aus dem besetzten Polen angefordert, das Sonderkommando Lange, das dort ebenfalls Psychiatriepatienten umgebracht hatte und bald danach das Vernichtungslager Kulmhof errichtete. Die Motive der Mordgesellen lagen auf der Hand: Man war es inzwischen gewohnt, behinderte Menschen als minderwertig oder gar „lebensunwert“ zu betrachten. In den besetzten Gebieten waren die Verantwortlichen nicht gewillt, diese Menschen zu verpflegen, wo ohnehin schon eine generelle Hungerpolitik gegen die Einheimischen ins Auge gefasst wurde.

Wollte die Wehrmacht nun die Gebäude der Anstalten übernehmen, so war die Schwelle zum Massenmord denkbar niedrig. Besonders hemmungslos zeigten sich die Täter, wenn Psychiatriepatienten in den Wirren der Kriegsereignisse aus ihren Anstalten geflüchtet waren und umherirrten. Mancher Offizier fantasierte sogar, die Rote Armee habe Geisteskranke absichtlich aus einer Anstalt entlassen, damit diese später Sabotage begehen würden..! Die Massenmorde an den Insassen der Anstalten spielten sich unter denkbar grausamsten Umständen ab: Meist wurden sie, wie auch die Juden vor Ort, an vorbereiteten Gruben erschossen. Nicht selten setzte die deutsche Polizei dazu auch sogenannte Gaswagen ein, umgebaute Lastkraftwagen, in deren Laderaum die Abgase geleitet wurden. So ermordete das Sonderkommando 10a etwa Kinder aus einem Heim in der Stadt Jeisk am Schwarzen Meer.

Eine Pflegerin sagte dazu nach dem Krieg aus: „Da es geistig zurückgebliebene Kinder waren, vertrauten sie leichtgläubig dem Dolmetscher Böhm, gingen zum Auto und stiegen selbständig ein. Andere Kinder, die geistig besser entwickelt waren, haben jedoch verstanden, dass ihnen etwas Böses drohte, und versuchten wegzulaufen. Einigen von ihnen ist es gelungen, die anderen wurden von den deutschen Soldaten geschnappt und mit Gewalt in das Auto hineingeworfen..!“ Kurz darauf waren sie tot. In einigen Städten wurde das einheimische Pflegepersonal sogar gezwungen, den eigenen Patienten Giftspritzen zur Ermordung zu verabreichen. Und zahlreiche Patienten starben langsam, weil sie schlichtweg nicht mehr mit Lebensmitteln versorgt wurden. Ähnlich wie im Reich probierten die Täter an Geisteskranken zuerst aus, wie man Menschen in Massen ermorden konnte, ohne dass deutsche Mordschützen ihnen Auge in Auge gegenüberstehen mussten.

So unternahm die Einsatzgruppe B unter ihrem Leiter, dem Chef der deutschen Kriminalpolizei Arthur Nebe, grauenhafte „Tötungsversuche“. Dabei wurde zunächst versucht, Geisteskranke mit Sprengstoff zu ermorden. Anschließend richteten die Polizisten eine provisorische Gaskammer in Nowinki bei Mogilew ein, an die sie die Auspuffe zweier Autos anschlossen. Diese Aktion ließ Nebe sogar filmen, ein Dokument, das sich bis heute teilweise erhalten hat. Noch mehr als beim Mord an den Juden trägt die Wehrmacht Verantwortung für diese Verbrechen. Freilich entschieden auch hier fast immer die Generäle, gelegentlich auch Offiziere über Leben und Tod. Und nicht alle Verantwortlichen, etwa Militärmediziner, haben mörderisch gehandelt; einige wenige retteten auch die Patienten vor dem Todesurteil. So sind etwa im besetzten Estland nur wenige Insassen gestorben. Wir wissen bis zum heutigen Tage nicht, wie viele Patienten diesen Massenmorden zum Opfer gefallen sind, zu wenige Quellen sind erhalten geblieben, zu wenig hat sich die Geschichtsforschung bislang darum gekümmert.

Es ist jedoch bekannt, dass psychisch Kranke im übrigen besetzten Europa direkt ermordet wurden, wie es etwa in Polen geschah, oder dass sie dem langsamen Hungertod preisgegeben wurden, zum Beispiel im Vichy-Frankreich. Nahezu alle Nazi-Verbrechen richteten sich nicht nur gegen Deutsche, sondern meist in weit größerem Ausmaß gegen Ausländer – wie auch heute im Jahre 2015!!

Von Rolf von Ameln

Redaktion Israel-Nachrichten.org

 

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Von am 07/05/2015. Abgelegt unter Spiegel der Zeit. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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