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Volksfeinde in Nazideutschland: Der Verfolgungswahn von Himmlers Schutz-Staffeln

In keinem anderen faschistischen Staat errang die Bekämpfung der Homosexualität einen so herausragend politischen Stellenwert wie im „Dritten Reich“. Das Thema Homosexualität war ab dem Jahre 1932 in der NSDAP und ihrer Propaganda tabu. Peinliches Schweigen herrschte, als der Chef der SA, Ernst Röhm, und weitere SA-Führer von der linken Presse als Homosexuelle geoutet wurden. Ungeachtet dessen bildete diese Pressekampagne der Jahre 1931/32 den Beginn einer Kette verhängnisvollen Entwicklungen. Das Wissen um die sexuelle Orientierung des obersten Führers der SA wirkte trotz seiner offenkundiger Erfolge – Röhm machte in dieser Zeit die SA zu einer Massenbewegung – wie ein Schwelbrand in den Reihen der homophoben Nazi-Bewegung. Er entzündete sich ein Jahr nach der „Machtergreifung“ in den Rivalitätskämpfen innerhalb der Nazi-Führung bei der Durchsetzung persönlicher Machtansprüche. Beim so genannten „Röhm-Putsch“ am 30. Juni 1934 spielte der Chef der SS, Heinrich Himmler, eine entscheidende Rolle.

Die von ihm geführte SS leitete die Mordaktion an einem Teil der obersten SA-Führung, nachdem sein Sicherheitsdienst zuvor Material gegen die vermeintlichen Umtriebe der SA gesammelt hatte. Bei der Rechtfertigung der Morde wurde auch die Homosexualität der SA-Führer angesprochen und mit dem vermeintlichen Putsch in Zusammenhang gebracht. Himmler konnte so von beidem profitieren. einerseits avancierte er durch die Entmachtung der SA zur mächtigen Schlüsselfigur im Staat der Nazis. Seit Ende 1933 hatte er mit dem schrittweise errichteten, reichseti operierenden Terrorapparat der SS einen Gegenpol zur unberechenbaren wie selbstherrlichen Gewalt der SA geschaffen und sich als zuverlässig disziplinierende Schutzmacht der NSDAP empfohlen. Andererseis wusste er auch das Ausspielen der Homosexualitätsfrage für sich zu nutzen. Die seit langem bekannte Homosexualität Röhms und weiterer SA-Führer wurde zum entscheidenden Baustein einer Verschwörungstheorie, in der Homosexualität mit einem konspirativen illoyalen und staatsgefährdenden Machtanspruch in Zusammenhang gebracht wurde. Himmler behauptete etwa, die NS-Bewegung sei von einem „Staat von Urningen“ – Urninge steht für mönnerliebende Männer, ein Begriff aus dem frühen 19. Jahrhundert – bedroht worden.

Diese Schreckensvision eines von Homosexuellen beherrschten „Dritten Reiches“ ging Hand in Hand mit der nicht minder angstbesetzten Vorstellung, die NS-Bewegung könne durch homosexuelle Umtriebe zersetzt werden. Diese Angst hat Himmler bewusst geschürt und ausgenutzt. Er aktivierte die Verfolgung und radikalisierte das polizeiliche Vorgehen. Mit der schrittweisen Expansion des Himmler´schen Machtbereiches wurde auch die Verfolgung der Homosexuellen ausgeweitet. Im Herbst 1934 bildete er die Zentrale der politischen Polizei, dem Geheimen Staatspolizeiamt in Berlin -GESTAPA-, eine Sonderabteilung zur Säuberung der Parteigliederungen von Homosexuellen. Diese Aufgabenstellung legitimierte Eingriffe in alle Nazi-Verbände und versprach damit einen erheblichen politischen Machtzuwachs. Als Himmler im Jahre 1936 zum Chef der gesamten Polizei aufstieg, weitete er das Verfolgungskonzept aus, um über die Homosexuellenverfolgung auch innerhalb der Kriminalpolizei an Einfluss zu gewinnen.

"Volksblatt" "Ruhrpost" am 16. Januar 1937. Foto: Archiv/RvAmeln

„Volksblatt“ „Ruhrpost“ am 16. Januar 1937. Foto: Archiv/RvAmeln

Wesentliche Impulse zur Intensivierung der Verfolgung kamen aus dem GESTAPA. Nachdem sich die anfängliche Aktion gegen vermeintliche Homosexuelle in NS-Verbänden als Fehlschlag erwiesen hatte, ging das Sonderdezernat in die Offensive. Ab Ende 1934 führten GESTAPA-Streifen und Überfallkommandos, unterstütz durch die SS-Leibstandarte, zahlreiche Razzien in der Homosexuellenszene in Berlin durch. Dies war der erste Schritt zur Ausweitung der Verfolgung. Bis Mitte 1935 verhaftete man bis zu 1000 Verdächtige und internierte sie mehrere Monate lang in Konzentrationslagern. Da sollte der Abschreckung dienen. Mit der Verschärfung des Sonderstrafrechts gegen Homosexuelle 1935 veränderte sich die Strategie der Verfolgung. Weiter gehende Ermittlungen für eine massive Abstrafung durch die Justiz kamen hinzu. Gleichzeitig wurde im September 1935 das Homosexuellendezernat der Berliner Kriminalpolizei von der Berliner Staatspolizeistelle übernommen.

Dies Übernahme sicherte der Gestapo eine kontinuierliche Verfolgung mit kriminalpolizeilicher Kompetenz zu und, befördert durch Gestapo-Methoden der Schutzhaftandrohung und KZ-Einlieferung, einen Radikalisierungsschub in der Ermittlungspraxis. Dieses Berliner „Modell“ wurde zum Vorbild für eine reichsweite Intensivierung zur Verfolgung Homosexueller. Als Himmler 1936 Chef der gesamten Polizei wurde, ließ er Sonderkommandos im ganzen Reich tätig werden, um diese Verfolgungen anzuheizen. Der Einsatz der Sonderkommandos übertrug der Homosexuellenverfolgung im kriminalpolizeilichen Alltag einen staatspolitischen Stellenwert, gab Beispiele für die Ermittlungspraxis und radikale Vorgehensweisen. Reichsweit wurde von 1936 auf 1937 die Zahl der Verfolgten nahezu verdoppelt. Nachdrücklich unterstütze der Chef der deutschen Polizei die Einflussnahme der Gestapo auf die Itensivierung der kriminalpolizeilichen Verfolgung.

Himmler ließ die Leiter der Kripo- und Gestapostellen auf einer gemeinsamen Arbeitstagung im März 1937 ausdrücklich wissen, er werde, „die Tüchtigkeit der Kriminalpolizei in Zukunft nach ihren Erfolgen auf dem Gebiet der Homosexualität und Abtreibung beurteilen.“ Eine auf reichsweite Einflussnahme zieldende Führungsinstitution war bereits im Oktober 1936 auf Anordnung Himmlers geschaffen worden. Die „Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung“ sollte Strategien und Praktiken, Koordination und Verwaltungsaufwand übernehmen und die staatspolitischen Zielstellungen der Homosexuellenverfolgung durchsetzen. Zugleich veränderten sich die Bedrohunsszeanrien und Feindbilder. Aus dem homosexuellen Staatsfeind wurde nun der homosexuelle Volksfeind. Die Homosexuellenverfolgung zielte auf eine „Gesunderhaltung des Volkskörpers..!“ Dieser Wandel entsprach der neuen Gestapo-Konzeption einer „völkischen Polizei“, die ab 1936/37 zu einer generellen Wandlung der Gegnerdefinitionen führte.

Ihr diente im März 1937 auch ein Artikel im „Schwarzen Korps“ mit der Schlagzeile: „Das sind Volksfeinde“. Geistiger Urheber dieses Artikels war offenbar Josef Meisinger, dem das Homosexuellendezernat im Geheimen Staatspolizeiamt und zugleich die Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität unterstanden. Das frühere, „rassenhygienische“ Konzept der Reproduktionssicherung wurde nunmehr überlagert vom Leitbild einer gegenwartsbezogenen Gefährdung der Volksgemeinschaft. Maßstab der Verfolgung bildete die Abschätzung einer auf das Individuum bezogenen Gefährdung der „Volksgemeinschaft“. Im Fokus stand die Unterscheidung zwischen gefährlichen Verführern, die angeblich eine „seuchenartige“ Verbreitung der Homosexualität bewirkten, und den vermeintlich Verführten. Während die einen unschädlich gemacht werden sollten, erhielten die anderen die chance zur Resozialisierung.

Das Verfolgungsdiktat aus dem GESTAPA begründete einen selektiven Terror. Es zielte auf Prävention und hat die so genannte Vorbeugungshaft in den Konzentrationslagern maßgeblich vorangetrieben. Mit dem Beginn des Krieges wurde die Präventionspolitik zur sicherungspolitik an der Heimatfront. Die Radikalisierung der Präventionspraxis wurde ab 1940 vornehmlich durch einen Runderlass von Himmler verursacht. Dieser besagte, dass künftig alle wegen homosexueller Kontakte verurteilten Männer, die „mehr als einen Partner verführt“ hätten, nach Entlassung aus der Strafhaft unverzüglich der Vorbeugungshaft in Konzentrationslagern ausgeliefert werden sollten. Bis Kriegsende blieb die Hommosexuellenverfolgung ein Schwerpunkt der Kriminalitätsbekämpfung. Selbst als die Berliner Kriminalpolizei im September 1944 weitestgehend vor der Kriegswirklichkeit kapitulierte und nur noch „kriegswichtige“ Delikte verfolgte, widmete sie sich bis Mitte 1945 weiter der Jagd auf Homosexuelle.

Und auch im Hinblick auf die „Reinhaltung“ der Nazi-Eliteverbände änderte sich bis Kriegsende nichts. Noch am Abend des 24. April 1945 wurden in Berlin-Spandau vier Schutzpolizisten, die wegen homosexueller Tatvorwürfe inhaftiert waren, getötet. Der Vollstrecker berief sich auf Himmlers Geheimbefehl zur rigorosen Tötung Homosexueller in Polizeiverbänden. Am Morgen vor der Ermordung der vier Männer waren deren Mitgefangene, darunter Polizisten, die man wegen Fahnenflucht und Wehrkraftzersetzung zum Tode verurteilt hatte, begnadigt, entlassen und dem „Volkssturm“ als letztes Aufgebot zugeführt worden.

Von Rolf von Ameln

Redaktion Israel-Nachrichten.org

 

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Von am 03/07/2015. Abgelegt unter Spiegel der Zeit. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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