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Aus den Erfahrungen des Schriftstellers Erich Maria Remarque

Das Urteil des Volksgerichtshofes unter Roland Freisler

In einem handschriftlich verfassten Text, der vermutlich aus dem Jahre 1952 stammt und sich in seinem Nachlass befindet, berichtet Remarque über die Entstehung von „Der Funke Leben“. Er begann mit dem Werk 1946 und arbeitete fünf Jahre daran bis zur Fertigstellung. Er selbst gab an, dass es sehr schwierig gewesen wäre, dieses Buch zu schreiben, aber er fühlte eine zwingende Verpflichtung, es zu schreiben, denn viele seiner Freunde und auch seiner eigenen Familie sind Opfer der Nazis geworden. Daraus entstand der Wunsch, seinen Teil dazu beizutragen, dass sich derartiges niemals wieder ereignen solle.
So existiert ein erschütterndes Dokument, das den Tod seiner Schwester Elfriede und das Urteil selbst beschreibt:

Das Todesurteil:
I J 580/43
I L 172/43
Im Namen des Deutschen Volkes (…) hat der Volksgerichtshof, I. Senat, auf Grund der Hauptverhandlung vom 29. Oktober 1943 (…) für Recht erkannt:
Frau Elfriede Scholz geb. Remark hat in monatelangen maßlos hetzenden defaitistischen Äußerungen gegenüber einer Soldatenfrau sich zu Erklärungen verstiegen,
-sie möchte dem Führer eine Kugel durch den Kopf jagen,
-unsere Soldaten seien Schlachtvieh, der Führer habe sie auf dem Gewissen,
-sie wünsche den kämpfenden Soldaten, daß ihre Frauen durch Bombenterror umkommen,
-und den sieggläubigen Frauen, daß ihre Männer draußen fallen.
Als ehrlose fanatische Zersetzungspropagandistin unserer Kriegsfeinde ist sie für immer ehrlos.
Sie wird mit dem Tode bestraft.
Gründe: Wenn Frau Scholz ihren Pessimismus zum Teil auch mit dem Einfluß ihres Bruders, des Verfassers des berüchtigten Machwerks „Im Westen nichts Neues“, auf sie begründen will, so kann sie das doch nicht entschuldigen, zumal sie nach eigenen Aussagen ihren Bruder seit 13 Jahren nicht gesehen hat. Vielmehr ist sie eine schamlose Verräterin an ihrem eigenen, unserem deutschen Blut, an unserer Front, an unserem Leben als Volk, eine defaitistische hetzende Propagandaagentin unserer Kriegsfeinde (§§ 5 KSSVO, 91 b StGB).
Für eine so ehrvergessene und deshalb für immer jeder Ehre bare Frau kann es, wenn wir uns nicht selbst aufgeben wollen, nur eine Strafe geben: die Todesstrafe.
Weil Frau Elfriede Scholz verurteilt ist, muß sie auch die Kosten tragen.
gezeichnet: Dr. Freisler, Dr. Schulze-Weckert

Roland Freisler, ein Deutscher Jurist. Foto: Archiv

Roland Freisler, ein Deutscher Jurist. Foto: Archiv

Elfriede Scholz wurde am 25. März des Jahres 1903 als drittes Kind der Familie Remark geboren und wurde am 16. Dezember 1943 um 12:57 Uhr in Berlin-Plötzensee durch das Handbeil hingerichtet. Die „Kostenrechnung in der Strafsache Scholz wegen Wehrkraftzersetzung“ konnte nicht an ihren Bruder, Erich Maria Remarque zugestellt werden, da er sich rechtzeitig dem ansonsten sicheren Zugriff der Gestapo durch das selbstgewählte Exil entzog. Im Jahre 1938 wurde er von der Nazi-Führung ausgebürgert, und er lebte 1943 in New York, USA.
Die Kostenrechnung wurde also zugestellt „zu Händen der Ehefrau Erna Brames geborene Remark in Osnabrück“, der zweiten Schwester von Remarkque, die den Nazi-Terror glücklicherweise überlebte. Die Originalrechnung lautete:
Gebühr gemäß §§49, 52 d. GKG
für Todesstrafe                    300,-
Kosten der Vollstreckung   122,18
Haftkosten für die Zeit vom
29.10.1943 bis 16.12.1943    73,15
Porto für die Übersendung
der Kostenrechnung                -,12
Zusammen:                          495,80
—————————————————————–

Das ist ein erschütterndes Dokument einer Bürokratie, die ohne Ansehen der Sache im Dritten Reich vorzüglich funktionierte, sei es in den Konzentrationslagern oder beim Volksgerichtshof. Auf Anfrage von Frau Brames nach dem Grabb ihrer Schwester teilte man ihr am 19.1.1944 lakonisch mit, daß „Frau Elfriede Scholz amtlich bestattet worden ist. Die Grabstätte ist hier nicht bekannt..!“ Also muss man schlussfolgern, dass sie anonym verscharrt oder verbrannt wurde, wie die Opfer in den Konzentrationslagern.

Der Emigrant Gräfenheim sagte einst in Vorausschau auf den kurz bevorstehenden Sieg der Alliierten und die Zeit danach in einem Gespräch: „Die Deutschen werden vielleicht erldigt sein, die Nazis nicht. Die Nazis sind ja nicht vom Mars heruntergefallen und haben Deutschland vergewaltigt … Das glauben vielleicht noch jene, die Deutschland 1933 verlassen haben. Ich bin noch jahrelang dagewesen. Ich habe das Gebrüll im Radio gehört, das fette blutrünstige Geschrei in den Versammlungen. Das war nicht mehr eine Partei. Das war Deutschland.“

Und der Ich-Erzähler, Robert Ross, nicht-jüdischer Emigrant und Journalist, begründete nach seiner Rückkehr aus dem New Yorker Exil in „Schatten im Paradies“ seine „schwerste Enttäuschung“:
„Die schwerste Enttäuschung war die Rückkehr, sie war eine Rückkehr in die Fremde, eine Rückkehr in die Gleichgültigkeit, versteckten Haß und Feigheit. Nieman erinnerte sich mehr daran, zur Partei der Barbaren gehört zu haben. Keiner übernahm die Verantwortung für das, was er getan hatte …. Die Besatzungsbehörden waren gutwillig, aber ziemlich hilflos. Sie waren bei Auskünften auf deutsche Mitarbeiter angewiesen, die Angst vor späterer Rache haben mußten oder immer an den Ehrenkodex dachten, das eigene Nest nicht zu beschmutzen….Niemand konnte sich an Namen erinnern; niemand an seine Taten; viele nicht einmal daran, daß Konzentrationslager existiert hatten. Ich stieß auf Schweigen, auf Mauern von Angst und Ablehnung.

Man versuchte es damit zu erklären, daß das Volk zu müde geworden sei. Es habe selbst so viele Kriegsopfer und Tote gehabt. Jeder hatte selbst genug durchgemacht; man konnte sich nicht auch noch um andere kümmern. Die Deutschen waren kein Volk der Revolutionen. Sie waren ein Volk von Befehlsempfängern. Der Befehl ersetzte das Gewissen. Es wurde die beliebteste Ausrede: Wer auf Befehl gehandelt hatte, war nicht verantwortlich.“

Bis an das Ende seines Lebens verfolgte Remarque die tiefe Betroffenheit über den fehlenden Selbstreinigungsprozess der am Nazi-Terror Beteiligten, über die mangelnde Anerkennung der Tatsachen und die Ausflüchte der Täter und Mittäter, die Weigerung, Verantwortung auf sich zu nehmen. Und mit Absicht verweist er gleichfalls auf die zahlreichen „Beamten“ des Dritten Reiches, Polizisten, Gestapo- und SS-Leute, soldaten und Generäle, die trotz ihrer Beteiligung an den Geschehnissen in den Jahren 1933 – 1945 wieder in Positionen der Bundesrepublik eingerückt sind, insbesondere und gerade bei der Polizei, den Geheimdiensten, der Staatsbürokratie, der Justiz und der neuen Bundeswehr. Die „Baseler Nationalzeitung“ meldete Ende 1954 unter dem Titel „Der Bonner Rehabilitationsskandal“:
Ungefähr 85 Prozent der mittleren und höheren Würdenträger der NSDAP und der SA und SS, die bereits vor 1933 im Dienst waren, erhalten heute ihre volle Pension.

Bei ungefähr der Hälfte der Fälle beträgt die Pension 10000 Mark im Monat.
Waisen, deren Eltern von den Nazis ermordet wurden, bekommen 100 Mark, falls sie überhaupt das Glück haben, daß ihr Fall untersucht wurde. Aber dieser Anspruch verfällt, wenn sie mehr als 75 Mark verdienen.

Der Gründer und frühere Chef der Gestapo, Dirls, erhält gleichermaßen seine volle Pension so wie auch die Witwe des Erzschlächters Heydrich, während Zehntausende von abhängigen Angehörigen ermordeter Menschen keinen Pfennig erhalten.

Auch war in diesen Jahren die „braune Vergangenheit“ vieler Diplomaten im Auswärtigen Amt hinlänglich bekannt. Ergänzend muss angemerkt werden: Kein einziger Richter oder Beisitzer des Volksgerichtshofes ist jemals für seine Taten juristisch belangt worden. Es dauerte ganze vierzig Jahre, bis der Deutsche Bundestag im Jahre 1985 endlich dem Volksgerichtshof den Charakter eines „normalen Gerichtes“ entzog – zu spät. Aber nicht ein einziger dieser Justizmorde ist in der Bundesrepublik gesühnt worden.

Es blieb beim „Freispruch für die Nazi-Justiz..!“, und ebenso bei allen anderen, die von nichts, aber auch gar nichts gewusst hatten.

Armes Deutschland! Du hast nicht nur bei der Ausrottung des jüdischen Volkes, sondern auch bei der Gerechtigkeit im eigenen Volk versagt!

Von Rolf von Ameln

Redaktion Israel-Nachrichten.org

 

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Von am 28/07/2015. Abgelegt unter Spiegel der Zeit. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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