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Wider das Vergessen: Die finanzielle Ausbeutung der jüdischen Bevölkerung

Plündern und rauben im Reich der Nazis

Während sich die Reichsregierung für die Details der „Arisierung“ lange Zeit nicht sonderlich interessierte und sie regionalen Entscheidungsträgern überließ, unternahm sie gleichzeitig alle erdenklichen Anstrengungen, das Vermögen der Juden durch Steuern und Zwangsabgaben zu konfiszieren. Diese finanzielle Ausplünderung erreichte mit der „Kristallnacht“ im November 1938 ihren Höhepunkt.

Begonnen hatte sie jedoch bereits unmittelbar nach 1933. Jüdische Emigranten sollten nämlich das Deutsche Reich möglichst ohne jede Mittel verlassen. Dafür sorgte zum einen die sogenannte Reichsfluchtsteuer, die zwar bereit im Jahre 1931 eingeführt, unter Nazi-Herrschaft aber drastisch verschärft worden war und seit Mai 1934 ab einer Vermögenshöhe um 50.000 Reichsmark erhoben wurde. Allein im Haushaltsjahr 1938/39 spülte sie 342 Millionen Reichsmark in die Staatskasse. Zum anderen mussten jüdische Emigranten beim Umtausch von Reichsmark in Devisen Abschläge an die Deutsche Golddiskontbank (Dego) zahlen.

Zeitgenössische Karikatur über die Zerstörungen und Verhaftungen während des Novemberpogroms 1938. Foto: Archiv/RvAmeln

Zeitgenössische Karikatur über die Zerstörungen und Verhaftungen während des Novemberpogroms 1938. Foto: Archiv/RvAmeln

Bereits im August 1934 betrugen diese Abschlagszahlungen 65 Prozent der transferierten Gesamtsumme und erhöhten sich bis September 1939 auf 96 Prozent. Wer zu diesem Zeitpunkt also 100.000 Reichsmark in Devisen tauschte, musste der Dego 96.000 Reichsmark „spenden“, und nur 4000 Reichsmark wurden in der jeweiligen Landeswährung ausgezahlt. Seit 1936/37 erließen die Devisenstellen bei den Landesfinanzämtern beziehungsweise Oberfinanzdirektionen zudem eine steigende Zahl von „Sicherungsordnungen“ gegen jüdische Kapitalbesitzer. Sie beraubten diese jeder Verfügung über ihre Finanzmittel, die auf Sperrkonten landeten, von denen keine Beträge ohne ausdrückliche Genehmigung der Devisenstelle abgehoben werden durften.

Parallel zog die Gestapo die Pässe der Betroffenen ein, um eine Flucht ins Ausland zu verhindern. Mit dem Novemberpogrom 1938 steigerten sich die finanzpolitischen Repressionen immer weiter. Die am 12. November von Göring erlassene Verordnung zur Wiederherstellung des Straßenbildes bei jüdischen Gewerbetreibenden bürdete den Betroffenen die Beseitigung der Pogromschäden auf und beschlagnahmte ihre Versicherungsansprüche zugunsten des Reiches. Die am gleichen Tag erlassene Verordnung über eine Sühneleistung der Juden deutscher Staatsangehörigkeit verlangt ihnen zusätzlich eine Zwangskontribution in Höhe von einer Milliarde Reichsmark ab, die in fünf Raten zu je fünf Prozent des jeweiligen Einzelvermögens erhoben wurde. und deutlich mehr als die geforderte Milliarde einbrachte.

Summiert man sämtliche Einnahmen, die sich der Staat der Nazis durch die finanzielle Ausplünderung von Juden verschaffte, dann machten diese allein im Jahr 1938/39 rund neun Prozent des damaligen Reichshaushaltes aus: ein warmer Regen für die Staatskasse, und dies zu einer Zeit, als das Deutsche Reich wegen der kreditfinanzierten Aufrüstung latent am Rande des Staatsbankrotts schwebte. Mit der Emigration und späteren Deportation verloren die Juden auch ihre Ansprüche an die Sozialversicherung, in der sie Zeit ihres Lebens eingezahlt hatten. Davon profitierte letztlich die Gesamtheit der „arischen“ Versicherten.

Die verfolgten Juden fürchteten 1938/39 nicht allein die Repressionen der Gestapo, denn nicht minder agierten vielfach jene Finanzbeamten und Zollfahnder, die den Besitz der Juden zugunsten des Deutschen Reiches „verwerteten“, „Sicherungsanordnungen“ aussprachen und schon bei bloßen Formalverstößen gegen das Devisenrecht Strafverfahren einleiteten, die die Auswanderung der Betroffenen oft verhinderten und für diese faktisch ein Todesurteil bedeuteten. Keiner der Finanzbeamten wurde nach 1945 für seine Teilnahme an der finanziellen Ausplünderung der deutschen Juden zur Rechenschaft gezogen.

Wie sich die Verkettung von Steuern und Zwangsabgaben im Einzelfall auswirkte, macht folgendes typisches Beispiel deutlich: Im Juli 1938 hatte der Unternehmer Albert Aronson noch zu den wohlhabendsten Kaufleuten Hamburgs gehört – mit einem Gesamtbesitz im Wert von rund vier Millionen Reichsmark. Als er sechs Wochen später nach London auswanderte, tauschte er 800.000 Reichsmark in Devisen um, von denen jedoch nur 66.000 Reichsmark, – 5413 britische Pfund – transferiert wurden, während 734.000 Reichsmark als Abschlagszahlung an die Deutsche Golddiskontbank flossen. An weiteren Abgaben musste Aronson 613.713 Reichsmark Reichsfluchtsteuer, 245.410 Reichsmark „Judenvermögensabgabe“ und 100.000 Reichsmark an einen Geheimfonds des Hamburger NSDAP-Gauleiters zahlen, um eine Freigabe seines Passes zu erreichen.

Das verbleibende Geldvermögen wurde schließlich im November 1941 zugunsten des Deutschen Reiches konfisziert, das sich insgesamt 98,3 Prozent seines Besitzes aneignete. Die Zahlungen Aronsons an den Geheimfonds des Hamburger Gauleiters deuteten bereits an, dass sich zahlreiche weitere Institutionen an der Ausplünderung der Juden beteiligten. In den größeren Städten erhob die Gestapo nach dem Novemberpogrom von wohlhabenden Juden „Auswanderungsabgaben“, um damit die Emigration mittelloser Juden zu finanzieren. Der Berliner Polizeipräsident Graf Helldorff, der später wegen seiner Beteiligung am Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 hingerichtet wurde, zog die Pässe vermögender Juden ein und gab diese nur nach Entrichtung einer Zwangsspende wieder heraus, die von den Betroffenen auch als „Helldorff-Spende“ bezeichnet wurde.

Die erpressten Gelder nutzte der korrupte Lebemann unter anderem zur Finanzierung seines aufwändigen Lebenswandels. Auch anderswo kam es rund um den Novemberpogrom zu zahlreichen „wilden“ Beschlagnahmungen und Plünderungen. So drang im Gau Süd-Hannover-Braunschweig die SS in Geschäfte und Wohnungen von Juden ein, beschlagnahmte Geld, Wertsachen, Schreibmaschinen und Kraftwagen. Über entsprechende Vorfälle in Stettin wusste der NSDAP-Reichsschatzmeister zu berichten: „Bei den betreffenden Juden erschienen einige Parteigenossen von der Kreisleitung und schnitten zuerst die Telefonleitungen durch.

Dann legten sie dem Juden notariell vorbereite `Schenkungsurkunden´ vor, unter Hinweis darauf, dass dieser Gelegenheit habe, etwas zu verschenken. Auf einige gewagte Entgegnungen wurde mit der Drohung des Erschießens erwidert!“ In München requirierte die HJ-Führung während der Pogromnacht bei wohlhabenden jüdischen Unternehmern gewaltsam „Sühnegelder“, die unter anderem zur Beschaffung von Uniformen verwendet wurden. Die NSDAP-Gauleitung in Berlin wusste Pogrom und Bereicherung auf besonders zynische Weise miteinander zu verbinden. So presste der Gaupropagandaleiter hohen Vertretern der Berliner Juden, unter anderem Leo Baeck, eine „freiwillige Spende“ in Höhe von fünf Millionen Reichsmark als „Wiedergutmachung“ für Pogromschäden ab, welche die Nazis ja selbst verursacht hatten. Aus diesem sogenannten „Scherbenfonds“ wurde etwa das 300.000 Reichsmark teure „Staatsbegräbnis des Parteigenossen vom Rath“ finanziert, während die Berliner Parteiorganisation 200.000 und die SA und SS 70.000 Reichsmark „für tagelangen Einsatz, auch nachts, erhielten – während des Pogroms, wohlgemerkt.

Politische Leiter der NSDAP, die sich bei den nächtlichen Plünderungen und Zerstörungen Hemd und Mantel zerrissen hatten, wurden ebenso aus dem „Scherbenfonds“ entschädigt wie die Witwe eines Obersturmführers, dessen plötzlicher Tod auf die „übermenschlichen Anstrengungen“ bei der Vorbereitung des Staatsbegräbnisses durchgeführt wurde. Wie die Beispiele zeigen, schlossen sich bürokratische Systematik und „wilde“ Bereicherung bei der finanziellen Ausplünderung der Juden nicht aus.

Und nach 1945 hat niemand, aber auch niemand etwas gewusst.

Von Rolf von Ameln

 

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Von am 13/03/2016. Abgelegt unter Spiegel der Zeit. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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