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Was das „Jüdische Nachrichtenblatt“ am Freitag, 3. Februar 1939 dem Leser in Wien mitteilte – Ein Stück Zeitgeschichte

Über die „Juden in Palästina“ auf der Titelseite wurde bereits ein Artikel veröffentlicht. Widmen wir uns der zweiten Seite, in der es heißt: Arbeit am Land, Aufbau und Kibbuz: Eine andere, weit größere und ernstere Gefahr von dauernder Bedeutung liegt in der Möglichkeit der Verweltlichung vom Judentum. In der Galuth war der Wille zum Judensein schon deswegen immer wieder auf die Religion verwiesen worden, weil er andere Inhalte kaum fand. Dort aber gibt es Arbeit am Land, Aufbau und Kibbuz. Gerade für Menschen, die seit Jahrtausenden nicht mehr mit eigenen Händen die Mittel ihres Seins gestalten durften, besteht die Versuchung, diese Mittel mit Entzwecken zu verwechseln.

Jüdisches Nachrichtenblatt. Foto: Archiv/RvAmeln

Jüdisches Nachrichtenblatt. Foto: Archiv/RvAmeln

Freilich ist de so, daß wir dieser Auseinandersetzung, die keiner gesunden Gemeinschaft erspart bleibt, im Verlaufe unseres Galuth-Daseins nur wegen der Armut unserer Seinsmöglichkeiten enthoben waren. Zugleich gilt, daß sich gerade an den lebendigsten Gestaltungen menschlichen Daseins die ursprünglich religiöse Kraft des Judenseins wird erweisen können. Immerhin: die Gefährdung von dieser Seite des Lebens im Lande bleibt Gegenstand der Sorge und erste Aufgabe der Beachtung. So klaffen sie weit auseinander, Welt der Erinnerung und Welt der Gegenwart. Und doch, wenn wir tiefer greifen, dann glauben wir auch heute schon Andeutungen dafür finden zu können, daß das Land auch hier – wie in allem – einen, wenn auch langsamen, weil gründlichen Wandel bringen kann.

Dieses gehört darum in gleicher Weise der Gegenwart an und der Zukunft, ist also echtes Keimen. Man erlebt, daß Familien aus westlichem Milieu drüben bemüht sind, einen Freitag-Abend zu gestalten; daß der Vater seinen Kindern den aus dem Rahmen der Woche fallenden Vorabend des Schabbath mit Sinn erfüllen muß. Man erfährt, daß es wohl kaum einen Kibbuz gibt, in dem man nicht versucht, auf irgendeine Feier-Zeit, d.h. doch im Lande Schabbath-Zeit, von Alltags-Zeit zu unterscheiden. Mit leuchtenden Augen erzählen alle von den weite Volksmassen erfassenen Festveranstaltungen zu Purim, Chag Habikkurim = Schewuot und Chanukka.

All das steckt heute noch fast ganz im Weltlichen, ist aber so sehr lebendiger Quell, daß man aus ihm, wenn es nur recht betreut wird, einst auch religiöses Werden schöpfen kann. Nicht aber in diesen, vom Organisieren ausgehenden Möglichkeiten allein liegt die wandelnde Kraft des Landes. Sie liegt viel tiefer, im Organischen. Wenn man an den rechten Partner gerät, kann man die vielsagende Antwort bekommen: „Drüben in der Galuth gingen die Menschen zu oft hinaus aus dem Gottesdienst und dann an den Dienst der Götzten Eigennutz und Geldverdienen und Vergnügungstaumel. Den Götzen dienen wir wenigstens nicht mehr“.

Der Lebenseinsatz, der nicht dem egoistischen Ich dient, wandelt schon die Seele. Das ist die Kraft der Arbeit für eine große Idee. Die jüdische Religion gründet auf gerechte Ordnung des Zusammenlebens und auf Liebe zu den Menschen. Sicher haben Juden auch in der Galuth die Notwendigkeit solcher Gemeinschaftsverwirklichung niemals vergessen. Nur war es uns selten möglich, ungestört und ganz so, wie wir es aus vollem Herzen wollten, Gemeinschaft der Menschen mitbauen zu helfen. Drüben wird sich die Kraft der jüdischen Liebe und die Gestalt der jüdischen Gerechtigkeit – soll das Volk im Lande nur immer bestehen können – so ausformen müssen, daß sie wieder den „Vorhof“ gestalten können.

Die religiöse Haltung der menschlichen Seele wurzelt in dem Doppelten der Demut und Dankbarkeit. Hierfür gibt es jedoch keine bessere Lehrmeisterin als die Natur. Wir, die wir in so erdrückender Zahl Großstadtmenschen geworden sind, wissen um den Verlust und können die Kraft eines nahen Verhältnisses zur Natur fast nur noch ahnen. Und Menschen drüben sind ihrem Boden und seiner Blüte, den Regenwolken und den Sternen verbunden, nicht mit den Augen des Sommer-Wanderers, sondern mit ihrem ganzen Hoffen und mit ihrem ganzen Bangen. Die Seele, die sie hineingetragen in die Natur, erhalten sie gewandelt zurück: wissend um Ohnmacht des Menschen und täglich und jährlich neu empfangend den Segen.

Und dieses Land wird Menschen neu formen mit der mächtigen Stimme des Schicksals. Dort wird der nicht aushalten können, der für Kleines und Vergängliches arbeitet. Nur der wird dort dauern können, der selbst das Bewußtsein hat, am Dauernden mitzuschaffen, im Dienste des Dauernden zu stehen.

Mühselig ist das Beginnen, oft verkannt, nicht selten angefeindet. Wachsend ist aber die zahl der Menschen, die zu den Gottesdiensten kommen, und der Jugend, die aus den Absichten der Gemeinden herausfühlt, daß gerade Jugend hier Verständnis findet und Antwort auf ihr Suchen. Lehrhaus, Schule, Jugendgruppen sind die Stätten, von denen aus mit den weit abgetriebenen Menschen aus dem Westen – und schon kommen auch Menschen des Ostens – zusammen ein Weg zu religiösen Sein und Leben gefunden werden soll. Es ist nur zu wünschen, daß zu dem Versuchen dieser beiden Gemeinden sich auch das an anderen Stellen im Lande anhebende Suchen – hierbei sind gleichfalls Lehrer und Jugendführer aus dem Judentum Deutschlands führend beteiligt – hinfinde.

Es wird ein hartes, aber im Interesse von ganz Israel gelegenes Ringen sein, um das, was noch unbewußt in den Menschen liegt, zum Bewußtsein zu heben. Daß sie die Menschen, die abseits des Religiösen leben, nicht sich selbst überlassen, daß sie zu ihnen hingehen, ist Schwierigkeit und Verdienst aller derer, die sich darum bemühen. Israel ist nach 2000 Jahren der Wanderung heimgekehrt. Glaubt man, die Spuren seiner Wanderung wären so schnell verwischt? So manche Wunde, die langer Weg verursacht, wird jetzt erst allen Augen sichtbar werden. Aber „die Luft von Erez Israel macht weise“, und „aller Weisheit Anfang ist Gottesfurcht.“
Und damit es niemals in Vergessenheit gerät, zum Abschluss ein Gedicht:
Schabbath
von Arthur Israel Silbergleit

Wir gründen himmlische Familien
Der Andacht ist der Schabbaths Bann.
Leicht ähneln stolzen Feuerlilien
Sich unsre Kerzenschimmer an.
Wir schlossen selig unsre Läden,
Nun öffnen wir die Herzen ganz
Und weben in Gebetstuchfäden
Oft Träume von Messias Glanz.

Nun schlägst Du, Richter aller Zeiten,
Gerecht in Strenge und in Huld,
Dir auf den Wolken Hauptbuchseiten,
Wo Sterne Dir Verdienst und Schuld,
Treu unserer Seelen Soll und Haben
Eingeschrieben, und Du liest und liest
In Deine Andacht so vergraben,
Daß Du nicht unser Antlitz siehst.

Wir aber schauen Dich und zittern
Und sinnen unseren Sünden nach.
Da schwebt Dein Engel durch Gemach
Und lächelt, daß kein Herz mehr poche
Vor Angst, und streift uns flügelleicht
Und prüft, ob zu der neuen woche
Empfang der Wein im Kelchglas reicht.

Und trotz aller Gebete sind sechs Millionen dieses großartigen Volkes hingemordet worden.

Von Rolf von Ameln

 

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Von am 20/04/2016. Abgelegt unter Spiegel der Zeit. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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