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Deutschland: Antisemitismus auf den Katholikentagen

In Leipzig hat der 100. Katholikentag seit 1848, unter großer Beachtung der Medien sein Jubiläum gefeiert. Kaum bekannt und erwähnt wurde, dass die Katholikentage, vor allem die des 19. Jahrhunderts, auch Hochfeste eines religiösen Antisemitismus waren. Erst seit 1970 gibt es infolge einer Trierer Initiative das Forum Christen und Juden auf Katholikentagen, das sich um einen Dialog mit dem Judentum bemüht.

Die Märzrevolution von 1848 brachte den Deutschen die Versammlungs- Vereins- und Pressefreiheit. Auch die Katholiken, die durch das Wüten der Säkularisation unter Napoleon viele Privilegien verloren hatten, wussten diese Entwicklung zu nutzen. In wenigen Wochen entstanden Hunderte von katholischen Laienvereinen, der erste war der Piusverein. Anfang Oktober 1848 fand die erste Generalversammlung dieser Vereine statt in Mainz. Neben Mainz bildete sich bald Köln als zweites Zentrum dieses „katholischen Aufbruchs“. Von Anfang an tagten die Generalversammlungen der kirchlichen Vereine in voller Solidarität mit der kirchlichen Hierarchie. Aber sie waren in erster Linie Zusammenkünfte kirchlich und auch vereinsmäßig engagierter Laien, sie traten deshalb umso glaubwürdiger für die Belange der Kirche im öffentlichen Raum ein. Zwischen Kirche und Gesellschaft angesiedelt, verkörperten sie die soziale Breite des kirchentreuen katholischen Bevölkerungsteils.

Jüdische Konvertiten auf Katholikentagen

Die Synagoge-Darstellung am Eingang der Liebfrauenbasilika in Trier. Foto: B. Bost

Die Synagoge-Darstellung am Eingang der Liebfrauenbasilika in Trier. Foto: B. Bost

Die Antisemitismus Forschung geht von der These aus, dass die judenfeindliche Agitation im Kaiserreich eine Angelegenheit der protestantischen Mehrheit des deutschen Volkes gewesen ist. Die Katholikentage waren zunächst auch eine Abwehreinrichtung gegen dieses dominant protestantisch-preußische Gesellschaftmodell des Kaiserreichs. Einige Historiker behaupten sogar der Katholizismus sei ein Bollwerk gegen den Antisemitismus und später den Nationalsozialismus gewesen. Beides entspricht nicht der geschichtlichen Realität, wenn man sich die Protokolle der Katholikentagsreden anschaut. Auf allen Katholikentagen des 19. Jahrhunderts traten antisemitische Redner und Hetzer auf, bei manchen mehr bei manchen weniger, das fiel seinerzeit kaum auf, weil dies gewissermaßen zum guten Ton gehörte. Es gab den vor allem klerikal geförderten Antisemitismus, der die Juden für den Tod Jesu verantwortlich machte, als auch den sozial gefärbten Antisemitismus, der die Juden im Zeitalter großen sozialen Elends für den Wildwuchs des Kapitalismus verantwortlich machte. Oft wurden beide Komponenten miteinander vermischt. Als mit der Einheitsbewegung Italiens der Kirchenstaat und damit der Papst immer mehr bedrängt wurde, wurden die Katholikentage immer ultramontaner, d.h. immer papsttreuer. Das Papsttum hatte jedoch seit 1848 einen Rückzieher in seiner Haltung zu den Juden gemacht. Die Juden im Kirchenstaat mussten 1850 auf Weisung des Papstes wieder ins Ghetto, in dem sie 1848 als letzte in Europa befreit worden waren. 1858 erschütterte der Fall des jüdischen Jungen Edgardo Mortara, der von einer christlichen Amme im Kirchenstaat notgetauft worden war, und anschließend von der päpstlichen Polizei aus seiner Familie entführt worden war, für eine große Polemik und Zuspitzung im jüdisch-katholischen Verhältnis. Während der Junge trotz massiver Proteste und Interventionen maßgebender Politiker in einem päpstlichen Seminar erzogen wurde und später selbst Priester wurde, bildeten sich durch diese Affäre mit der „Alliance Israélite Universelle“ erstmals jüdische Selbsthilfeorganisationen für die Profilierung der eigenen Identität. Mortara trat überraschend als Augustinerpater auf dem Würzburger Katholikentag von 1892 auf und berichtete von seinem Werdegang. Auch andere jüdische Konvertiten, wie die Ordensgründer Libermann und Ratisbonne aus dem Elsaß hatten auf deutschen Katholikentagen Rederecht und fanden großen Rückhalt für ihre Missionswerke im Nahen Osten, auch unter den Juden, aber vor allem unter den orientalischen Christen.

Zwei Katholikentage in Trier unter veränderten geschichtlichen Konstellationen

Die Kirche-Darstellung am Eingang der Liebfrauenbasilika in Trier. Foto: B. Bost

Die Kirche-Darstellung am Eingang der Liebfrauenbasilika in Trier. Foto: B. Bost

Als 1865 der erste Katholikentag in Trier zusammenkam war die Mortara Affäre schon fast vergessen. Dort machte ein Vertreter des Schweizer Piusvereins, Graf Theodor von Scherer, Redakteur der Schweizer Kirchenzeitung, unter den Bravo Rufen der Hörer, antisemitische Ausfälle. Er machte nachdem er die Juden für die soziale Misere verantwortlich gemacht hatte, diese auch für den Tod Jesu verantwortlich. Dagegen entgegnete der Trierer Rabbiner Joseph Kahn Tage später in einer Predigt in der Synagoge, dass „jeder nur für seine Taten bestraft werden darf, nicht aber für die Taten der Vorfahren. Außerdem sei es wissenschaftliche Tatsache, dass die Römer aus politischen Gründen Jesus ermordet hätten“.

Gegen Ende der Kaiserzeit nahmen die antisemitischen Reden auf Katholikentagen ab, auch wenn sie nicht ganz verschwanden. In der Weimarer Zeit wurden auch auf Katholikentagen zuweilen Juden für den „Diktatfrieden“ von Versailles verantwortlich gemacht, aber da in dieser Zeit das katholische ZENTRUM durchgehend auch Regierungspartei war, hatte der Antisemitismus unter den Rednern der Katholikentage, unter denen jetzt erstmals auch amtierende Reichskanzler waren, einen schwereren Stand. Mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus und seines völkischen Antisemitismus verschwanden antisemitische Äußerungen auf Katholikentagen, aber bis 1933 sah man dort im atheistischen Kommunismus die weitaus größere Gefahr. Auf dem letzten freien Katholikentag im Herbst 1932 in Essen hatten die beiden ZENTRUM Kontrahenten, Brüning und von Papen wegen ihres Streites Redeverbot, dies verhinderte jedoch nicht, dass der praktizierende Katholik Franz von Papen Hitler einige Wochen später den Weg an die Macht geebnet hat. Erst nach der Machtergreifung erkannten auch viele Katholiken, dass sie die Gefahr die in der Hitler-Bewegung lag unterschätzt hatten. Seit 1933 gab es keine nationalen Katholikentage mehr, weil die NS-Herrscher die Rednerliste mitbestimmen wollten. Nur lokale Katholikentage gab es weiter, der letzte war im Sommer 1934 der Märkische Katholikentag in Hoppegarten bei Berlin. Obwohl er nicht auf der Rednerliste stand, ergriff Erich Klausener der Führer der Katholischen Jugend dort das Wort. Er redete über „Frieden und Menschenliebe“ Dies interpretierten die NS-Herrscher als Spitze gegen die Diskriminierung der Juden. Eine Woche später war Klausener tot, ermordet während der Röhm Affäre.

Nach dem Kriege schwiegen die Katholikentage zunächst, anders als die jetzt neu stattfindenden Evangelischen Kirchentage, wo von Anfang an auch die Frage der Schuld am Holocaust thematisiert wurde, über das Vergangene. Erst auf dem Katholikentag vom 9.-13. September 1970 in Trier organisierte eine Gruppe „Aktion Kritische Gemeinde“ von Studenten einen Besuch des Konzentrationslagers Hinzert im Hunsrück. Auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Hinzert hatten sie eine Veranstaltung unter dem Leitgedanken wie „Christen in diktatorischen Regimen mitschuldig werden können am Leid Unschuldiger“ organisiert, nachdem eine bereits ins offizielle Programm aufgenommene Pax-Christi-Veranstaltung mit der Begründung abgesagt worden war, dass „Sühneandachten sich nicht für Katholikentage eignen“. Seit Trier 1970 gibt es auf jedem Katholikentag eigene Foren zum Dialog mit dem Judentum und viele jüdische Redner.

Von Bodo Bost

 

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Von am 03/06/2016. Abgelegt unter Europa. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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