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Zeitgeschichte in den Israel Nachrichten: Die Vossische Zeitung, Ausgabe Berlin, am Dienstag, 28. Februar 1933

Dieses sozialdemokratisch orientierte Blatt bezeichnete sich selbst als Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen/Gegründet 1704.

Die Schlagzeile auf der ersten Seite befasst sich mit dem Brand des Deutschen Reichstages und berichtet n o c h objektiv, obgleich es auch dort bereits einen „Hauptschriftleiter“ gab. Im Mittelteil berichtet die „Vossische Zeitung“ von einem deutschen Meister, aus den „Berliner Geschichten“: Der Angeklagte war in einer Verchromanstalt beschäftigt. Er arbeitete in der Schleiferei und stellte Ringe für Fahrradpumpen her. Nicht er allein. Es gab Kollegen, die dasselbe verrichteten. Aus den Händen der Arbeiter gingen die Ringe in die Hände des Meisters. Der prüfte, ob alles sauber und richtig ausgeführt war. Was den Anforderungen nicht entsprach, das musste noch einmal gemacht werden.

Die Vossische Zeitung, Ausgabe Berlin, am Dienstag, 28. Februar 1933. Foto: Archiv/RvAmeln

Eines Tages bekam der Angeklagte einen Satz Ringe zurück. Der Kollege, der sie ihm überbrachte, noch dazu sein politischer Gegner, richtete die Bestellung mit der Überheblichkeit eines Vorgesetzten aus, warf ihm die Ringe vor die Füße und fügte noch ein paar Grobheiten hinzu. Der Arbeiter brauste auf, er empfand die ganze Rückgabe als eine bloße Schikane, die Grobheiten als Beleidigung, er meinte, das alles ging vom Meister aus, lief hin und schlug ihm mit seinem Holzpantoffel über den Schädel. Der Meister stürzte zu Boden, wurde bewusstlos ins Krankenhaus geschafft, lag lange an einer Gehirnerschütterung darnieder.

Der Arbeiter sollte seine Gewalttat, billig genug, mit zwei Monaten Gefängnis büßen, die ihm durch Strafbefehl auferlegt wurden. Er erhob aber Einspruch. Daher muss vor dem Schöffengericht verhandelt werden. Der Vorsitzende rät ihm, den Einspruch zurückzunehmen. Noch gelinder wegzukommen, könne er ja wohl nicht erwarten; vielleicht aber würde er strenger bestraft werden. Allein der Angeklagte beharrt auf der Verhandlung. Er sei nach jener Tat entlassen worden, seitdem arbeitslos, neue Beschäftigung stehe endlich in Aussicht, durch zwei Monate Gefängnis würde er sich alles verderben. Der Vorsitzende redete ihm gut zu, der Angeklagte bleibt bei seiner Bitte, und so entschließt sich das Gericht, wenigstens den Vorgesetzten zu hören.

Der Meister wird aufgerufen, ein schlichter Mann, aus dem Badischen gebürtig. Ob er Folgen zurückbehalten habe. Nein, er sei wieder hergestellt. Ob er wünsche, dasss der Angeklagte bestraft werde. Nein, das wünsche er ganz und gar nicht. Mit der Verchromerei, führt er in seinem treuherzigen Dialekt aus, ist das eine heikle Sache. Das Verfahren steckt noch in den Kinderschuhen. Man muss sehr sorgfältig mit dem Metall umgehen, es darf keine Spur Feuchtigkeit daran haften, sonst misslingt die Verchromung. Er selbst trug die Verantwortung vor der Werksleitung. Was nicht tadellos ausfiel, durfte er nicht durchlassen. Aber er wollten den Angeklagten, dem er die Ringe zurücksandte, nicht tadeln.

Er wusste ja gar nicht, ob die Arbeit von ihm oder einem anderen verfehlt worden war. Wenn es dem Angeklagten so ausgerichtet wurde, als er hätte selber schuld, so muss der Kollege die Verschärfung aus eigenem hinzugefügt haben. Auch die groben Worte. Auch die hochfahrende Art, ihm die Ringe vor die Füße zu werfen. Vielleicht, vermutet der Meister, spielte die politische Gegnerschaft dabei eine Rolle. Aber, fügt der Meister hinzu, er wundert sich nicht, dass der Angeklagte das Ganze für eine Schikane hielt und darüber in Erregung geriet. Es herrschte kein angenehmer Ton in dem Werk, die Leitung ließ zu wünschen übrig. Er begreift auch, dass der Angeklagte glaubte, die schlechte Behandlung gehe auf den Meister zurück, und dass er seine Wut an dem Meister ausließ.

„Ich kann mich in seine Lage versetzen und verstehe ihn sehr gut. Inzwischen bin ich auch entlassen worden und arbeitslos wie er. Es sind eben schwere Zeiten, es geht uns allen gleich schlecht. Von mir aus braucht er nicht bestraft zu werden.“ Wenn nicht einmal der Verletzte Strafe verlangt, darf auch das Gericht Milde walten lassen. Es setzt die Strafe auf zwei Wochen Gefängnis herab und gibt ihm dafür eine Bewährungsfrist. Hoffentlich gibt es noch mehr solcher Meister in Deutschland.

Ein gewisser Gegenpol zum rechten und linken Gesinnungsjournalismus wurde durch die „Vossische Zeitung“ repräsentiert. Das 1704 in Berlin gegründete Qualitätsblatt war im Jahre 1913 von der jüdischen Familie Ullstein erworben worden, deren Verlag sich zu einem der größten und modernsten Zeitungshäusern in Deutschland entwickelt hatte. Nach dem Reichstagsbrand neigte sich die über 300-jährige Geschichte der „Vossischen“ aber dem Ende zu. Am 31. März 1934 musste sie ihr Erscheinen einstellen. Dass ihre Schlagzeilen ebenfalls nicht be- oder verurteilte, ist außer mit der Furcht vor dem Hitler-Regime auch mit der Professionalität des hier gepflegten Journalismus zu erklären, der sich teilweise von der Politik gelöst hatte und an seiner eigenen Aufgabe – dem Herstellen von Öffentlichkeit – orientierte.

Der für das damalige Deutschland moderne Journalismus der „Vossischen Zeitung“ zeigte sich in der Ausgabe beispielsweise an dem oben geschriebenen Artikel. Ein Gerichtsbericht, der die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse aufs Korn nimmt, die hinter einer abzuurteilenden Straftat stecken: Arbeitslosigkeit, Druck von oben, Schikanen. Die politische Gegnerschaft der beiden Arbeiter, die diese Verhältnisse tätlich aneinander geraten ließen, wird zwar erwähnt, jedoch erfährt der Leser nicht, welcher Partei sie zugehörig sind. Das wäre für den berichteten Vorfall wie für die kritische Stoßrichtung der Reportage auch unerheblich.

Ein Gesinnungsjournalist hätte hier die politischen Ausrichtungen der Kontrahenten genannt. Der Reporter hinter dem Pseudonym Inquit – „er untersucht“ – tut das nicht, sstattdessen geht er den Dingen auf den Grund. Inquit war Moritz Goldstein – 1880-1977 -, neben seinem Vorgänger Paul Schlesinger der bedeutendste Gerichtsreporter der Weimarer Republik. Bereits im Jahre 1933 musste er vom Ullstein-Verlag entlassen werden und flüchtete über Italien und Frankreich nach Großbritannien und schließlich in die Vereinigten Staaten von Amerika. Versuche, dort oder in Deutschland nach dem Untergang des Nazi-Regimes wieder als Journalist Fuß zu fassen, schlugen fehl. Neben Verlegern wie Leropold Ullstein oder Rudolf Mosse und Autoren wie Theodor Wolff oder Joseph Roth stand Goldstein für die besondere Bedeutung, die Juden und ihre Kultur für die Entwicklung des modernen Journalismus gehabt haben.

Von Rolf von Ameln

 

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Von am 06/07/2017. Abgelegt unter Spiegel der Zeit. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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