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Wider das Vergessen: Die Todesfabriken der Nazis 4. Teil

Im gleichen Monat, in dem das KL Belcec seinen Mordbetrieb aufnahm, im März des Jahres 1942, begannen die Nazis mit der weiteren Errichtung eines Vernichtungslagers: Sobobor, unmittelbar nördlich von Belcec gelegen, aber gleichfalls im östlichen besetzten Polen. Die Anlage und der Betriebsablauf von Sobibor folgte dem Vorbild Belcecs. Ebenso wie Hauptsturmführer Wirth hatten auch Franz Stangl, der Kommandant dieses Lagers, und die meisten der dort eingesetzten SS-Schergen an der „Aktion T4“ mitgewirkt. Und ebenso wie in Belcec waren auch dort etwa einhundert „Trawnikis“, die meisten wiederum ehemalige Kriegsgefangene, als Wachen im Lager eingesetzt. Auch dieses Lager war von der Größe her kleiner als das in Auschwitz-Birkenau, aber doppelt so groß wie Belcec.

Auch war es in zwei Lager aufgeteilt; – nach dem Vorbild in Belcec, eine Aufnahme- und eine Vernichtungszone, letztere auch wieder durch einen Korridor zu erreichen. Da die Männer der SS jedoch nicht wie in Belcec in konfiszierten Häusern in der Umgebung untergebracht werden konnten, wurde ein drittes Lager mit Unterkünften für SS und Trawnikis geschaffen. Die Überlegungen hinter dieser Anlage von Sobibor waren dieselben wie in Belcec. Die neu ankommenden Häftlinge sollten den Eindruck vermittelt bekommen, es handele sich um einen Zwischenaufenthalt zur Desinfektion, man werde sie präventiv gegen mögliche Krankheiten behandeln, und sollten anschließend daran so schnell wie möglich durch den Korridor in die Gaskammern getrieben werden.

Der erste Transport kam im Mai 1942 in Sobibor an, und hier wurden im Verlaufe von etwas mehr als einem Jahr eine Viertelmillion Menschen von den Nazis ermordet. Ebenfalls im Mai 1942 begannen die Bauarbeiten am dritten Vernichtungslager: Treblinka. Und es war kein Zufall, dass hier mehr Menschen umgebracht wurden als in einem der anderen Vernichtungslager, da dieses Lager von den „Erfahrungen“ der SS in Belcec und Sobibor profitierten. Die Zahl der in Treblinka zu Tode gekommenen Menschen – man schätzt heute bis zu 900.000 – war fast so hoch wie die der Opfer in Auschwitz. Treblinka lag nordwestlich von Sobibor, nur eine kurze Bahnreise von Warschau entfernt.

Das Ghetto von Warschau stellte eine der größten Ansammlungen von Juden im Generalgouvernement dar, und das Lager Treblinka diente in erster Linie dem Zweck, auch die dort lebenden Juden zu ermorden. Trotz der großen Zahl der Ermordeten innerhalb eines kurzen Zeitraumes gingen die Tötungen in keinem der Vernichtungslager „reibungslos“ vor sich. Man muss sich vor Augen halten, dass die Nazis ein Projekt in Angriff nahmen, das noch niemand jemals vor ihnen versucht hatte; – die mechanisierte Vernichtung von Millionen Männern, Frauen und Kindern innerhalb weniger Monate. So grausam das Regime der Nazis auch war, man hatte die Todesfabriken errichtet, und wie bei jedem „industriellen Betrieb“ mussten alle Komponenten zeitlich genau aufeinander abgestimmt sein, um das gewünschte „Endergebnis“ zu erreichen.

Wenn die Transporte mit den Juden nicht pünktlich an den Rampen ankamen, wenn die Gaskammern für die Masse der Neuankömmlinge zu klein waren, wenn es irgendwo im System durch Kriegseinwirkung zu Engpässen kam, dann konnte ein blutiges Chaos ausbrechen; – und genau das sollte in der ersten Zeit so geschehen. In Belcec zeigte sich rasch, dass die Kapazität der Gaskammern für die geplante Anzahl der Menschen, die nach dort transportiert werden sollten, nicht ausreichte, weshalb das Lager im Juni für knapp vier Wochen geschlossen wurde, damit man neue Gaskammern bauen konnte. In Sobibor bereiteten sowohl die Größe der Gaskammern als auch die Transportverbindungen ein Probleme.

Zwischen August und Oktober stellte auch dieses Lager seinen Betrieb ein, während die SS sich bemühte, die Schwierigkeiten zu beheben. Doch die größten Probleme für die SS-Mörder tauchten in Treblinka auf, und das hatte wahrhaft grauenhafte Szenen zur Folge. Zunächst lief in Treblinka für die SS alles mehr oder weniger „nach Plan!“ Tag für Tag kamen hier 6.000 Juden an, die sofort umgebracht wurden. Jedoch hatte sich diese Zahl bis zum August verdoppelt, und der Betrieb des Lagers brach innerhalb kürzester Zeit zusammen. Dennoch weigerte sich der Lagerkommandant, Doktor Irmfried Eberl, es zu schließen. Eberl hatte den Ehrgeiz, möglichst viele Juden auf einmal umzubringen und dabei alle anderen Lager zu überflügeln.

Aus diesem Grunde sind so viele Tranporte angekommen, die von den Leuten in der Aufnahmebaracke und an den Gaskammern nicht mehr „abgefertigt“ werden konnten. Die Folge: Viele Opfer wurden im „unteren Lager“ einfach erschossen, doch das deckte natürlich das Manöver der Täuschung auf, die Grundlage für einen möglichst reibungslosen Ablauf des Lagers. Niemand glaubte mehr, dass es sich um eine Anlage zur Desinfektion handele, nachdem man die Leichen der Ermordeten auf der Erde herumliegen sah. Und so hielten die Eisenbahnzüge drei Kilometer vor dem Lager auf dem Bahnhof Treblinka und warteten dort, bis im Lager wieder alles „aufgeräumt“ war.

Die Verhältnisse in den Güterwaggons wurden so entsetzlich, dass viele der Juden bereits dort starben. Einer der Überlebenden, Oskar Berger, kam mit einem Transport Ende August in Treblinka an, als das Chaos seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht hatte: „Als wir ausstiegen, bot sich uns ein entsetzlicher Anblick: Hunderte Leichen lagen überall herum, Haufen von Bündeln, Kleidern, Koffern, alles durcheinander. SS-Männer und Ukrainer standen auf den Dächern der Baracken und schossen wahllos in die Menge. Männer, Frauen und Kinder stürzten blutend zu Boden. Die Luft war erfüllt von Schreien und Weinen..!“ Unter derartigen Bedingungen war es unmöglich, die wirklichen Vorkommnisse im Lager vor den Polen, die in den Weilern und Dörfern in der Umgebung wohnten, geheim zu halten. Inmitten dieses unglaublichen Chaos gelang es der SS und den Ukrainern, eine kaum glaubliche Zahl von Juden umzubringen. Innerhalb einer Zeitspanne von Juli bis August 1942, kamen in Treblinka 312.500 Menschen ums Leben.

Das bedeutete, dass in Treblinka in dieser Zeit täglich 10.000 Menschen vergast oder erschossen wurden, so viele, wie in keinem anderen Vernichtungslager – bis zum Höhepunkt der „Ungarn-Aktion“ in Auschwitz 1944, als die vier Krematorien in Birkenau bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit beansprucht wurden. Doch der Preis für diese unvorstellbare Vernichtungsrate war für die Vorgesetzten von Doktor Eberl zu hoch. Sie erhielten Berichte über die täglich schlimmer werdenden Zustände in Treblinka. Hinzu kam noch, dass das „Dritte Reich“ dadurch um bestimmte Einnahmen gebracht wurde. Die Besitztümer der Juden blieben über das ganze Lager verstreut, und es wurde behauptet, einige Wertsachen seien von der SS und den Ukrainern geplündert worden.

Christian Wirth, der „Schöpfer“ von Belcec, wurde in diesem Monat August zum Inspekteur der drei Vernichtungslager ernannt. Einer seiner ersten Aufträge bestand darin, gemeinsam mit seinem Vorgesetzten, dem SS- und Polizeiführer im Distrikt Lublin, Odilo Globocnik, sich nach Treblinka zu begeben und die dortigen Verhältnisse zu untersuchen. Josef Oberhauser, der unter Wirth arbeitete, sagte später aus, in Treblinka habe das blanke Chaos geherrscht. Eberl sei sofort entlassen worden, und Globocnik habe ihm sogar mit seiner Verhaftung gedroht. Nachdem man Eberl entlassen hatte, wurden die Deportationen nach Treblinka vorübergehend eingestellt. Franz Stangl, der früher mit Wirth beim „T4-Programm“ gearbeitet hatte und jetzt das Vernichtungslager Sobibor befehligte, wurde zum neuen Kommandanten von Treblinka ernannt. Eberl hatte offenbar nicht richtig verstanden, was seine Vorgesetzten von ihm wollten. Er hatte ihnen eine unglaubliche Tötungszahl geliefert, aber er hatte die Morde nicht „richtig“ organisiert..! In den Augen seiner Vorgesetzten oberen SS-Chargen bestand sein Vergehen darin, dass er das Verbrechen des Massenmordes „nicht gut genug“ verübt hatte!

Fortsetzung folgt.

Von Rolf von Ameln

 

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Von am 04/03/2018. Abgelegt unter Spiegel der Zeit. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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