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Mali, die Sahelzone und deutsche Truppen in Afrika

Von allen Einsatzgebieten der deutschen Bundeswehr (BW) im Ausland, ist Mali die Wichtigste und zugleich die Gefährlichste, weil sich hier die BW nicht wie in Afghanistan auf den direkten Support der US-Streitkräfte verlassen und zukünftig auch nicht aus den regionalen Brennpunkten mit harten Kampfeinsätzen herausgehalten werden kann . Absehbar und auch notwendiger Weise wird das Einsatzgebiet der BW von Mali zeitnah in weitere Teile der Sahel (Niger und Tschad) nach Osten ausgedehnt, wenn auch nicht als harte Kampfeinsätze, sondern eher im Bereich Ausbildung und Logistik.

Derzeit gibt es 12 Auslandseinsätze auf 3 Kontinenten mit rd. 4.000 Mann im Einsatz (wegen dem notwendigen Rotationsprinzip tatsächlich ca. 12.000). Ausgehend von der derzeitigen Truppenstärke von ca. 182.000 Mann, seit 2011 in der Struktur einer Berufsarmee (mit erheblichen Problemen bei der Transformation von einer Freiwilligen-Armee zu einer Berufsarmee) befinden sich also deutlich weniger als 10% der BW im Auslandseinsatz. Die eigentlichen Probleme sind also weniger die Personaldecke, als die Budget-bedingten Defizite in Ausrüstung und Struktur. Mit weniger als 2% Wehretat vom BIP kann man weder die Aufgaben in der NATO, noch die Auslandseinsätze stemmen. Die Kritik aus den USA ist daher auch unüberhörbar.

Warum gerade Mali und warum die Bundeswehr, wenn doch schon die UNO mit ihren Blauhelm-Kontingenten vor Ort ist und die EU aus mehr Staaten besteht, als Frankreich und Deutschland?

Karte-Kontinentalansicht-BW-Einsaetze,

„Zwischen 2013 und 2017 starben in  Mali  116 Blauhelmsoldaten, so dass die Mission als die verlustreichste der Vereinten Nationen seit dem  Koreakrieg  gilt.“ [Wikipedia]
Genau deswegen sucht Präsident Macron mehr europäische Unterstützung.
„…  Präsident Macron sucht derzeit mehr europäische Unterstützung, auch weil er fürchtet, dass in Frankreich der Rückhalt für die Operation im Sahel abnehmen wird, wenn das Land weiterhin als einziges einen so hohen Blutzoll zahlt.“ [Handelsblatt]

Hier kommt mit großem Selbstverständnis die „Deutsch-Französische Brigade“ ins Spiel (ca. 6.000 Mann), die Befehlsseitig in das Eurokorps (Deutschland,  Frankreich, Belgien, Spanien und Luxemburg, temporär auch Polen) eingebunden ist. Das Eurokorps und die NATO gestatten der BW faktisch den Schritt vom stehenden Heer (von Gründung der BRD bis zum Fall der Mauer) zu einer Armee im Einsatz (mit dem wiedervereinigten Deutschland ab 1991) tatsächlich auch werden zu können. Das Grundgesetz Deutschlands legt seiner Parlamentsarmee aus Gründen der historischen Verantwortung gegenüber zweier Weltkriege mit fast 70 Millionen Toten, eingeschlossen des Völkermordes an den europäischen Juden in der Shoah, sehr enge Grenzen auf und definiert sie als reine Verteidigungsarmee. Daher gibt es verfassungsrechtliche Probleme mit einem aktiven Einsatz der BW im Ausland.

„Das Grundgesetz ist ein blinder Spiegel: Man schaut hinein, erkennt aber dort die Bundeswehr nicht mehr. Das Grundgesetz beschreibt eine Truppe, die es nicht mehr gibt. Das Sein und das verfassungsrechtliche Sollen der Bundeswehr passt nicht mehr zueinander…Die Wehrverfassung (von 1956) muss neu und so geschrieben werden… .“ [Süddeutsche Zeitung]

Da eine diesbezügliche Änderung im deutschen Grundgesetz nur mit Zweidrittel- Mehrheit im Deutschen Bundestag möglich ist und die politischen Reaktionen gegenüber einem militärisch wieder selbst aktiven Deutschland (also ohne UN-Mandat oder NATO-Auftrag) weltweit nahezu unkalkulierbar wären, scheuten die politisch Verantwortlichen diese Abstimmung, denn es ist bis heute nicht sicher, ob alle Fraktionen und Bundestags-Abgeordnete diesen Schritt mitgehen würden. Daher werden die Mandate für Auslandseinsätze immer wieder neu im Bundestag beschlossen bzw. um ein weiteres Jahr verlängert.

Die Frage: „Warum gerade Mali?“ ist mit der (längst nicht abgeschlossenen) Transformation der BW, der gestiegenen Bereitschaft Deutschlands Verantwortung bei Friedenssicherungsmaßnahmen mit UN-Mandat oder NATO-Auftrag zu übernehmen und den bisherigen Opfern Frankreichs als UN-Blauhelm- Kontingent (in ihrer ehemaligen Kolonie Westafrika bis 1960) noch nicht hinreichend beantwortet.

Bereits 2007 näherte sich der ehemalige Inspekteur der BW, General Dr. Klaus Naumann diesem Thema, wirkliche Beachtung fanden seine Ausführungen damals aber in der Politik nicht, vermutlich auch deshalb, weil an der Spitze des Verteidigungsministeriums kein erfahrener Militärangehöriger, sondern jeweils ein hoch gedienter Parteisoldat steht. Der Unterschied zu den USA, Kanada und Israel ist signifikant.

„..im oft übersehenen Afrika, einem Kontinent voller natürlichen Reichtums und voller unmenschlicher Krisen. Es sind Krisen höchst unterschiedlicher Natur, oft das Ergebnis des Handelns unfähiger Machthaber, oft die Folge willkürlicher Grenzziehung bei Auflösung der Kolonien. Diese Krisen sind fast immer regional begrenzt, fast alle aber führen zu einem unglaublichen Maß an barbarischer Gewalt und können nicht zuletzt dadurch Flüchtlings- und Migrationsbewegungen auslösen, die dann auch Europa erreichen und berühren können.“ [Ausz. Rede vor Offizieren in Sankt Gallen, 2007]

Der Migrationsdruck gegenüber Europa, insbesondere aus Afrika, ist in wenigen Jahren exponentiell angestiegen und gipfelte 2015 in der (von zahlreichen Sicherheitsexperten als historisch bezeichneten Fehl-)Entscheidung der Bundeskanzlerin, über 1 Million Geflohene ohne jegliche Sicherheitsüberprüfung aus griechischen Auffanglagern quer durch Europa nach Deutschland geholt zu haben. Der danach von der EU und Deutschland geschlossene „Flüchtlingsdeal“ mit der Türkei hat mehr Schaden als Nutzen gebracht und besitzt ein gewaltiges Erpressungspotential, was Erdogan auch schon mehrmals schamlos eingesetzt hat, indem er mit der Durchleitung syrischer und irakischer Flüchtlinge drohte, zahlreiche davon bis an die Griechische Grenze brachte und ohne sich und die Türkei internationalen Sanktionen aussetzen zu müssen, über Völkerrecht hinweg setzen kann, wie jüngst in Norden Syriens in seinem Kampf gegen die Kurden und bei der Okkupation einer griechischen Insel.

Ein bereits funktionierender Flüchtlingsdeal der EU mit Libyen fand mit dem dortigen Bürgerkrieg und der barbarischen Exekution des damaligen Staatschefs Muammar al-Gaddafi ein abruptes Ende. Aber gerade Libyen kommt als Endpunkt der Flüchtlings-Routen quer durch Afrika, seiner Nähe zu Italien und damit zur EU eine ganz besondere Bedeutung zu. Derzeit ist nicht ansatzweise daran zu denken, auch nicht mit viel Geld, Libyen wieder zu einem End- und später auch Verteilerpunkt für Flüchtende noch vor dem Mittelmeer und damit vor der EU, gegen die straff organisierten afrikanischen Schlepperbanden zu machen. Libyen ist faktisch zerrissen. “… das in Tripolis von der UNO betriebene und von der EU bisher mit 320 Millionen EUR finanzierte Flüchtlingslager ist faktisch kollabiert. Dieses Lager ist eine humanitäre Katastrophe im failed state Libyen. [Tagesschau 03.02.20]

Die Kräfte des Generals Chalifa Haftar kontrollieren den Osten des Landes.  …Inzwischen ist das Mittelmeer, vor allem im Südosten, Schauplatz eines Megamachtkampfs geworden, bei dem es um sehr viele Dinge gleichzeitig geht: militärische Vorherrschaft, Wirtschafts- und Rohstoffinteressen, soziokulturelle und religiöse Dominanz….Der Rückzug der USA aus dem Nahen Osten bringt nicht nur Russland auf den Plan. Immer häufiger versuchen Regionalmächte (wie die Türkei) an Einfluss zu gewinnen.[Bundesarbeitsgemeinschaft Politische Bildung]

Jetzt kommt Mali und der Sahel für die EU die strategische Bedeutung zu, die zuvor Libyen einnahm und sie bilden zudem wichtige Rückzugsorte der salafistischen Miliz IS (Daesh), die im Irak und Syrien nicht mehr über nennenswerten militärischen Einfluss verfügen, aber eben längst nicht überall nachhaltig besiegt sind. In Westafrika ist ein wichtiger Ableger von IS und Al-Quaida – Boko Haram – mit dem Ziel tätig, die Scharia zu etablieren und jegliche Bestrebungen in Richtung Normalität oder gar Demokratie im Keim zu ersticken. Die bisherige Bilanz im Einflussgebiet von Boko Haram seit 2009 ist erschreckend. 35.000 Tote und 2 Millionen Menschen auf der Flucht. Berechtigt kann man fragen, warum die internationale Gemeinschaft gerade gegenüber Boko Haram, also dem Westafrika-Ableger des IS, so erfolglos ist. Die Antwort gleicht der Bewertung für die Situationen im Irak nach Saddam Hussein und Syriens östliche Regionen ohne nennenswerten Einfluss von Assad und Russland. Korruption, Infiltration des Militärs, instabile gesellschaftliche Strukturen, finanzielle Hilfen, eine pervertierte Ideologie und Religion, Macht- und Rohstoffinteressen Dritter an den Rohstoffen usw. sind die „Zutaten“ dieses Terrorismus- Erfolgsrezepts.

„Ein Jahr nach dem Ende ihres geographischen „Kalifats“ und ein halbes Jahr nach dem Tod ihres Anführers Abubakr al-Bagdadi melden sich die Extremisten zurück. …von einem endgültigen Sieg über die Extremisten kann keine Rede sein. Der IS verfügt nach wie vor über viel Geld – das unter anderem aus der Plünderung eroberter Städte und aus dem illegalen Ölhandel stammt…“ [Augsburger Allgemeine]

Der Sahel ist ein Trockengebiet südlich der Sahara, in dessen Region geschätzt 33 Millionen Menschen an Unterernährung leiden. Eine Situation, die von nachweisbaren Klimaveränderungen in diesem riesigen Gebiet, quer von der West-zur Ostküste Afrikas nachweisbar ist und zunehmenden militärischen Konflikten Konflikten geprägt ist.

“… Seit dem Zusammenbruch des „Kalifats“ im Nahen Osten haben sich diese verstärkt in den West-Sahel, bis in die Region des Tschadsees, zurückgezogen und terrorisieren die dortige Zivilbevölkerung. Allein im April 2019 wurden bei über 150 gewaltsamen Attacken mehr als 300 Menschen getötet. Über 1.800 Schulen und 80 Gesundheitsstationen in der Region sind inzwischen geschlossen…. [F. Djomeda Welthungerhilfe Landesdirektor Niger]

Deutschland hat insbesondere aus der bisherigen Entwicklung der Migrationsbewegung der letzten Jahre gelernt, dass es eine proaktive, mit der EU und den VN abgestimmte Rolle einnehmen muss. Aus großer wirtschaftlicher Kompetenz erwächst auch große humanitäre, politische und eben auch militärische Verantwortung, auch über die Grenzen Deutschlands hinaus.

Alleine in 2017 und 2018, also innerhalb von 2 Jahren, hat Deutschland ca. 58 Milliarden EUR für Migranten ausgegeben. Das ernüchternde Ergebnis tatsächlicher Integration der Geflüchteten, die aufwendige Berechtigungs-Prüfung von Asylanträgen und damit auch die Rückführung derer, die diesen Schutz gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 nicht genießen lässt den Schluss zu, dass mit dieser gewaltigen Summe in Afrika selbst viel mehr erreicht worden wäre, denn in den Flüchtlingsströmen nach Europa sind sowohl Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge, etwa aus Afghanistan, dem Irak und Syrien, als auch Wirtschaftsflüchtlinge aus dem Maghreb, aus der Sahel und insbesondere auch auch den failed states im Osten und Südosten Afrikas.

In der EU selbst hat die damalige Flüchtlingswelle und die bis heute anhaltenden Flüchtlingsströme über das Mittelmeer gen Italien erhebliche Probleme bei der Verteilung ausgelöst und geschlossene Verträge wie die von Maastricht, Schengen und Dublin fast zum Scheitern gebracht. Bis heute sind es Einzelentscheidungen der jeweiligen EU-Staaten über die Aufnahme von Flüchtlingen, ohne jede Harmonisierung und einen roten Faden.

Für Auslandseinsätze der Bundeswehr seit 1992, also in mehr als 20 Jahren, sind nur ca. 20 Milliarden EUR ausgegeben worden, wobei hier festzuhalten ist, dass für eine Armee im (Auslands-)Einsatz auf 3 Kontinenten diese Summe eher marginal ist und dazu erhebliche Budget-bedingte Defizite im Inland in Sachen Ausrüstung etc. auszumachen sind.

Aus dem unmittelbaren Vergleich der Kosten wird aber deutlich, dass es aus vielen Gründen besser ist, bereits in Afrikas Brennpunkten wie der Sahel entschieden mehr zu tun, als bisher. Wir reden hier nicht von Neokolonialismus und nicht davon, dass die BW in Afrika die Flüchtlinge mit Waffengewalt von der Weiterreise gen EU abhalten soll. Deutschland als Wirtschafts- Flaggschiff der EU muss sich aber zukünftig gerade südlich der Sahara massiv engagieren – weit über militärische Einsätze hinaus (die lt. Mandat keine Kampfeinsätze sind) -, um Fluchtursachen nachhaltig und substantiell zu minimieren und den Menschen zu helfen ein selbstbestimmtes Leben ohne Flucht vor Gewalt und täglichen Kampf für Lebensmittel und Wasser, also purem Überlebenskampf, eigenständig zu organisieren und letztlich damit auch den Wachstumsquellen des Terrorismus gezielt entgegen zu treten sowie den Menschenhändlern und Schlepperbanden die Grundlagen zu entziehen.

Ein solcher Paradigmenwechsel innerhalb der EU, initiiert von Deutschland und Frankreich, fände sicher mehr Gehör, als immer neue Vorschläge für Verteil-Quoten von Flüchtlingen, die es, wie auch immer, nach Europa geschafft haben. Zugleich könnte man einigen NGOs den sprichwörtlichen Wind aus den Segeln nehmen und deren teils fragwürdige Wirken im Mittelmeer in wirkliche Hilfe für Afrika kanalisieren. Hilfe zur Selbsthilfe in Afrika zu organisieren, angefangen bei der Vergabe von Mikro-Krediten für die Landbevölkerung ohne Eigenkapital, Bildungsprojekte, Gesundheitsfürsorge und medizinische Ausbildung, Versorgung mit sauberem Trinkwasser, Kampf gegen die Ausbreitung der Wüsten, eigene Energieversorgung und vieles mehr muss der größere Schwerpunkt sein. Das diese Entwicklung nur in stabilen gesellschaftlichen Verhältnissen möglich ist versteht sich von selbst und auch hier steht die EU in großer politischer Verantwortung. Eine Zusammenarbeit mit Warlords und Despoten ist dafür keine Option.

Deutschland investiert in Afrika etwa ein Zehntel der Summe, die China jährlich aufbringt und selbst die EU als Ganzes liegt noch substantiell dahinter. Afrika muss zukünftig für die EU einen entschieden anderen Stellenwert einnehmen als bisher, wenn es die Probleme Europas nachhaltig anpacken will. Wenn man die Banlieue am Rande von Paris ansieht, erahnt man was die Folgen für die ganze EU werden, wenn Afrika weiter der Hinterhof Europas und seine Müllhalde sein soll.

Von Gerhard Werner Schlicke

Herr Schlicke ist Autor und Freier Mitarbeiter bei den Israel-Nachrichten, er lebt und arbeitet in Deutschland.

 

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Von am 05/06/2020. Abgelegt unter Welt. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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