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Wider das Vergessen: Das Regime der Nationalsozialisten und die Konzentrationslager; – Leben mit dem Tod im Lager 4. Teil

Nur wenige Tage nach der Wannseekonferenz schlug die SS einen schärferen Ton ein. Der Auslöser hierfür war ihre Einsicht, dass man die „grandiosen Siedlungspläne im Osten“ nie mit russischen Kriegsgefangenen umsetzen werden können, denn zu wenige waren in den Konzentrationslagern angekommen, und die größte Masse von ihnen waren inzwischen bereits verstorben. Die SS suchte nun nach Ersatz und fand ihn recht schnell. Anstelle von russischen Soldaten müssten ergo die Juden die gigantischen Siedlungen errichten. Am 26. Januar des Jahres 1942, nur sechs Tage nach der Wannsee-Konferenz, sandte Heinrich Himmler Glücks ein Fernschreiben, in dem er die Richtungsänderung beschrieb.

Russische Kriegsgefangene in Deutschen Lagern. Archiv

Da in naher Zukunft mit wenigen sowjetischen Gefangenen zu rechnen war, erklärte Himmler, er habe beschlossen, eine große Zahl von Juden in die Konzentrationslager zu schicken: „Glücks“, führte er an, „richten Sie sich darauf ein, in den nächsten vier Wochen 100.000 männliche Juden und bis zu 50.000 Jüdinnen in Ihrem Lager aufzunehmen..!“ Der Entschluss, Juden als „Ersatz“ für russische Gefangene zu verwenden, wurde spontan von der obersten Führung des Nazi-Regimes getroffen; – und am 25. Januar, einen Tag bevor er Glücks davon unterrichtete, hatte Himmler den Einsatz von jüdischen Arbeitern via Telefon mit Pohls erörtert. Am Anschluss daran hatte der „Reichsführer-SS“, Himmler, seinen Plan im Führerhauptquartier vorgetragen.

Während man das Mittagessen zu sich nahm ließ Adolf Hitler dort eine Tirade los über die Notwendigkeit, Europa judenfrei zu machen.: „Wenn er, der Jude, dabei kaputt geht, da kann ich nicht helfen. Ich sehe nur eines: die absolute Ausrottung, wenn sie nicht freiwillig gehen. Warum soll ich einen Judenmit anderen Augen anschauen als einen russischen Gefangenen..?“ Wenig später nach dem Mittagsmahl rief Himmler Heydrich in Prag an und setzte ihn ins Bild. Die Notiz für diesen Anruf in Himmlers Dienstkalender lautete: „Juden in die Kl.s.“ SS-Lagerinspekteur Glücks und seine SS-Schergen wurden von Himmlers neuem Projekt kalt erwischt Die Inspektion der Konzentrationslager hatte erst kürzlich einen eigenen, sehr viel bescheideneren Plan zur Ausbeutung einiger jüdischer Häftinge entwickelt.

Als jedoch deutlich wurde, dass man die gigantischen Entwürfe für Majdanek mit russischen Gefangenen nicht durchführen konnte wie die Inspektion der Konzentrationslager am 19.l Januar 1942 andere Konzentrationslager an, „arbeitsfähige“ jüdische Häftlinge nach Majdanek zu schicken. Doch nur eine Woche später erzwang allerdings Himmlers überraschende Botschaft, dass eine riesige Zahl Juden von anderswo unterwegs sei, eine Kehrtwende.

Die „IKL-Verantwortlichen“ (Inspektion der Konzentrationslager) in Oranienburg brachen die kleineren Transporte nach Majdanek sofort ab und konzentrierten sich nunmehr darauf, das Konzentrationslager-System auf die Massenankunft jüdischer Häftlinge von draußen vorzubereiten. Jedoch wer Himmler etwas zu voreilig gewesen, den sofortigen Zustrom von bis zu 150.000 jüdischen Gefangenen anzukündigen, denn nicht zum ersten Mal überstiegen seine Ambitionen die Fähigkeiten von Polizei, SS und der Reichsbahn. So vergingen zwei Monate, bis die ersten Transporte unterwegs waren. Zwischenzeitlich wurden mehrere andere wichtige Entscheidungen getroffen, denn ursprünglich hatte Himmler deutsche Juden zur sofortigen Deportation in die Konzentrationslager vorgesehen, aber dieser Plan wurde fallengelassen.

Stattdessen richtete die SS nun ihre Aufmerksamkeit auf die als „arbeitsfähig“ eingestuften Juden aus zwei anderen Ländern: aus der Slowakei und aus Frankreich! Derweil bestimmte die „IKL“ die Bestimmungsorte für die kommenden Massendeportationen; – Majdanek und Auschwitz! Und diese Wahl lag auf der Hand, denn beide Lager waren zuvor für die Aufnahme immenser Zahlen sowjetischer Kriegsgefangener bestimmt gewesen; – wenn Juden diese nun als Zwangsarbeiter ersetzen sollten, diktierte die Logik der SS, sie in dieselben Lager zu schicken. In der Praxis wurde Auschwitz zum Hauptumschlagplatz für die Deportation von Juden aus West- und Mitteleuropa: wegen seiner größeren Nähe, besseren Transportanbindung und überlegenen Infrastruktur.

Die neue Rolle von Auschwitz veranlasste die SS-Verantwortlichen gegen Ende Februar des Jahres 1942 zu zwei wichtigen Schritten: Erstens beschloss man den Bau eines großen Krematoriums in Birkenau, das in 24 Stunden bis zu 800 Leichen beseitigen konnte. Doch die Pläne für ein großes Krematorium waren nicht neu, denn bereits im Herbst 1941, als man im Auschwitz-Komplex ein riesiges neues Lager für russische Häftlinge vorgesehen hatte, beschlossen die SS-Planer, im Stammlager ein Krematorium mit großer Kapazität zu errichten, um mit dem zu erwarteten Anstieg der Sterblichkeit von Häftlingen fertig zu werden. Dieser Standort wurde wurde nun anlässlich einer Ortsbesichtigung am 27. Februar 1942 vom Leiter des SS-Bauwesens Hans Kammler nach Birkenau verlegt. Große Zahlen jüdischer Häftlinge sollten bald in Birkenau eintreffen, und alle würden letztendlich durch „Vernichtung durch Arbeit“ sterben.

Fortsetzung über die Frauentransporte folgt in der nächsten Ausgabe der Israel-Nachrichten.

Von Rolf von Ameln

Rolf v. Ameln ist Buchautor, sowie IN-Korrespondent in Deutschland und Spezialist für Themen der Zeitgeschichte. Er schreibt seit 25 Jahren für die Israel-Nachrichten.

 

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Von am 19/10/2020. Abgelegt unter Spiegel der Zeit. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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