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(K)eine Urlaubsreise ins Heilige Land

…Und so kam es, dass meine Gattin und ich am 3. Oktober 1986 in der Linienmaschine der Lufthansa von Frankfurt nach Tel Aviv saßen. Ein Herzenswunsch für Rosita hatte sich erfüllt.

Wir saßen am Fenster hinter den Tragflächen und hatten es uns bequem gemacht. Rosita hatte nur widerstrebend die Maschine betreten, denn nie zuvor im Leben war sie geflogen. Es sollte ihr erster Flug werden. Sie necken wollend, sagte ich zu ihr: „Du sitzt direkt am Notausgang; – für den Fall, dass etwas Unvorhergesehenes geschieht. Jetzt hatte ich sie erst recht verunsichert. Auf  einem Klappsitz gegenüber nahm eine Stewardess Platz und schnallte sich an. Die Triebwerke hatten ihren Sicherheitscheck schon lange hinter sich und auch für uns wurde das Zeichen zum Anschnallen sichtbar. Der Start stand bevor und wir rollten langsam zum „Runway“.

Leise vor sich hinschimpfend saß Rosita in ihrem Sitz und sagte zu der uns gegenüber sitzenden Flugbegleiterin: „Wenn wir abstürzen, bringe ich meinen Mann um.“ Ein gequältes Lächeln war die Antwort. Später sagte die junge Frau: „Ich habe auch Angst vor jedem Start.“ Als die Triebwerke aufheulten, wir beschleunigten und die Phase erreicht hatten, in der kein Pilot der Welt den Start mehr abbrechen konnte, meinte Rosita: „Albert, du bist ein unmöglicher Mensch, aber Angst habe ich trotzdem. Der Krach macht mich verrückt.“ Die ach so angespannten Nerven beruhigten sich, als wir die Steigphase hinter uns hatten und die normale Reisegeschwindigkeit erreichten. Wir flogen einem Ziel entgegen, von dem Rosita ein Leben lang geträumt hatte. Wie viel war dieser, unserer ersten gemeinsamen Reise vorausgegangen? Nicht nur für meine Frau, auch für mich wurde der Landeanflug auf Ben Gurion – wie immer – zum Erlebnis. Wieder die berühmte „Rechts-Links-Kurve“, unter uns das Mittelmeer, der Küstenstreifen von Tel Aviv und Jaffa, „ein“, Rosita sagte es, „unvergesslicher Anblick“. Wir setzten auf und rollten aus. Obwohl ich in den Jahren zuvor beruflich im Lande gewesen war, brannte es heiß in mir auf. Ich war zu Hause!

Wir hatten nicht fest gebucht und waren einfach losgeflogen, nach dem Motto: Es wird schon werden. Rosita sah erstmals Palmen, einen azurblauen Himmel und eine Sonne im Zenit, von der sie sagte: Besser kann sie ein Künstler nicht malen.“ Vom Ben Gurion-Flughafen aus verkehrten Überlandbusse.Von hier aus ging auch unser Bus nach Haifa. Wir hatten noch zehn Minuten Zeit, sahen, von einem Fußgänger darauf hingewiesen, ein Werbeschild des Hotel Topaz aus Netanya. „Ich denke, dass wir dort absteigen“, erklärte  ich meiner Frau. Es war Freitag, bald Schabbat-Eingang, als wir losfuhren. Mit uns einige Soldaten, wenige Zivilisten…und…immer mehr Soldaten. Mit unseren Koffern standen wir eingekeilt in der Menge. Das Gepäck kam aus Sicherheitsgründen nicht in den Laderaum, der sich im unteren Teil des Busses verbarg. Zu viele Bombenattentate hatte es gegeben.

Davon wusste Rosita zwar, aber, Politik und Nachrichten interessierten sie nicht sonderlich. Ein junger Soldat bot ihr seinen Platz an. Lächelnd nahm sie das Angebot an. An der nächsten Haltestelle verging ihr das Lachen. Ein zugestiegener Scharfschütze warf sein Gewehr zwischen ihre Beine, noch heute kann ich mich erinnern, dass die Patronenkammer offen und ein Stahlmantelgeschoss vom Kaliber 7,62 zu erkennen war. Der Hintermann schob seine „Uzi“ gleichfalls unter den Sitz, und Rosita starrte mich entgeistert an: „Oh mein Gott! In was für ein Land hast du mich gebracht? Morgen – und das ist versprochen – fliege ich zurück nach Deutschland.“ Ich entgegnete: „Wetten, dass du morgen früh als Erste mit einem freundlichen Schalom den Tag beginnst? – Nein, Albert, nein, da kannst du lange warten!“

Eine Stunde verging, und wir standen vor dem Topaz. Rosita hatte sich abreagiert und betrachtete mit Staunen die Marmorterrasse des Hotels, die Markisen der Balkone des sechsstöckigen Hauses. Sie erblickte Menschen, die teils bedächtige, teils muntere Gespräche führten und die noch wärmende Abendsonne genossen. „Hier ist es schön, so eine freundliche Atmosphäre, Albert! Ich glaube, hier werden wir uns wohlfühlen. Doch, horch, hörst Du auch das Rauschen?“ – „Das ist das Meer; – beruhigend  – oder? Du sagtest doch vor gar nicht langer Zeit, morgen fliegst du zurück nach Deutschland?!“ Ich stichelte ein wenig und zog sie an der Hand die sechs Stufen hinauf, durch die Empfangshalle zur Rezeption. Wir hatten das unglaubliche Glück, tatsächlich ein Doppelzimmer buchen zu können, obwohl das Laubhüttenfest nahe war, denn Eigentümer des Hotels war Oden Levin. Zufall?

Ein klein wenig ängstlich folgte mir Rosita überall hin, ließ mich keinen Augenblick aus den Augen, immer bedacht, nichts falsch zu machen. Scheu wollte sie einem älteren, graumelierten Herrn aus dem Weg gehen, der sie unvermittelt ansprach. „Kommen Sie aus Deutschland…sind Sie Rosita von Stahl…?“ – „Ja“, antwortete meine Frau erstaunt, und er erkundigte sich weiter: „Dann muss das ja Ihr Mann, Albert von Stahl, sein…?“ – „Warum und wozu stellen Sie diese Fragen?“ Rosita wurde unruhig. Ein herzerfrischendes Lächeln und ein Willkommensgruß löste die Spannung. „Gestatten, Schalom Ben Levin, Vater von Karl Levin und Großvater Odens. Ihr Mann hatte noch nicht das Vergnügen, mich zu sehen. Nicht wahr? Jedenfalls wünsche ich ihnen beiden einen angenehmen Aufenthalt in der King David Straße 25…“

Das alles war kein Zufall. Das Institut hatte seine Fühler ausgestreckt, unsere Ankunft mitgeteilt. Eine sanfte Hand begleitete uns durch das Land im Krieg. „Albert, davon hast du nie ein Wort erwähnt. Ich hätte nie gedacht, hier jemanden zu treffen, der unsere Sprache spricht“, sagte Rosita. Sich zu mir wendend, brachte Schalom Ben Levin in nur einem einzigen Satz zum Ausdruck, wie meine Frau auf ihn wirkte: „Sie sieht aus wie eine Sabra!“

Dies wiederum war eines der größten Komplimente, die ein Israeli machen konnte. Meine Frau: eine im Land Geborene! Nach dem Verstauen des Gepäcks überließ ich Rosita der Obhut von Levin, der an der Bar auf uns wartete, und eine lebhafte Unterhaltung begann. Währenddessen teilte ich meiner „Familie“ in Hadera mit, dass wir im Lande seien. Keine halbe Stunde verging und die Familie war in Netanya. Onkel Fritz und Tante Olga waren der Meinung, dass wir hier nicht bleiben konnten, man würde die Gästezimmer für uns richten: „Punktum..!“

Wir einigten uns darauf, dass wir zwei Wochen im Topaz verbringen sollten und die restlichen vier Wochen im Bialik-Quarter-Hadera. Spät in der Nacht gingen wir zu Bett. Und am nächsten Morgen gingen wir zusammen in den Frühstücksraum. „Boker tov Shalom… (Guten Morgen), grüßte Rosita das Personal. Recht bald gesellte sich Schalom Ben Levin zu uns an den Tisch. Auch er hatte Gefallen an meiner Frau gefunden. Lebhaft unterhielten sie sich. Von Abreise keine Spur, kein Wort! Und sie war doch die Erste, die Schalom wünschte – Frieden!

In den nächsten Tagen besuchte uns die „Familie“ in schöner Regelmäßigkeit. Auf wundersame Art und Weise bekamen wir immer mehr Kontakte zu meist älteren Bürgern. Die langen Abende, welche wir mit diesen großartigen Menschen verbringen durften, sind unvergesslich geblieben. Niemand hat uns als Deutsche gehasst – wie manch einer in unserem Lande glaubt -, nein, mit Wehmut im Herzen sprach man von der alten Heimat, von Deutschland. Auch über das schreckliche Kapitel der deutschen Geschichte wurde ohne Scheu und Tabu gesprochen. Seelen teilten sich mit, klagten jedoch nicht mehr an, nicht uns!

Wir nahmen den Inhalt der Gespräche mit zurück nach Deutschland, waren sie doch Lehre und Verständnis zugleich, dass solch Unrecht nie wieder in deutschem Namen geschehen darf. Dieser Verpflichtung sind wir bis heute nachgekommen. Neben den obligatorischen Besuchen der für uns Christen „Heiligen Stätten“ pflegten wir fast ausschließlich die Gespräche und Diskussionen mit der Alten Generation, konnten wir doch nur von ihr lernen, was im Deutschen Reich von 1933 bis 1945 verbrochen worden war. Man gab uns mit auf den Weg, was es heißt, Toleranz auszuüben, andersgläubige Menschen zu akzeptieren, zu schätzen und zu respektieren.

Die zwei Wochen im Topaz waren ein lehrreicher Aufenthalt; Urlaub – im üblichen Sinne – hätten wir auch in Deutschland machen können. Hier möchte ich eine wahre Begebenheit nicht unerwähnt lassen: Im Topaz glaubte ein altes Ehepaar, das den Holocaust überlebt hatte, in meiner Frau ihre im Konzentrationslager Auschwitz ermordete Tochter Rachel wiedererkannt zu haben. Für uns war dies zuerst ein Schock, Verwirrung, Hilflosigkeit! Später zeigten sie ein Foto ihrer Tochter, und wir erkannten die verblüffende Ähnlichkeit: Es hätte sich um Zwillingsschwestern handeln können! Die beiden Alten hatten Tränen in den Augen, wenn sie beim morgendlichen Frühstück meine Frau nach Strich und Faden verwöhnten. Das, was zuerst ein Schock war, wurde zum Schlüsselerlebnis um die Verletzbarkeit der Menschenseele schlechthin. Wir fanden Liebe und Geborgenheit. Keine Sehnsucht nach Deutschland wurde in uns wach.

In diesen zwei Wochen, die wir im Topaz verbrachten, hatte ich oft die Gelegenheit, den alten Damen zuzuhören, wenn sie über Rosita sprachen. Rosa Schapiras Worte waren klar und bestimmt: „Und ich bleibe dabei, sie sieht aus wie eine Sabra…“ – „Kann doch nicht sein!“ entgegnete Mrs. Katzenstein aus Südafrika. „Sie spricht perfekt Deutsch, aber recht hast du, ausschauen tut sie wie eine…“ Neben dem Liebreiz meiner Frau, ihrer Herzenswärme und Hilfsbereitschaft kam ich mir vor wie ein Bauer. Nichts machte ich richtig, obgleich man sich gerne mit mir unterhielt. „Sie rauche zu stark, das vertrage ich nicht…“, so Rosa Schapira. „Er säuft Kaffee wie ein Loch…“, so Edith Katzenstein und: „…seht Euch dieses Nervenbündel an…“, sagte Mrs. Button aus London. Wenn sie aber, neugierig wie sie waren, Neuigkeiten hören wollten, riefen sie mich recht bald zurück, wurden wieder zu dem, was sie waren, Menschen, die den Abschied hassten. Und dennoch wussten, dass er kommen würde.

Am letzten Tag unseres Aufenthaltes, kurz bevor uns die Familie nach Hadera holte, sah ich einen überaus traurig wirkenden Schalom Ben Levin im Topaz herumirren. „Nein, nein, wie hab´ ich mich an diese Frau gewöhnt. Sie wird mir fehlen!“ murmelte er vor sich hin.  Und so begann unser Aufenthalt in Hadera; – aber: Das ist eine andere Geschichte.

Von Rolf von Ameln

ein Auszug aus meinem Buch.

Redaktion Israel-Nachrichten.org

Rolf von Ameln ist Bestsellerautor und war über 20 Jahre Auslandskorrespondent der in Tel Aviv erschienenen Printausgabe der Israel Nachrichten.

Eine Auswahl seiner Bücher finden Sie hier: Von Tel Aviv nach Beirut

 

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Von am 03/01/2014. Abgelegt unter Spiegel der Zeit. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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