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Das Neue Tagebuch 1937: Kriminalaffäre Nobelpreis

„Das Neue Tagebuch“ schreibt in seiner Ausgabe vom 3. Juli 1937 einen satirischen Beitrag über den Nobelpreis, der hier im Originaltext wiedergegeben wird. Geschrieben hat ihn ein gewisser Joseph Roth. Der Herausgeber des Blattes war Herr Leopold Schwarzschild.

Die löbliche, die verdienstliche Resolution, die der „Pen-Klub“ auf seiner letzten Tagung in der tragischen Angelegenheit: Ossietzki gefasst hat, wird wahrscheinlich den Weg aller Resolutionen antreten: den Weg in die Vergessenheit.

Vor der Auszeichnung mit dem Nobelpreis, die sozusagen dem abstrakten Ossietzki zuteil geworden ist, will sagen: dem Begriff des gemarterten deutschen Schriftstellers im „Dritten Reich“, nicht aber dem leibhaftigen, – Got weiss, ob noch lebendigen, – konnte man von Resolutionen einige Wirkung erwarten. Nach dieser Auszeichnung ist eine Resolution nicht mehr genügend. Nun könnte höchstens noch ein englischer Ministrratsbeschluss helfen, nicht aber ein Beschluss der Schriftsteller. Und obwohl man mit großer Sicerheit annehmen kann, dass ein europäischer Ministerrat sich eventuell mit einem Pavillon in der Weltausstellung beschäftigen wird, niemals aber mit einem Menschen, der in einer Latrine des deutschen Konzentrationslagers steckt, wäre es die selbstverständliche Pflicht des Nobelpreis-Komitees gewesen, für seinen Preisträger ein paar „Mächtige dieser Erde“ zu interessieren, und nicht den Ohnmächtigen dieser Erde, nämlich den Schriftstellern, die Sorge um die Gerechtigkeit, um das Leben Ossietzkis und die Ehre des – Nobelpreis-Komitees zu überlassen.

Ich bewundere meine Kollegen, weil sie die Fähigkeit haben, hartnäckig an Methoden festzuhalten, die sich hundertmal als unwirksam, lächerlich und oft sogar als schädlich erwiesen haben. Der Minister und Schriftsteller Goebbels liest die Resolutionen mit dem gleichen Behagen, wie wir einst den „Simplizissimus“. Man kann nicht sagen, dass nach Ossietzki ein Hahn kräht. Im Gegenteil: Alle Hähne krähen nach ihm. In dieser Art, hartnäckig an unfruchtbaren Methoden festzuhalten, werden die Schriftsteller nicht einmal von der seligen Sozialdemokratie übertroffen. Ein dringender Appell an die Welt durch das Radio wäre wirksamer gewesen, obwohl diese Welt wahrscheinlich schon bei den ersten Sätzen den Apparat abgestellt hätte. Ein dringender Appell an den Präsidenten der Vereinigten Staaten hätte für ein paar Tage wenigstens diese „taube Welt“ aufhorchen lassen. Aber die „Resolution“ eines Kongresses, der eigentlich – seien wir ehrlich! – ein Konventikel ist? Ein Protest sub rosa? Wer will das wissen?

Hat der Pen-Klub auch nur eine bescheidene Anstrengung gemacht, dass seine – für die breitere Öffentlichkeit bestimmten – Reden durchs Radio übertragen werden? Und ist etwa auch nur einmal der Versuch gemacht worden, das dichte Dunkel, dass um den Nobelpreis Ossietzkis gebreitet ist, aufzuklären? Denn es herrscht ein Dunkel um den Nobelpreis Ossietzkis. Erstaunlich, dass nach folgendem so selten oder gar nicht gefragt wird: 1.) Wie hat sich Ossietzki – authentisch – zu dem Nobelpreis geäussert? Wem gegenüber? 2.) Wer hat das Geld bekommen: der Staat oder die Frau Ossietzki, – und, wenn keiner von beiden, wer verwaltet es? 3.) Hat das Nobelpreis-Komitee bei der Regierung des „Dritten Reiches“ Schritte unternommen,
a) um über seines Preisträgers Befinden eine klare Auskunft zu erhalten? Wann? Wo? Wer hat geantwortet? Wie hat die Antwort gelautet?
b) Wenn Ossietzki krank ist, hat ein Vertreter des Komitees mit seinem Arzt gesprochen, hat es auch nur den schriftlichen Bericht des Mediziners eingefordert?

Hierher gehört ein Kriminalist und keine Resolution. Es ist ein Kriminalfall. Hat man es schon jemals erlebt, dass einem ein Ehrenpreis verliehen wird und dass der Verleiher dieses Preises sich nicht darum kümmert, ob der von ihm Ausgezeichnete krank oder gequält wird oder irrsinnig geworden? Es war im Krieg üblich, gefallenen tapferen Soldaten eine posthume Auszeichnung zu geben. Es wurde mitgeteilt, im Dienstbefehl verlesen, dass der Ausgezeichnete gefallen ist. Wie ehrlich und sauber sieht hier das Verhalten eines Kommandanten aus, der Kriegspreise zu verteilen hatte! Und so jämmerlich dagegen ein ethischer Aeropag, der Friedenspreise verteilt! Wenn es kein Kriminalfall ist, so ist es eine böse, blutige Komödie. Man kann sich etwa solch einen Briefwechsel zwischen dem Nobelkomitee und dem „Dritten Reich“ vorstellen: Anfrage an seine Exzellenz, den Herrn Lautsprech-Minister Kain in Berlin: „Eure Exzellenz erlauben wir höflichst anzufragen, weshalb ihr Herr friedlicher Bruder Abel, den wir soeben ausgezeichnet haben, seinen Preis nicht abholt. Hochachtungsvoll…“

Antwort: „In Erwiderung Ihres Briefes teile ich Ihnen mit, dass ich die Verleihung eines Friedenspreises an meinen sogenannten Bruder Abel als eine Einmischung in fremde Staatsangelegenheiten betrachte. Herr Abel ist aus Gesundheitsgründen ausserstande, Preise entgegenzunehmen. Jede feudige Botschaft könnte ihn töten. Heil! Kain.“ Telegramm des Komitees: „Dank für die Auskunft! Sind entschlossen, Abel nicht mehr zu gefährden.“ Aber: Wenn schon das Nobelpreis-Komitee versagt, was taten dann die Kollegen Ossietzkis, die engeren meine ich: die Nobelpreisträger? Man möge, noch einmal, die militärische Kameradschaft der Soldaten mit der Solidarität der sogenannten „Geistigen“ vergleichen: Gesetzt den Fall, der Leutnant X und der Leutnant Y sollen wegen eines gemeinsamen Verdienstes, an einem bestimmten Tag, bei einer Truppen-Parade, ausgezeichnet werden. Aus unerklärlichen Gründen fehlt Leutnant Y. In zehn von hundert Fällen wird Leutnant X der militärischen Disziplin nicht entsprechen und nach dem rötselhaften Ausbleiben seines Kameraden fragen.

In fünfzig von hundert Fällen wird Leutnant X der Disziplin gehorchen, aber nicht rasten, bevor er nicht herausgebracht haben wird, wo sein Kamerad Y geblieben sei. Und was taten die Nobelpreisträger, die das Glück hatten, zivilisierten Ländern anzugehören? Sie zogen sich einen Frack an, hielten eine Rede, gedachten nicht einmal mit einem Wort des Abwesenden und gingen mit ihren Preisen auf die Bank, um sie in möglichst sicheren Papieren anzulegen: Preise verpflichten…
Nur ein Schritt weiter und nächstens ist der bekannte Schriftsteller Schicklgruber Kandidat für den Friedens-Nobelpreis. Sein Gesundheitszustand lässt nichts zu wünschen übrig. Er wird bestimmt nach Schweden reisen können.

Das „Neue Tagebuch“ erschien seit 1933 in Paris. Die Zeitschrift war unter dem Titel „Das Tage-Buch“ seit 1920 in Berlin auf dem Markt, herausgegeben von Stefan Grossmann und Leopold Schwarzschild (1891-1950), der aus einer jüdisch-orthodoxen Fraknfurter Kaumannsfamilie stammte und bei verschiedenen Zeitungen journalistisch tätig war. Bei seiner Emigration im Jahre 1933 nahm Schwarzschild die renommierte Zeitschrift mit nach Frankreich und führte sie unter dem neuen Titel bis Mai 1940 fort. Zu den Autoren gehörten neben deutschen Emigranten (Journalisten, Schriftstellern, Politikern) auch angesehene ausländische Köpfe. Zentrales Anliegen der Zeitschrift war es, den heraufziehenden Krieg zu verhindern; – was auch ihnen leider nicht gelungen war!

Von Rolf von Ameln

Redaktion Israel-Nachrichten.org

 

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Von am 02/03/2015. Abgelegt unter Spiegel der Zeit. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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