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Als die Alliierten nach dem Einmarsch der Wehrmacht ins Rheinland die letzte Chance vergaben Hitler zu bremsen

Hitler hatte sich bekanntlich anlässlich der Winterolympiade als „friedfertiger Gastgeber“ in Szene gesetzt, als er Europa an den Rand eines Krieges führte: Auf seinen Befehl hin marschierten seine Soldaten in den frühen Morgenstunden des 7. März 1936 in das Rheinland ein. Wie ein Donnerschlag traf diese Nachricht Paris, erinnerte sich ein französischer Diplomat – schuf die deutsche „Aktion“ doch einen Casus Belli. Im Friedensvertrag von Versailles nämlich, den Deutschland im Juni des Jahres 1919 mit den siegreichen Ententemächten des Ersten Weltkrieges geschlossen hatte, war das gesamte linke Ufer des Rheines zur entmilitarisierten Zone erklärt worden, ebenso ein fünfzig Kilometer breiter Landstreifen, der sich östlich des Flusses erstreckte.

Deutsche Infanterie marschiert über die Hohenzollernbrücke in Köln. Foto: Archiv/RvAmeln

Deutsche Infanterie marschiert über die Hohenzollernbrücke in Köln. Foto: Archiv/RvAmeln

Ob Paris die Besetzung dieses Sicherheitspuffers hinnehmen würde, war die Frage, die über Krieg und Frieden entschied. Diese Stunden und Tage seien die „aufregendste Zeitspanne“ in seinem Leben gewesen, bekundete Hilter noch Jahre später, denn ein Krieg mit den militärisch überlegenen Westmächten konnte im Grunde nur in die rasche Niederlage und in das Ende seiner Herrschaft münden. Doch was als abenteuerliches Vabanquespiel erschien, war eigentlich ein von ihm einkalkuliertes Risiko gewesen. Des Ausgangspunkt der deutschen Planungen bildete die Weltlage, die sich zu Beginn des Jahres 1936 deutlich von jener Anfang 1933 unterschied, als dieser Jahrhundertverbrecher zum deutschen Reichskanzler ernannt worden war.

Bereits im Oktober 1933 hatte sich Deutschland aus dem Völkerbund und von der Abrüstungskonferenz zurückgezogen und anschließend forciert aufgerüstet, Mit zunehmendem Rüstungsstand vom Zwang zum vorsichtigen Taktieren befreit, wurde im März 1935 die Existenz einer Luftwaffe eingeräumt und die allgemeine Wehrpflicht eingeführt. Den deutschen Vertragsbrüchen mit militärischen Mitteln entgegenzutreten, barg somit für Frankreich und England, die Hauptgewährsmächte des Status quo, ein immer größeres Risiko. Im Herbst des Jahres 1935 war es dann der italienische Diktator Mussolini gewesen, der die politischen Spannungen für einen imperialistischen Eroberungsfeldzug im östlichen Afrika ausgenutzt hatte.

Sein Anfang Oktober 1935 begonnener Abessinien-Krieg aber hatte den faschistischen Appenninstaat innerhalb der Weltgemeinschaft isoliert und in zunehmende Abhängigkeit vom Reich Hitlers gebracht. Die Wirtschaftssanktionen des Völkerbundes, der nach dem Ersten Weltkrieg zur dauerhaften Friedenssicherung gegründet worden war, vermochten Italien trotzdem nicht aufzuhalten. Dass es den westlichen Mächten an der Fähigkeit und dem Willen fehlte, der kriegerischen Expansion Einhalt zu gebieten, unterstrich Hitler mit seiner Aktion, die von der Überzeugung getragen war, nicht mit Widerstand gegen seine Gewaltoperation rechnen zu müssen. In dieser Situation, in der sich das Interesse der Welt auf Afrika richtete, entschloss er sich deshalb, die ohnehin brüchige Staatenordnung mit der Rheinlandbesetzung zu sprengen.

Und in der Tat war der Status der entmilitarisierten Rheinlandzone nicht nur das letzte Fragment des Vertrages von Versailles, sondern auch Kernelement des sogenannten Rhein- und Westpaktes, auf dem die Nachkriegsordnung aufbaute. Dieser war Hauptbestandteil der im Oktober 1925 paraphierten Locarno-Verträge. Er verpflichtete Deutschland, Frankreich und Belgien zum Verzicht auf eine gewaltsame Veränderung der im Versailler Vertrag für Westeuropa festgelegten Grenzen. England und Italien hatten die Garantie übernommen, jedem Versuch zur kriegerischen Abänderung durch militärische Unterstützung entgegenzutreten. Explizit war im Westpakt auch die im Versailler Vertrag geregelte Entmilitrisierung der Rheinlandzone bekräftigt worden; jedwede Stationierung von Militär sollte als flagrante Vertragsverletzung gelten, die das Eingreifen der Garantiemächte auslösen sollte.

Mit dem Vertragswerk von Locarno, das von Schiedsverträgen mit Polen und der Tschechoslowakei flankiert wurde, war ein Friedenssystem etabliert worden, das Hitler nunmehr aufzukünden beabsichtigte. Als ihm die Lage im Frühling 1936 günstig erschien, trat die Rheinlandbesetzung in ihre akute Vorbereitungsphase. Frankreich und die Sowjetunion, die sich im Osten durch Japan, im Westen durch Deutschland bedroht sah, hatten einen Beistandspakt geschlossen, für den im März 1936 die Ratifizierung in Frankreich anstand. Dies nahm der deutsche Diktator nun zum Vorwand und Anlass für seinen Überraschungsschlag. Auftragsgemäß verschaffte sich der deutsche Botschafter bei Mussolini Gewissheit, dass Italien seine Rolle als Garantiemacht des Locarno-Vertrages nicht wahrnehmen würde.

Adolf Hitler erteilte den Oberbefehlshabern der Wehrmacht die Einsatzbefehle, die ganz absichtsvoll den Einmarsch als symbolischen Akt vorsahen: Das Gros der Truppen sollte auf rechtsrheinischem Gebiet Stellung beziehen, während nur drei Bataillone für den Einzug in Aachen, Trier und Saarbrücken vorgesehen waren. Noch während des Einmarsches richtete Hitler an den Reichstag eine Regierungserklärung, die er ganz an die Westmächte abstellte. In wortreichen Ausführungen deutete er seine eigene Aggression zum Defensivschritt um: Paris habe mit dem französisch-sowjetischen Beistandspakt den Rheinpakt gebrochen und er müsse nu die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands gegen diese Militärallianz sichern, lauteten seine Argumente.

Plakat weiter mit Hitler. Foto: Archiv/RvAmeln

Plakat weiter mit Hitler. Foto: Archiv/RvAmeln

Zugleich unterbreitete er Vorschläge für einen großen „Friedensplan“: Für den Westen bot er den Abschluss von Nichtangriffspakten an; das Rheinland war er bereit zu räumen, sofern Frankreich eine gleichgroße Zone entmilitarisieren würde, und auch eine Rückkehr in den Völkerbund stellte er in Aussicht. Die Gründe hierfür waren jedoch rein taktischer Natur: Im Augenblick des eigenen Vertragsbruches mit neuen Friedensabkommen zu locken, sollte lediglich den Gewaltstreich am Rhein abschirmen. Während die englische Regierung bereit war, die Vorschläge Hitlers zu sondieren, wurde diese von der französischen Regierung zu einer gemeinsamen Gegenmaßnahme gedrängt. Allein nämlich wollte Frankreich nicht handeln.

Der französische Generalstab scheute das Risiko eines Alleingangs, und ferner amtierte in Frankreich eine Übergangsregierung, die folgenschwere Entschlüsse nicht fassen konnte und wollte. Das englische Kabinett verurteilte zwar den Vertragsbruch Deutschlands, sah aus verschiedenen Gründen aber keinen Grund zur Intervention. So beschränkte sich die Reaktion der Westmächte auf eine hektische Betriebsamkeit zwischen Paris und London. Diese Aktivitäten allerdings genügten bereits, um Berlin in fieberhafte Anspannung zu versetzen. Bedrängt von seinem Reichskriegsminister Blomberg, der nach Meldungen aus London einen Gegenschlag fürchtete, schien Hitler einen Augenblick geneigt, den Befehl zum Rückzug zu geben.

In dieser Situation war es Außenminister Neurath, der zur Fortsetzung drängte und somit den Erfolg des Coups sicherte, der zur „sprunghaften machtpolitischen Aufwertung“ führte. Das Reich konnte fortan seine Westgrenze in einem Bunkersystem absichern, das Schutz vor einer französischen Intervention bei einem Angriff nach Osten bot. Ferner hatte sich Frankreich als unfähig erwiesen, seine Rolle als Gewährsmacht des Status quo wahrzunehmen. Dass die kleineren Staaten Südeuropas nunmehr die Anlehnung an das erstarkende Nazi-Reich suchten, war eine Folge davon. Die in den in den vorangegangenen Überraschungscoups bereits mehrfach bewährte Taktik Hitlers, vollendete Tatsachen zu schaffen und diese mit wohlfeilen Friedensangeboten zu bemänteln, ging erneut auf.

Der Völkerbund, der die Rheinlandbesetzung zur Verletzung des Locarno-Paktes erklärte, beließ es auch dieses Mal bei der Verurteilung. Die letzte Chance Hitlers Expansionskurs ohne das Risiko eines großen Waffenganges zu beenden war damit vertan. Mehr noch: Die Westmächte, die in der Abessinienkrise ihre politisch und moralische Grundlage für ein Vorgehen gegen Deutschland verwirkt hatten, spornten mit ihrer Passivität den Diktator an, seinen dogmatischen Eroberungs- und Vernichtungsvorsatz mit gestiegenen Selbst- und Sendungsbewusstsein weiterzuverfolgen.

Und so konnte das Unheil seinen Lauf nehmen.

Von Rolf von Ameln

 

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Von am 07/08/2016. Abgelegt unter Spiegel der Zeit. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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