Meine Seite

Abonnieren

  • Subscribe via Email
  • Facebook
  • Twitter

Edgar Hilsenrath und Hedwig Brenners Unterhaltung im Jahr 2007 in Berlin

Einer der großen deutschsprachigen Nachkriegsschriftsteller war er, Edgar Hilsenrath, da gibt es keinen Zweifel. Die Themen seiner Bücher sind schwer, für so manchen kaum lesbar, zimperlich ging er auch mit der Sprache nicht um. Selbst erlebt hat er, worüber er schrieb. Am eigenen Leib hat der die Barbarei der Nazis erlebt.

Edgar Hilsenrath 2007. Foto: Wollmann-Fiedler

Aus erster Hand erfahren wir über das jüdische Leben damals als er, der in Leipzig 1926 geborene, mit der Mutter und dem Bruder vor Hitler zu den Großeltern nach Rumänien, in die Bukowina flieht. 1938 kamen die Weitgereisten dort an. Sereth/Siret ist der Ort, wo überwiegend jüdische Bewohner, auch Zigeuner, Deutsche, Ukrainer, Russen, Polen und Rumänen miteinader lebten, etwa vierzig Kilometer südlich der Hauptstadt Czernowitz.

„Die ersten Monate in Sereth, also der Spätsommer und Herbst 1938, waren die schönsten in meiner Kindheit gewesen. Hier in der Bukowina, in diesem kleinen osteuropäischen Ort, fühlte ich mich zum ersten Mal frei von der täglichen Bedrohung der Nazis“ schreibt Edgar Hilsenrath in „Die Abenteuer des Ruben Jablonski“

Bis 1918 gehörte die Bukowina, das Buchenland, zum Habsburger Reich, man sprach Deutsch, eher das Bukowiner Deutsch und Jiddisch. Rumänisiert wurde nach dem 1. Weltkrieg in Windeseile. Edgar Hilsenrath verbrachte so manche Schulferien in „seiner“ Idylle Sereth, kannte die Gepflogenheiten, das Leben und die verschiedenen religiösen Kulturen in dem Landesteil und viele Bewohner des Städtchens. Die Bevölkerung hatte von dem Nazi Hitler gehört, doch niemand glaubte daran, dass er es bis zu ihnen über die Karpaten schaffen würde. Man war ja weit weg von Deutschland. Doch vieles sollte sich ändern.

Die Deutsche Wehrmacht überfiel 1941 die Sowjetunion und schon war die Idylle beendet. Die Rumänen mit Marschall Antonescu, verbündeten sich mit der Deutschen Nazidiktatur, die faschistische Eiserne Garde trieb ihr Unwesen und kurz darauf wurde der Großteil der jüdischen Bevölkerung aus verschiedenen Provinzen in Viehwaggons nach Transnistrien in Ghettos und Arbeitslager deportiert, so auch Edgar Hilsenrath als Fünfzehnjähriger zusammen mit Mutter und Bruder, Großvater, Tante und Onkel. Transnistrien lag zwischen den Flüssen Dnjestr und Bug. Hinter dem Bug stand die SS und erschoss die Juden bedingungslos. Auf die Deportierten warteten in Transnistrien Ghettos und Arbeitslager und der Tot. Die Menschen verhungerten oder erfroren, schafften die schwere Arbeit nicht, starben an Typhus oder wurden erschossen. In seinen literarischen Beschreibungen macht er nicht halt vor menschlicher Schwäche anderer Juden im Ghetto. Durch Schmuggeln und Tauschen im Ghetto konnte sich seine Familie über Wasser halten. Von Edgar Hilsenrath erfahren wir, dass die meisten Serether in Transnistrien starben, nur wenige kamen zurück. Als Massensterben bezeichnet er die Katastrophe. Er, Edgar Hilsenrath, kam 1944 aus Transnistrien nach Sereth zurück. Junge Leute wurden zum Aufbau Palästinas gesucht. Über eine zionistische Organisation fuhr er mit fünfhundert anderen Auswanderern mit gefälschtem Pass von Bukarest über Bulgarien, der Türkei, Syrien und dem Libanon nach Palästina.

„Bukarest war einst eine faszinierende Stadt, viele nannten sie Klein Paris. Ich war 1941 in Bukarest und hatte eher den Eindruck von Klein Shanghai. Ein orientalisches Chaos herrschte in dieser Stadt…Bettler und Schuhputzer und schöne Frauen und elegante Nachtlokale und schäbige, kleine Imbißstuben,…Schubkarren und elegante Fiaker, Taxis und Autos. Man sah orthodoxe Juden mit Schläfenlocken und Kaftan und Pelzmütze neben elegant gekleideten Geschäftsleuten…Jetzt wirkte alles ein bißchen müder, schäbiger, nicht so laut“ aus E. Hilsenrath Die Abenteuer des Ruben Jablonski“.

Doch nur kurzzeitig lebt er an der Levante. „Tel Aviv berauschte mich. Endlich mal wieder eine richtige Großstadt. Tel Aviv war rein jüdisch, die arabische Bevölkerung lebte in der Nachbarstadt Jaffa“, schreibt er in dem gleichen Buch und geht 1947 zu seiner sich wiedergefundenen Familie nach Frankreich, nach Lyon, bereits Anfang der 1950iger Jahre zieht er weiter nach New York. Das Schreiben wird seine Profession und zu großem Ruhm gelangt er bereits in den USA mit seinem Buch Der Nazi & der Friseur in englischer Sprache. Nach vielen Absagen kann erst Jahre später das Buch auch in Deutschland erscheinen. In mehrere Sprachen werden seine Bücher übersetzt und in Millionenauflagen verkauft. Doch ihm fehlt die deutsche Sprache, sie ist seine Sprache und so kommt er 1975 in West-Berlin an. Der Massenmord an dem armenischen Volk wird ebenfalls zu einem wichtigen Thema des Schriftstellers.

Edgar Hilsenrath und Hedwig Brenner 2007 in Berlin. Foto: Wollmann-Fiedler

Edgar Hilsenrath lernte ich am 7. Oktober 2007 in Berlin im Stadtteil Friedenau kennen. Tage zuvor skypte ich mit meiner alten Czernowitzer Freundin, der Lexikographin, Hedwig Brenner, die ihre dritte Heimat in Haifa 1982 gefunden hatte. Sie wollte in einigen Tagen zu mir nach Berlin kommen, ein neues Buch vorstellen und ein Gespräch mit Edgar Hilsenrath haben. Lesungen für sie hatte ich organisiert und nun kam noch ein Termin mit Edgar Hilsenrath hinzu. Hedwig Brenner hatte anhand eines Familienfotos festgestellt, dass sie und die Ruckensteins verwandt sind. Noch am Nachmittag ihrer Ankunft aus Israel in Schönefeld fuhren wir gemeinsam nach Friedenau zu dem Schriftsteller Hilsenrath. In seiner kleinen Wohnung, vollbeladen mit Büchern, wurden wir wie alte Freunde empfangen und von Chiara mit Kaffee und feinstem selbstgebackenem Kuchen versorgt. Schon bald befand ich mich mental in der Herrengasse in Czernowitz im „Wiener Cafe“ und lauschte dem Gespräch der beiden, die sich zuvor nie gesehen und gesprochen hatten. Die beiden „Bukowiner“ kannten alles und alle. Wie alte Freunde plauderten sie über Menschen, die sie gemeinsam kannten, über Orte und Straßen, die ihnen in Erinnerung waren. Über Freunde und Verwandte, die in Transnistrien umgekommen waren oder andere, die überlebt hatten und wer weiß wohin ausgewandert waren. Edgar Hilsenrath erzählte, dass seine Bukowiner Großmutter eine geborene Ruckenstein war und Bubi Ruckenstein seine Mutter als junges Mädchen heiraten wollte, doch sie wollte nicht. Bubi hat dann Binuta geheiratet, eine Verwandte von Hedwig, eine Verwandte der Familie Feuerstein und Langhans. Edgar Hilsenrath besuchte Binuta 1944 in Chernowitz als er aus Transnistrien kam, und er erzählte, dass sie vis a vis vom Theater gewohnt hat. In der Bischof Harkmanngasse war von Hedwig Brenner zu hören. Ach, ja, und Hedwig Brenner, meine alte Freundin Hedy, erzählte ihm, dass sie in der Herrengasse, der Promenade von Czernowitz, und später in der Maria Theresiengasse wohnte, eine kurze Gasse mit dem pompösen Namen, wo auch das Deutsche Schülerheim war. Außerdem könne man in fünfzehn Minuten nicht die Kultur von Czernowitz erzählen. Eine interessante kurzweilige Unterhaltung entstand im „Wiener Kaffeehaus“, und ich durfte zuhören!

Drei Tage später las Hedwig Brenner aus ihrem 2. Familienbuch „Mein 20. Jahrhundert“ und erzählte über ihre „Künstlerinnenlexika“ im Centrum Judaicum in der Oranienburger Straße und Edgar Hilsenrath kam als Zuhörer mit seiner Begleiterin.

Am 30. Dezember 2018 starb Edgar Hilsenrath in der Eifel mit zweiundneunzig Jahren, Hedwig Brenner bereits vor zwei Jahren im Alter von Achtundneunzig in Haifa.

Von Christel Wollmann-Fiedler

Frau Wollmann-Fiedler ist Journalistin, Fotografin und Autorin der Israel-Nachrichten. Sie lebt und arbeitet in Berlin und in Bukarest, Rumänien.

 

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie uns bitte mit einer Spende, oder werden Sie Mitglied der Israel-Nachrichten.

Von am 13/01/2019. Abgelegt unter Europa. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

Durch einen technischen Fehler, ist die Kommentarfunktion ausgeschaltet!

Leserkommentare geben nicht die Meinung der Redaktion wieder. Wie in einer Demokratie ueblich achten wir die Freiheit der Rede behalten uns aber vor, Kommentare nicht, gekuerzt oder in Auszuegen zu veroeffentlichen. Anonyme Zuschriften werden nicht beruecksichtigt.