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5 Sterne-Bewertungen –

eine moderne, aber doch schon etablierte und bewährte Möglichkeit, mittelständische Firmen, Hotels, Gewerbetreibende, insbesondere Dienstleister aller Art, im Internet transparent zu bewerten und Unterschiede zwischen den Mitbewerbern innerhalb eines Ortes, einer Region auf einen Blick deutlich zu machen. Falsch angewendet, auch möglicherweise der Türöffner zum Sozialdarwinismus.

Bereits per Definition trägt der Sozialdarwinismus faschistoide und inhumane Züge, nicht umsonst findet diese Theorie insbesondere in den Reihen, völkischer, nationalistischer und neofaschistischer Apologeten und politischer Parteien am äußersten rechten Rand seine Anhänger.

Der Sozialdarwinismus ist eine: „Bezeichnung für eine soziologische Erklärung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklung, nach der sich im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wettbewerb nur derjenige durchsetzen kann, der mit den sich ändernden Umweltbedingungen durch seine biologischen Anlagen oder Ausstattung am besten fertig wird, während die Nicht-Anpassungsfähigen eliminiert werden (Selektion). Indem die Überlebenden als biologisch Tauglichste (Survival of the Fittest) bezeichnet werden, erfolgt eine Rechtfertigung der bestehenden gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse.“ [Dr. Ingo Mecke, Bundeskartellamt]

Ein insbesondere bei jungen Leuten beliebtes TV-Format im deutschen Privatfernsehen hat mit seiner diesjährigen Staffel, ob bewusst oder unbewusst, eine ethische Grenze überschritten, indem sie die bisher nur für Firmen angewendete 5-Sterne-Bewertung auf einzelne Personen übertragen hat. Über einen Zeitraum von 100 Tagen halten sich 12 m/w/d (männlich, weiblich, divers) -Teilnehmer in einem von der Außenwelt abgeschotteten Bereich auf (früher ein armer und ein reicher Bereich), heute mit rustikaler Blockhütte mit eingeschränkter Versorgung und Komfort und einem luxuriösen Glashaus, ohne Versorgungs-Limit wenn sich die Teilnehmer das in kleinen Challenges erspielen. Dabei werden die „Bewohner“ mit unterschiedlichsten Herausforderungen konfrontiert, vor allem aber rund um die Uhr vollständig mit unzähligen Kameras und Mikros aufgezeichnet. In den letzten 10 Jahren war es faktisch immer so, dass deren tagtägliches (und nächtliches) Verhalten und insbesondere deren Leistungen bei den Challenges von den Zuschauern „bewertet“ wurden, indem sie für ihren bevorzugten Kandidaten (kostenpflichtig) anrufen und ihm/ihr damit einen weiteren Verbleib im Haus zu ermöglichen versuchten und somit für ihn /sie die Chance auf den Gesamtsieg mit einer hohen Gewinnsumme vergrößerten. Als Belohnung für den Anruf konnten und können die Anrufer auch selbst einen attraktiven Gewinn erhalten. Rechnet man die Einschaltquoten und Anrufhäufigkeiten zusammen, dann ist die Wahrscheinlichkeit eines Gewinnes (Auto, Geld etc.) für den Anrufer nicht höher als beim Lotto. Dass dieses TV-Format eine Gelddruckmaschine für den Sender ist stört dabei niemanden wirklich, alle machen es ja schließlich freiwillig.

Völlig neu bei dem diesjährigen TV-Format ist, dass jetzt den Teilnehmern im Haus täglich 5-Sterne-Bewertungen sowie ein positiver und ein negativer Kommentar von den Zuschauern aus den Social Medien am Bildschirm gezeigt werden, ohne dass diese die Möglichkeit haben, mit den „Verfassern“ wie bei den Social-Media-Kanälen (Facebook, Twitter, Instagram, Pinterest, Snapchat, Reddit und Linkedin) sonst üblich zu interagieren und sich adäquat zu wehren. Auch auf grenzwertige und beleidigende Kommentare einzelner Zuschauer kann keiner antworten und daher sind diese Kommentare besonders gefürchtet. Selbst sonst scheinbar toughe Bewohner geraten schnell an ihre emotionale Grenze und stellen sich selbst in Frage. Bei den „Bewohnern“ mit der schlechtesten Sterne-Bewertung kommt es regelmäßig zu emotionalen Zusammenbrüchen, weil immer die Frage nach dem „Warum“ im Raum steht und das Damoklesschwert der Nominierung für den nächsten Rauswurf als Ranking-Schlechtester über ihm / ihr schwebt. Bei den am besten Bewerteten ist es eher umgekehrt, dort steht die Frage, wie kann ich an der Spitze bleiben. Alle anderen im Mittelfeld wollen natürlich im Zuschauer-Ranking steigen und schon gar nicht sinken. Nicht wenige fangen dadurch an, sich selbst charakterlich zu verbiegen und eher eine Show abzuliefern, die eigene Meinung wird weitgehend verborgen und Diskussisonen werden soft und seicht geführt, um ja nicht im Ranking zu sinken. Für die Zuschauer dieser TV-Show ist die Bewertung mit einer Auswahl von 5 Sternen sehr einfach und zudem noch kostenfrei über eine App des TV-Senders machbar. Jeder kann also nach Herzenslust die „Bewohner“ hypen oder deklassieren und dafür sorgen, dass deren Ranking in der Gruppe sinkt.

Mit zunehmender Geschäftstätigkeit im Internet, im Online-Handel und zunehmenden Vergleichs- und Dienstleistungsportalen hat sich das aus den USA stammende Bewertungssystem mit 5 Sternen durchgesetzt und wird heutzutage faktisch überall im alltäglichen Internet-Geschäftsleben eingesetzt, um ein Ranking der Firmen, insbesondere zu den s.g. Soft-Skills (unfreundliche Mitarbeiter können ganz schnell zu einem Ausschlusskriterium für die Firma werden), zu Zuverlässigkeit, zu Seriosität, Schnelligkeit usw. für den User transparent zu machen. Darüber hinaus spielen dann auch kaufmännische Kriterien und handwerkliche Qualität eine wichtige Rolle um ein realistisches Firmen-Ranking aufzubauen. Dagegen ist bis dato nichts einzuwenden, wohlwissend dass dieses 5-Sterne-Bewertungssystem wie alle Online-Bewertungen manipulierbar ist und damit nicht vollständig als alleiniges Bewertungskriterium genutzt werden sollte.

Mit der Überschreitung der stillen Konsens-Grenze, eine Online-5-Sterne-Bewertung auf Personen anzuwenden ist ein gefährlicher soziologischer Dammbruch vollzogen (wenn auch in einem streng abgeschlossenen Bereich mit wenigen Menschen), birgt aber -wenn das Schule macht – erhebliche Gefahren für den gesellschaftlichen Frieden und kann schnell dazu führen, Sozialdarwinismus in der gesellschaftlichen Praxis anzuwenden, ohne ihn als solches zu nennen. Eine Soziale Marktwirtschaft wäre dann nicht nur obsolet, sondern faktisch nicht mehr (wieder) herstellbar.
Was sind denn marktwirtschaftliche Bewertungskriterien und wer könnte dann wie bewertet werden?

Banker, Börsianer, Schönheitschirurgen und Ärzte ohne Kassenbindung, Spitzensportler und sonstige Besserverdienende mit 5 Sternen?
Die breite Masse der Normalverdiener irgendwo dazwischen und Mütter mit Kindern am unteren Rand?

Arbeitsuchende, allleinerziehende Mütter, Geringverdiener und Mini-Jober, Sozialhilfeempfänger, chronisch Kranke und Menschen mit Behinderung mit nur 1 Stern?

Der Wert des Menschen wird so auf den schieren Markt-Wert reduziert, ohne Empathie, ohne Menschlichkeit und ohne die Bereitschaft zur Fürsorge für Hilfsbedürftige, etwa durch karikative Tätigkeiten im Ehrenamt.
Wenn dieses Sterne-System durch die schleichende Akzeptanz in der Gesellschaft später Anwendung bei der Kreditvergabe und Ratenkauf, bei Krankenkassen, Versicherungen oder gar bei potentiellen Arbeitgebern Einzug halten würde, dann ist es nicht mehr weit, bis Menschen wieder politisch und rassistisch motiviert einen Stern in der Öffentlichkeit tragen und sich demütigen lassen müssen. Sehr schnell wird die Parallele zu den „Nürnberger Gesetzen“ vom 15.09.1935 sichtbar, die dann am 01.09.1941 in die von
Nationalsozialisten in Kraft gesetzte „Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden“ mündete. „Alle jüdischen Bürger über sechs Jahre hatten den gelben Davidstern, in der NS-Propaganda „Judenstern“ genannt, gut sichtbar an ihrer Kleidung zu tragen. Ein weiterer Schritt der Diskriminierung – der letzte vor Beginn der Deportationen in die Vernichtungslager.“[Welt.de 31.08.16]

Vom Stigma zur gesellschaftlichen Ächtung aus niederen Gründen, all das kann Sozialdarwinismus. 5-Sterne- Bewertungen in der Wirtschaft sind für die Verbraucher sinnvoll und richtig, auf Menschen angewendet allerdings in historischer Verantwortung gegenüber den 6 Millionen ermordeter Juden in der Shoah vollständig abzulehnen.

Von Gerhard Werner Schlicke

Herr Schlicke ist Autor und Freier Mitarbeiter bei den Israel-Nachrichten, er lebt und arbeitet in Deutschland.

 

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Von am 13/03/2020. Abgelegt unter Europa. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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