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Historisches Abkommen zur Shoah in Luxemburg

Als Rahmen für die vor 20 Jahren begonnene Aufarbeitung der Shoah wurde jetzt mit vielen nationalen und internationalen Akteuren in Luxemburg ein Grundlagenvertrag geschlossen, der die Lehren aus der Geschichte für die Gegenwart bewahren und institutionalisieren soll.

76 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und sechs Jahre nachdem sich Premier Xavier Bettel für die Beteiligung Luxemburger Einrichtungen an der Shoah entschuldigt hatte, hat das Großherzogtum ein Abkommen „über nichtbeantwortete Fragen im Rahmen der Plünderung des jüdischen Besitzes im Zusammenhang mit der Shoah“ zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit unterzeichnet. Das Abkommen basiert auf einer leidvollen Geschichte, es ist jedoch auf die Zukunft gerichtet und will mit einer wissenschaftlichen und pädagogischen Aufarbeitung der Vergangenheit die Zukunft vorbereiten und Lehren aus der Geschichte ziehen.

Unterzeichnet wurde das Abkommen durch die „World Jewish Restitution Organization“ (WJRO) am internationalen Holocaust Gedenktag, dem 27. Januar, an dem Tag, an dem das KZ Auschwitz 1945 befreit wurde. Mitunterzeichner waren die luxemburgische Regierung und die jüdische Gemeinde Luxemburgs gemeinsam mit der WJRO und der „Luxemburger Stiftung zur Erinnerung an die Shoah“ vertreten durch deren Präsidenten Francois Moyse. Das Abkommen hat einen finanziellen Rahmen von 25 Mio. Euro. Die vor knapp drei Jahren gegründete „Luxemburger Stiftung zur Erinnerung an die Shoah“ erhält für die nächsten 30 Jahre ein Budget von jährlich 120.000 Euro. Damit soll sie einerseits die Arbeiten über die sogenannten „Schlafende Bankkonten“ fortsetzen, auf denen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges noch immer Gelder blockiert sind, weil sie nie verlangt wurden oder keine Eigentümer ausfindig gemacht werden konnten. Das Gleiche gilt für Versicherungsgelder. Zwei Arbeitsgruppen sollen sich damit beschäftigen, auch Nachforschungen über die aus Luxemburg verschleppten Kunstwerke sollen angestellt werden.

Gleichzeitig bekommt die Stiftung zusätzliche Aufgaben, darunter die Einrichtung und Unterhaltung der jüdischen Gedenkstätten. Das ist eine besonders große Herausforderung: Der Staat hat nämlich das ehemalige Herz Jesu Kloster von Cinqfontaines/Fünfbrunnen bei Ulflingen gekauft, in dem zwischen 1941 und 1943 eine Art Sammellager/Ghetto für die letzten 300 jüdischen Einwohner Luxemburg eingerichtet war, vor deren Deportation nach Osten. Vor diesem ehemaligen Kloster war auch 1969 das erste Shoah Denkmal von Luxemburg durch den damaligen Ober Rabbiner Bulz eingeweiht worden, an dem jedes Jahr am ersten Sonntag im Juli der jüdischen Opfer der Shoah gedacht wird. In den Räumlichkeiten dieses Hauses soll eine Dauerausstellung zur Shoah aber auch Schulungsräume für Schulen und Besuchergruppen eingerichtet werden. 2018 war dann in der Nähe der Kathedrale ein zentrales Denkmal an die Shoah eingeweiht worden.

Aufgestockt werden auch die Mittel für das „Comité pour la mémoire de la Deuxième Guerre mondiale“. Dieses direkt dem Staatsministerium unterstellte Gremium soll zum ersten Mal, die Vertreter der Zwangsrekrutierten, des Widerstandes und der Opfer der Shoah an einen Tisch bringen. Das gespannte Verhältnis zwischen diesen Gruppen hatte jahrelang die Aufarbeitung der Shoah in Luxemburg behindert. Aus dieser Zusammenarbeit sollen jetzt gemeinsam Lehren der Geschichte für die Zukunft vorbereitet werden. Zwei Millionen Euro gehen an die wissenschaftliche Arbeit: Gefördert werden damit die universitäre Forschungsarbeit, aber auch individuelle Recherchen. Und dann soll auch eine nationale Strategie zum Kampf gegen Antisemitismus erarbeitet werden. „Dieses Abkommen lindert nicht das erlittene Leid. Es soll jedoch diesen Menschen ihre Würde wiedergeben, so wie es eine offene, tolerante und respektvolle Gesellschaft schuldig ist“, sagte der Premierminister.

„Die heutige Vereinbarung ist ein tiefgreifendes Bekenntnis Luxemburgs zur Bewahrung der Erinnerung an die Juden, die während der Nazi-Besatzung Luxemburgs verfolgt und ermordet wurden“, sagte Gideon Taylor, Chair of Operations, World Jewish Organization (WJRO). Bei der Unterzeichnungszeremonie sagte Taylor weiter: „Die Vergangenheit und die Zukunft sind untrennbar miteinander verbunden. Dieses Abkommen erkennt sowohl an, was in der Vergangenheit auf dem Boden des besetzten Luxemburgs geschehen ist, aber es enthält auch einen Plan zur Aufklärung für die Zukunft. Diese Vereinbarung sagt zwei Dinge. Erstens: Geschichte ist wichtig. Zweitens: Die Zukunft muss noch geschrieben werden, und das Verständnis der Vergangenheit kann uns helfen zu lernen, wie wir eine bessere und gerechtere Welt schaffen können.“ Tayler dankte Premierminister Xavier Bettel für seine Führungsrolle in diesen Fragen, aber auch dem ehemaligen US-Botschafter J. Randolph Evans für seinen unermüdlichen Einsatz für Gerechtigkeit für Holocaust-Überlebende sowie dem US-Sonderbeauftragten für Holocaust-Fragen Cherrie Daniels, sowie dem israelischen Botschafter Emmanuel Nachshon, dem israelischen Sonderbeauftragten für die Wiedergutmachung des Holocausts, Botschafter Dan Haezrachy, und Avi Weber vom israelischen Ministerium für soziale Gleichheit. „Es war für mich wichtig, den Worten auch Taten folgen zu lassen“, erklärte Premier Bettel bei der Vorstellung des Dokumentes, das er zusammen mit Finanzminister Pierre Gramegna und dem Vorsitzenden des israelitischen Konsistoriums, Albert Aflalo, unterzeichnete. Auch der Vertreter der „World Jewish Restitution Organization“ Dimitri Dombret war Mitunterzeichner. Diese 1993 gegründete Organisation mit Sitz in Jerusalem ist weltweit mit der Rückerstattung des Vermögens von Opfer der Shoah betraut und wird auch die praktische Umsetzung des Abkommens in Luxemburg übernehmen.

Hintergrund

Es wird geschätzt, dass während der deutschen Besatzung zwei Drittel der damals fast 5000 in Luxemburg lebenden Juden keine Staatsbürger des Landes waren. Regierungsberichte, die 2009 und 2015 in Luxemburg veröffentlicht wurden, erkennen an, dass Juden, die keine Staatsbürger waren, nach dem Kriege keine Entschädigung für die Beschlagnahmung ihres Eigentums während des Holocausts erhielten. Besonders hart getroffen waren die als Flüchtlinge in Luxemburg lebenden deutschen Juden, die nach dem Krieg nicht mehr als Verfolgte betrachtet wurden, sondern den Stempel „Deutsche“ aufgedrückt bekamen. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrten etwa 1.500 Juden nach Luxemburg zurück und heute leben etwa 1.200 im Land.

Vor zwei Jahren, als Luxemburg die Präsidentschaft der „International Holocaust Remembrance Association“ (IHRA) innehatte, hatte sich Premierminister Xavier Bettel mit einer internationalen Delegation der WJRO und dem damaligen US-Sonderbeauftragten für Holocaust-Fragen, Tom Yazdgerdi getroffen. Zugegen waren damals auch Vertreter der Jüdischen Gemeinde Luxemburgs und US-Botschafter J. Randolph Evans. Im Anschluss an das Treffen setzte der Premierminister eine Arbeitsgruppe ein, die sich aus Vertretern der luxemburgischen Regierung, der Jüdischen Gemeinde Luxemburgs und der World Jewish Restitution Organization zusammensetzte, die sich mit offenen Fragen aus der Zeit des Holocausts befassen sollte. Die jetzt unterzeichnete Vereinbarung beeinträchtigt nicht die bestehenden Rechte, die Einzelpersonen haben, um Eigentumsansprüche geltend zu machen.

Von Bodo Bost

Bodo Bost ist Journalist und freier Mitarbeiter der Israel-Nachrichten. Er berichtet über aktuelle Themen über Judentum und Israel in Europa, er lebt und arbeitet in Luxemburg.

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Von am 15/02/2021. Abgelegt unter Europa. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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