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Wir sind Juden aus Breslau – Ein Film von Karin Kaper und Dirk Szuszies

Beide Filmemacher im Gespräch mit Christel Wollmann-Fiedler

Breslau war die viertgrößte Stadt im Deutschen Reich und hatte die drittgrößte jüdische Gemeinschaft nach Berlin und Frankfurt am Main. Fast 24.000 Juden sollen zu Beginn der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts in Breslau gelebt haben. Adolf Hitler kam 1933 an die Macht und kurz darauf fanden Verfolgungen gegen jüdische Mitbürger jeglicher Art statt. Politische Gefangene wurden zu Beginn interniert, später kamen „rassisch minderwertige“ Gruppen, Juden, Homosexuelle, Sinti, Roma, Zeugen Jehovas, u.a., hinzu. Die Nazis wollten die Welt beherrschen, zerstörten mit Macht auch in Breslau die jüdische Kultur, zerstörten die Synagogen und andere jüdische Einrichtungen, zerstörten das Leben der jüdischen Familien. Nachdem das Ghetto in Breslau aufgelöst wurde, begannen die Deportationen in die Vernichtungslager. In Kowno/Kaunas, Litauen, fanden nach der Ankunft sofortige Erschießungen statt, ab 1942 gingen die Transporte direkt nach Auschwitz, Sobibor im Distrikt Lublin im Osten Polens, nach Riga in Lettland oder Theresienstadt in Nordböhmen, Tschechien, zum Töten. Nur wenige haben überlebt. Wer fliehen oder untertauchen konnte hatte eine Chance zu überleben, einige gingen in die Emigration als es noch möglich war.

Ihr beide habt Euch auf den Weg begeben, habt vierzehn überlebende Breslauer Juden in der weiten Welt aufgesucht, habt Gespräche mit Ihnen geführt. Über die Kindheit, über die Familie, die Eltern und das damalige Leben in Breslau haben sie Euch erzählt. Ein Film entstand aus diesen Begegnungen. Andere Themen hatten Eure früheren Filme. Wie seid Ihr auf dieses Thema gekommen, warum ausgerechnet Breslauer Juden?

Karin Kaper und Dirk Szuszies. Foto: Wollmann-Fiedler

Dirk: Wir wurden animiert von den Wissenschaftlerinnen Maria Luft und Katharina Friedla. Katharina Friedla hat ein großes Werk geschrieben: „Juden in Breslau/Wroclaw, 1933-1949, Überlebensstrategien, Selbstbehauptung und Verfolgungserfahrungen, das 2015 im Böhlau-Verlag in Wien, erschienen ist. Dieses Werk ist die wissenschaftliche Grundlage unseres Films. Katharina Friedla hat einige Jahre in Yad Vashem gearbeitet, hat einen polnischen, israelischen und einen deutschen Pass, eine wirklich bemerkenswerte Wissenschaftlerin.
Karin: Die andere ist Maria Luft, die am Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im Östlichen Europa in Oldenburg arbeitet. Sie ist eine große Breslauliebhaberin, spricht fließend Polnisch, kennt dort viele Menschen. Sie hatte sich Gedanken gemacht: Jetzt wäre doch wirklich der letzte Moment, um diese Zeitzeugen zu interviewen und mit ihnen einen Film zu machen. Das ging dann rasend schnell, weil wir natürlich wussten, wenn wir das wollen, müssen wir es sofort machen. Es handelt sich um fünfundachtzig- bis fünfundneunzigjährige Überlebende. Maria und Katharina haben auch für uns die Protagonisten ausgewählt. Katharina Friedla kannte sich sehr gut aus und wusste, wer lebt wo, hatte ebenfalls Erfahrungen mit Interviews, dachte an die Unterschiedlichkeit der Menschen usw. Dann sind wir beide sofort los nach New York, Washington, London und dann nach Israel. Das waren die Orte, die wir in ziemlich kurzer Zeit besuchten, um diese Menschen zu treffen.
Dirk: Maria Luft kannte unseren Film „Aber das Leben geht weiter“. Sie meinte, dass wir wohl für dieses Thema die richtigen wären, nachdem sie sich die Geschichte der Juden in Breslau als Thema vorgenommen hatte.
Sie ist eine sehr gute Freundin vom jetzigen Stadtpräsidenten Rafal Dutkiewicz. Sie kennen sich aus Studienzeiten. Diese beiden, Maria Luft und Rafal Dutkiewicz, hatten auch Kontakte zur Bente-Kahan-Stiftung vor Ort in Wroclaw/Breslau und Katharina Friedla mit ihren ausgezeichneten Verbindungen kam hinzu. Als sie dann zu uns kam und mit uns sprach, waren wir sofort angetan. Ein folgerichtiges Thema in unserer Laufbahn als Filmemacher. Es gab von Anfang an keine Diskussion darüber, ob wir mit diesen von ihr vorgeschlagenen vierzehn Menschen arbeiten wollen. Wir hatten großen Respekt vor der Aufgabe. Wie sollen wir das schaffen? Oft sieht man Filme und das zurecht, in denen konzentriert ein Schicksal herausgegriffen wird und diese eine Geschichte dann auch erzählt wird. Wir wussten nicht, was auf uns zukommt mit den vierzehn Lebensschicksalen.

Wie Ihr zu dem Film gekommen seid, habt Ihr erzählt. Erzählt bitte über die Begegnungen mit diesen alten Menschen, die damals Kinder oder Jugendliche waren, ein recht behütetes Leben in der schönen Stadt Breslau hatten, zum Teil kaum wussten, dass sie Juden waren. Das liberale Judentum hatte Einzug gehalten als Schlesien zu Preußen kam. Wie wurdet Ihr aufgenommen, musstet ihr zuvor Kontakt mit ihnen aufnehmen?

Karin: Ja, Kontakt musste zuvor aufgenommen werden. In Israel hat Katharina Friedla das getan, sie hat die Protagonisten vorbereitet. Einige von ihnen hatten schon des Öfteren Interviews gegeben, doch es gab auch andere, wie Eli Heymann, der sein ganzes Leben als Bauer gearbeitet hat. Er war erschrocken als er erfuhr, dass wir Deutsche sind. Zum Glück waren wir vor Ort und konnten ihm erklären, was wir fragen und was wir mit dem Film anfangen werden, worauf es hinausgehen soll und was uns im Gespräch wichtig ist. Dann ist das Eis gebrochen und er hat sich auf das Gespräch eingelassen. Zuerst mussten wir viel von uns erzählen, von unserer Lebensgeschichte. Das war uns natürlich auch sehr wichtig, wir wollten ja nicht mit der Tür ins Haus fallen. Die Kommunikation musste aufgebaut werden, schon bevor wir drehten. Wir waren auch ein bisschen gestresst, weil wir ja nicht viel Zeit hatten. Soundso viel Drehtage in Amerika, soundso viel Drehtage in Israel. Das bedeutete für uns, dass wir uns wirklich beeilen mussten, um das alles auf die Reihe zu bekommen.
Dirk: Wir hatten aber einen glücklichen Stern. Stress, wenig Zeit, es musste im Grunde genommen bei der ersten Begegnung funktionieren, miteinander reden können, ohne, dass es steif wird. Ja, so hatten wir Glück, dass keine Probleme auftraten, auch technisch lief alles problemlos. Wir konnten die alten Menschen nicht auffordern, alles nochmal und nochmal zu erzählen. Zeit ist diesen alten Menschen sehr wichtig und wahnsinnig kostbar. Alles musste im Rahmen bleiben. Zu Abend haben wir mit ihnen gegessen, der Mann von Renate Lasker-Harpprecht, der Journalist Klaus Harpprecht, lebte damals noch, und wir hatten einen sehr schönen Tag an der Cotes d‘Azur miteinander. Auf Renates Terrasse hatten wir gute Gespräche. Bei Renates Schwester, Anita Lasker-Walfisch, waren wir zuhause in London. Sie überließ uns sehr gute Materialien, Fotos usw., auch die Broschüre von der Französin, die alle KZs besucht hat. Wir zeigen das im Film, ein ganz wichtiges Dokument, sehr wertvoll. Es war sehr viel Vertrauen von den Menschen da. Keiner hat vor der Premiere den Film gesehen. Wir haben ihnen zugesichert, dass wir keine Kommentare geben, jeden Zeitzeugen für sich sprechen lassen. Als sie den Film gesehen haben, waren sie erstaunt, wie unterschiedlich die Gespräche waren. Das Spektrum ist groß, von wirklichen Zionisten bis hin zu Atheisten, auch unterschiedlichen politischen Einstellungen. Durch die Filme zuvor hatten wir Erfahrung mit älteren Menschen und mit ihnen umzugehen. Wir haben früher auch mal Theater gemacht und gelernt mit alten Leuten zum Beispiel laut zu reden. Die einzelnen Interviews waren lang und konzentriert.

Wo habt Ihr Euch alle zusammen den Film angeschaut? Konntet Ihr alle vierzehn Zeitzeugen zusammenbekommen?

Dirk: Nein, nein
Karin: Einige sind zur Premiere nach Wroclaw gekommen, einige auch nach Berlin. Wir beide waren jetzt im Frühjahr in Washington, New York und Boston.
Dirk: In Washington leben Walter Laqueur und Guenter Lewy. Walter Laqueur ist sechsundneunzig und konnte nicht mehr ins Jewish Cultural Center kommen, nur Günter Lewy und seiner Frau war es möglich. In Boston waren wir eingeladen von dem Boston Jewish Filmfestival, die zur Ehrung unserer Protagonistin Esther Adler eine Sondervorführung in ihrer Seniorenresidenz organisierte. Esther ist ja unsere Poetin, mit wahnsinnig viel Pfeffer, die wirft dort den ganzen Laden, ist bekannt wie ein bunter Hund, weil sie alle bekehrt, belehrt und aufklärt. Das war für sie auch etwas ganz besonderes, der Saal war zweimal proppenvoll. Uns war das auch sehr wichtig und für sie eine große Ehre.
Dirk: In New York fand die Filmpremiere im Deutschen Generalkonsulat statt. An dieser Veranstaltung nahmen Gerda Bikales, David Toren und Abraham Ascher teil. Leider konnte Fritz Stern nicht mehr dabei sein, da er kurz zuvor gestorben war.
Den Film in Israel so rasch wie möglich zu zeigen, geht in Erfüllung. Die fünf größten Israelischen Kinematheken beurteilen den Film als besonders wichtig und werden die Kosten für die hebräischen Untertitel übernehmen. Ab Mitte April 2018 werden wir Regisseure den Film persönlich in Tel Aviv, Haifa, Holon, Sderot und Jerusalem präsentieren.
In Israel leben Eli Heymann, die Brüder Pinchas und Max Rosenberg sowie Mordechai Rotenberg, der 2009 den großen Preis von Israel bekommen hat. Er ist eine wichtige Person. 2005 gründete er das Rotenberg Institute/Center for Jewish Psychology in Memory of Boaz Rotenberg.

Wofür hat er den Preis des Israelischen Ministerpräsidenten bekommen?

Dirk: Er hat mit Kriegskindern gearbeitet, um deren Traumata aufzuarbeiten. Dann war er Schauspieler und hat nochmal angefangen zu studieren und ist Psychoanalytiker geworden. 1938 kam er mit der Familie aus Breslau nach Palästina. Er hat 1948 sehr aktiv für Israel gekämpft, Zahn um Zahn am Damaskus Gate usw. Es ist genauso traumatisiert weitergegangen.
Dirk: Er kam mit seiner gesamten Familie nach Breslau/Wroclaw zur Premiere. Nach Deutschland allerdings wäre er nie gekommen.
Um das Vertrauen zu den alten Menschen aufzubauen war Katharina Friedla sehr wichtig, sonst wäre die Schranke runtergegangen bei ihnen. Sie war die Vertrauensperson, sie hat den alten Menschen versprochen, dass wir sinnvoll mit dem Filmmaterial umgehen.

Ihr habt Euch alle in Breslau getroffen, hattet Ihr Unterstützung von der Bente-Kahan-Stiftung oder vom Stadtpräsidenten. Irgendjemand musste ja in Breslau organisieren?

Karin: Einmal gab es einen Anruf von der Bente-Kahan-Stiftung, als Max Rosenberg mit seiner Familie dorthin fuhr. Man sagte uns, dass er siebzig Jahre nicht in Breslau war und dass sein Besuch bestimmt interessant für uns wäre.
Da sind wir natürlich sofort hingefahren und haben ihn vor Ort in Breslau begleitet. Das war sehr berührend, weil mit uns anfing Deutsch zu sprechen. Seine Familie hatte nie ein deutsches Wort von ihm gehört. Das war sehr bewegend.
Kurz danach sind wir zu ihm nach Israel und haben Zuhause mit ihm das Interview gemacht. Dann gab es den Workshop mit den Jugendlichen, wozu vier Protagonisten eingeladen wurden, dazu die Jugendlichen aus Bremen und aus Wroclaw, eine gemischte Gruppe, auch Katharina Friedla war dabei und hat sie eingeführt in die Biographien dieser Zeitzeugen Zusammen haben sie dort eine Woche verbracht. Das war ein unheimlich intensiver Austausch, das weit darüber hinausging, was eigentlich geplant war. Die Besuche im Gefängnis z.B., auch haben sie sich danach privat getroffen und haben andere Orte zusammen besucht. Dieser Austausch war wirklich sehr befruchtend zwischen den ganz Jungen und den ganz alten Menschen.

Ihr habt das alles gefilmt. An die Szenen erinnere ich mich. Wer hat die Kamera geführt?

Dirk: Das war diesmal ich
Karin: Und ich habe Ton gemacht. Das war kaum zu schaffen, so intensiv, so unglaublich, wirklich von früh bis spät.
Dirk: Wir haben gemerkt, dass die Begegnungen mit den Jugendlichen ein schöner Einstieg ist, den Rahmen gibt und den Zuschauer mitnimmt. Der Zuschauer ist ja in einer unwissenden Haltung, wie die Jugendlichen. Sie werden dann so langsam reingeführt in den Film und dann übernehmen unsere Zeitzeugen das Thema und am Ende sieht man nochmal die beiden polnischen Jugendlichen, die dann bei der Gedenkveranstaltung am 9. November wunderschön sagen, dass sie sich verpflichtet fühlen, das Gehörte, das Empfundene, weiterzugeben.
Es war auch super, dass wir von der Bente-Kahan Stiftung und Bente Kahan selbst und der Stadt Wroclaw, Rafael Dutkiewicz, Unterstützung hatten. Beim Bahnhof mussten wir auch viel bitten und betteln, denn sie können sehr bürokratisch sein. Das war schwierig. Als Filmemacher war ich platt, als man uns erlaubte, mit Anita Lasker-Walfisch in den Knast zu gehen, denn man bekam dort Beklemmungen. Mit dieser Genehmigung konnten wir das gut visualisieren. Dutkiewicz hat für die Genehmigung gesorgt.
Karin: Wolfgang Nossen musste dreimal die Woche zur Dialyse, das wurde auch vor Ort gut organisiert. Er war eine Woche in der Stadt seiner Kindheit. Diese ganzen Organisationen alleine waren sehr umfangreich, wofür wir eine Menge Unterstützung bekommen haben.
Dirk: Als die Stadt das Filmprojekt angekündigt hatte, ist sie heftig beschimpft und bedroht worden. Sie musste sich einiges Unschöne anhören.

Ich habe gesehen, dass die Nationalisten am Nationalfeiertag so brutal aufgetreten sind, dass mir angst und bange wurde. Waren das archivierte Aufnahmen oder habt Ihr diese Aufmärsche selbst erlebt und diese Szenen gegenwärtig gefilmt?

Storch Synagoge in Breslau. Foto: Wollmann-Fiedler

Karin: Ja, wir vor Ort filmten den Marsch der gegenseitigen Achtung am 9.11.2015 von der Synagoge zum Weißen Storch, die wieder aufgebaut wurde, bis zur alten Synagoge, die in der Kristallnacht zerstört wurde. Für uns war dieser Marsch sehr wichtig. Wir erfuhren, dass zwei Tage später radikale Nationalisten am Nationalfeiertag durch die Innenstadt Breslaus ziehen. Uns wurde gesagt, dass das gefährlich werden kann. Aber wir als Dokumentarfilmer müssen der Wirklichkeit ins Auge sehen. Wir hatten auch Angst davor, aber wir waren dann dabei und haben das erlebt. Einfach erschreckend. Wir hörten schon von weitem die Chöre, die schallten schon über Kilometer.
Dirk: Der Begriff, mit dem sich diese Gruppierung selbst schmückt, heißt „Radikale Nationalisten“. Wir haben uns Tage später ein Foto besorgt, auf dem zu sehen ist, wie der Rädelsführer dieser Bande die Karikatur einer Judenpuppe auf dem Marktplatz in Breslau verbrannt hat. Wir fanden es wichtig, diese gegenwärtigen politischen Bedrohungen in den Film mit aufzunehmen. Manchmal meinte der eine oder andere Zuschauer, ob wir das denn zeigen müssten? Dann geht es immer zur Sache und man hört, „ja ihr Deutschen zeigt jetzt die bösen Polen, dürft ihr das denn?“. Das ist sicherlich ein delikates Thema. Doch wir wollen nicht mit dem Finger auf die Polen zeigen, aber wir können es Ihnen auch nicht ersparen. So sehen wir das. Ich muss aber noch sagen, dass in den Augenblicken, in denen es sehr heftig wurde, ich immer nach Karin schaute, ob alles in Ordnung ist, musste auch darauf achten, dass die Kamera nichts abkriegt, ich war sehr nervös.
Karin: Man merkt in den Gesprächen mit den Zuschauern und was sehr positiv ist, dass die Leute das nicht nur auf Polen beziehen, sondern das auch europaweit mit einbeziehen und auch das, was bei uns in Deutschland vor der Haustür passiert.
Dirk: Für unsere Zeitzeugen war das natürlich schockierend. Sie haben ja alle kaum eine Verbundenheit zu, ehemaligen deutschen Breslau, aber Fritz Stern hat dann noch wichtige Persönlichkeiten der Solidarnosc kennengelernt und hat sich in das polnische Wiederaufbauleistung verliebt, in Wroclaw und hat ja auch seine gesamte Bibliothek der Universität Wroclaw vermacht. Wir haben dann aber auch noch diese Bemerkungen in den Film genommen, wie sie in der Lage waren, dies Breslau wieder zu besuchen, weil es Polnisch und nicht mehr Deutsch war. Sie haben es im Prinzip begrüßt, wie Fritz Stern auch sagt, unter dem Namen Breslau habe ich nur eine Horrorvorstellung…und bin froh, dass es jetzt Polnisch ist.

Ich muss nochmal auf diese Demonstration zurückkommen, weil sie mich dermaßen umgeworfen hat, weil sie so brutal verlief. Wir kennen solche Demos von Neonazis mehr oder weniger, ich selbst habe noch keine an mir vorbeiziehen sehen. Dieses Geschrei ist mir so unter die Haut gegangen und das, was sie gebrüllt haben. Man kann es eigentlich nicht in Worte fassen. Es ist grausam!

Dirk: Uns hat das genauso umgeworfen, wie Dich jetzt auch. Es war ja am 11.11., dem Polnischen Nationalfeiertag, der ja normalerweise so abläuft, das man ihn nicht kritisieren kann. Familien mit Kind und Kegel und Fahnen sind dabei, es wird gefeiert mit großer Begeisterung. Da haben die Polen auch ein Recht zu. Kein Problem. Als dann die radikalen Nationalisten im Straßenbild auftauchten, konnte man sehen, wie am Straßenrand die anderen Bürger fassungslos und betreten, starr auf das Ganze guckten, entsetzt, aber auch wehrlos. Es sollte eine Gegendemo geben, die wurde aber von den Veranstaltern abgesagt, weil man aufgrund der Größe dieser Demo schwere Auseinandersetzungen fürchtete.
Karin: Es gab ja auch in den vorherigen Jahren diese Demonstrationen, nur nicht in dieser Größenordnung. Es gab nicht solche Menschenmassen. In Warschau und anderen großen Städten gibt es diese Aufmärsche ja auch.

Die Stadt hat nichts dagegen unternommen? Man kann ja auch Demonstrationen verbieten.

Dirk: Nein, sie haben sie nicht verboten.
Karin: Als einige Tage später die Karikatur einer Judenpuppe auf dem Marktplatz verbrannt wurde, hat jedoch Rafal Dutkiewicz, der Stadtpräsident, den Rädelsführer dieser Aktion vors Gericht gebracht. Der Rädelsführer wurde angeklagt und zu neun Monaten ohne Bewährung verurteilt.

Ich finde diesen Film besonders gut, weil Ihr nicht nur in der Vergangenheit herumgewühlt habt, sondern auch in die Neuzeit, in die Gegenwart, gegangen seid. Die Protagonisten sind mit Euch durch Breslau gegangen, sie haben sich gefreut, sie haben erzählt. Das finde ich besonders schön. Nun kommen wir zu Eurer Filmarbeit zurück. Wer hat das Drehbuch zum Film geschrieben?

Dirk: Das hat sich eigentlich durch „learning by doing“ ergeben. Wir haben nicht mit einem fertigen Konzept angefangen. Zuerst stand die Entscheidung, es zu tun. Wir haben Maria Luft gleich gesagt, dass man so ein Projekt ohne Geld nicht stemmen kann. Sie hat dann gleich mitgeholfen, die Anträge an verschiedene Institutionen zu stellen, beim Bundeskulturministerium, Robert Bosch Stiftung, ZEIT-Stiftung und andere. Alle haben recht zügig signalisiert, dass das Geld kommen wird. Dann sind wir los. Beim Erzählen und Zuhören der alten Menschen wurde uns klar, wir können keinen nostalgischen Breslaufilm machen. Diese Menschen sind hier, die haben Israel mit aufgebaut, die haben ihr Leben in Amerika gerettet. Die Familien sind vernichtet worden, doch sie selbst haben dann ein langes Leben gehabt. Dann kam die große Frage, wie wir dramaturgisch diese vierzehn Menschen bewältigen. Das war grauenhaft in der Montage. Wie viel Wichtiges ist nicht im Film, wir hatten eine Nervenkrise nach der anderen. Wir versuchten es dann individuell, es musste aber den Film vorantragen. Am Anfang des Films haben wir in aller Ruhe diese vierzehn Gesichter. Das ist fernsehuntauglich, da würde jeder ausschalten. Im Kino funktioniert das sehr gut. Später ist auch nicht mehr der einzelne Name wichtig, sondern nur noch was er sagt und, dass die Konzentration dabei bleibt.

Der Film wurde bundesweit und international in vielen Städten gezeigt. Ich sah ihn im vorigen Jahr in Potsdam-Babelsberg und war von Eurem Werk beeindruckt und begeistert. Auch andere müssen begeistert gewesen sein. „Die Regisseurin Karin Kaper bekam im August 2017 im Theater am Domhof in Osnabrück den 41. Kulturpreis Schlesien des Landes Niedersachsen verliehen“. Karin, ich sehe das als hohe Anerkennung Deiner Arbeit, Deines Films, Eures Films „Wir sind Juden aus Breslau“. Bist Du zufrieden, wünschst Du Dir mehr für diesen Film?

Ich habe mich natürlich sehr gefreut über den Preis, besonders, weil er für die Verdienste um die Deutsch-Polnische Verständigung verliehen wird. Uns ist das ein ganz großes Anliegen. Der Film läuft in Wroclaw immer noch, wir wollen den Film natürlich auch in andere Orte in Polen bringen. Das ist uns ganz, ganz wichtig. Da versuchen wir für das Jahr 2018 eine Tour aufzubauen. Der Film ist richtig unterwegs. Das macht uns glücklich. Wir fragen natürlich auch Lehrer und Kulturinstitute, um den Film hier und dort zeigen zu können, oder ob jemand Ideen hat. Da wir nur zu zweit sind, sind wir für jede Unterstützung dankbar.

Jetzt gehe ich nochmal rasch an den Anfang unserer Unterhaltung. Warum Breslau, warum Schlesien? Hattet Ihr eine Beziehung schon früher als Kinder oder in der Schule zu diesem ehemaligen deutschen Gebiet? Weshalb habt Ihr Euch Breslau ausgesucht?

Karin: Einerseits kommt es natürlich aus meiner Familiengeschichte. Wir haben den Film „Aber das Leben geht weiter“ gemacht. Meine Familie kommt aus einem schlesischen Dorf. Wir haben einen Film gemacht über die Vertreibung meiner Familie aus Schlesien und gleichzeitig die Geschichte der polnischen Familie, die dort jetzt lebt und vertrieben wurde aus ehemals ostpolnischen Gebieten und eine lange Odyssee durch Sibirien erlebt hat. Es ist ein Sechsfrauenfilm aus drei Generationen, es geht um diese Verbundenheit, dieses sich näher kommen. Dieser Film liegt uns sehr am Herzen, er ist auch sehr erfolgreich gewesen. Wie wir schon zu Anfang sagten, war es Maria Luft, die uns auf diese Breslauidee gebracht hat. Sie kannte diesen Film.
Dirk: In „Aber das Leben geht weiter“ wird die polnische Familie von den Sowjets aus ihrem Dorf in Ostpolen nach Sibirien verschleppt. Dann gelang ihnen die Flucht und sie kamen nach Kirgistan. Die junge Edwarda Zukowska kämpfte dann in einem polnischen Verband der Roten Armee und lag mit ihrer Einheit bei Kriegsende vor Warschau. Später wurde sie demobilisiert und in das Dorf Niederlinde, in dem die Familie von Karins Mutter lebte, geschickt. Edwarda wurde der Hof der deutschen Familie zugewiesen. Ein Jahr lebte sie dort noch zusammen mit Karins Familie, bis die Deutschen dann endgültig vertrieben wurden. Die Enkelin von Edwarda heißt Gabriella Matniszewska und wohnt nun schon lange mit ihrem Mann und ihren Töchtern in Breslau. Bei einem unserer Besuche in Breslau lernten wir sie und ihre Familie kennen. So bekamen wir durch diese wachsende Freundschaft immer mehr einen Bezug zu Breslau. Als Maria Luft dann mit dem Vorschlag kam, waren wir sofort begeistert. Das passt, meinten wir. Wir haben persönlich keinen jüdischen Hintergrund bei diesem Filmprojekt, doch hatten wir gute und kompetente wissenschaftliche Begleitung.

Alle Informationen zum Film unter www.judenausbreslaufilm.de

Ich danke Euch für die interessanten und wichtigen Informationen und sage: macht weiter so!

Von Christel Wollmann-Fiedler

 

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Von am 05/01/2018. Abgelegt unter Europa. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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