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Erinnerungen an den Lyriker und Bildhauer Manfred Winkler

Im April 2014 begegnete ich dem Lyriker und Bildhauer Manfred Winkler. Es war meine erste und letzte Begegnung. Vor einigen Tagen wurde er in Israel beerdigt.

Jerusalem

Himmel von Dächern gelb
und dunkelgrün von Bäumen,
zwischen Türmen heben sich Minaretts,
Stimmen der Hohepriester.
Du bist ein tiefes Bett der Liebe,
doch nicht weniger wunderbar der Haß
auf deinen Gliedern, er könnte dich zwei- oder dreiteilen
wie ein Brot mit Übergewicht.

Die, die Brücke geworden im Krieg, sind schon im Himmel,
die andern in Kontoren oder auf Arbeitssuche,
als wäre nichts geschehen. Doch du mußt bleiben
ungeteilt, mit Haß und Liebe und den
Wildtauben, die niemand sieht.
(Manfred Winkler)

Ein altes, sehr altes Paar wartete auf mich in Zur Hadasa, in den Bergen Westjudäas, nahe Jerusalem. Das uralte strahlende Paar sitzt auf weißen Gartenstühlen neben dem Haus, neben der Wohnungstür im Souterrain, beide auf den Stock gestützt. Manfred Winkler und seine Frau Herma erwarten mich, die Unbekannte. In die Wohnung führen sie mich, wo sie umgeben von vielen Erinnerungen und bildhauerischen Kunstwerken leben. Gestützt auf einen Stock steht mir Manfred Winkler, der bekannte Bukowiner Lyriker gegenüber, seine Frau, die gewesene Herma Levin aus Czernowitz, lächelt.

Plastiken von Manfred Winkler stehen in den Regalen, auf Kommoden und auf Fensterbänken in Ton und Stein. Gelernt hat er die Bildhauerei nie, zwei, drei große Talente ruhen in ihm. Auch zum Dichten braucht man ein Talent, meint der alte Mann, der Lyriker Manfred Winkler. An keiner Universität dieser Welt kann man das Schreiben von Gedichten lernen, im Inneren bewahrt man sie und schreibt sie nieder. Als Schüler hat er bereits gesündigt und „Gedichtchen“ geschrieben, verrät der Dichter. Mitglied des PEN-Zentrums Deutschsprachiger Autoren im Ausland ist er, ebenso in der Deutschen Sektion des Rumänischen Schriftstellerverbandes. Die Bildersammlung an den Wänden erklärt er mit freundlicher Mine, nennt Namen der Maler, oft Freunde, auch Portraits von ihm sind dabei. In seinem Arbeitszimmer liegen verstreut Bücher von Paul Celan und immer wieder Celan, Skripten, eigener Werke in deutscher und hebräischer Sprache, ein Buch von Mascha Kaleka erkenne ich und Young-ae Chon, der koreanischen Lyrikerin, ein langer Brief von Hans Bergel aus dem Jahr 2013, deutschsprachige Kinderbücher „Fritzchens Abenteuer“ und „Kunterbunte Verse“ mit Texten und zauberhaften farbigen Illustrationen, die noch vor seinem Weggehen in Bukarest in den 1950iger Jahren gedruckt wurden. Das Foto mit ihm und Hans Bergel wurde 1999 in Jordanien aufgenommen. In Bukarest trafen sich die beiden 1956 und nach über 40 Jahren kreuzten sich ihre Wege erneut, sie korrespondierten miteinander und ein Buch mit diesem Briefwechsel erschien 2011.

Manfred Winkler. Foto: Christel Wollmann-Fiedler

Manfred Winkler. Foto: Christel Wollmann-Fiedler

Zwei Bukowiner, sie, Herma Levin aus Czernowitz, er, Manfred Winkler, der Advokatensohn aus Putilla, ein wichtiger und bekannter Lyriker, ein Zeitgenosse von Paul Celan, Rose Ausländer, und vielen anderen jüdischen deutschsprachigen Dichtern von einst, empfingen mich. In Putilla in den Ostkarpaten im Buchenland wurde Manfred Winkler als Sohn eines Rechtsanwaltes 1922 geboren. In einer schönen Landschaft verbrachte er seine Kindheit, mit dem Fiaker fuhr man über Wiznitz nach Czernowitz, erzählte er. Das Rumänische Lyzeum besuchte er in Czernowitz.

In einer Januarnacht

In einer Januarnacht des Jahres 22
nach dem ersten großen Weltkrieg
wurde ich gezeugt als die Welt
noch ganz schien was sie nicht war.
Nach neun Monaten genau kam ich zur Welt
in einem gelben Karpatenherbst
und ich schrie drei Wochen lang aus Protest
dann lullte man mich ein
und ich wuchs zu einem Bürger
zweiter oder zehnter Klasse heran
(Manfred Winkler)

Die Judenverfolgung in der Nazizeit zerstörte seine Familie, ließ ihn heimatlos werden. Als die Sowjets 1940 die Nordbukowina besetzten wurden die Mutter und die Schwägerin nach Sibirien deportiert, der Bruder, ein kommunistischer Mediziner, in den Gulag im Norden der sowjetischen Welt. Winklers Vater nahm sich beim Einmarsch der Russen das Leben, die Mutter sah er nie wieder. Wolfgang Winkler tauchte unter, wollte den Fängen der Stalinistischen Verordnung entkommen. „Die Arbeitslager in Transnistrien waren schrecklich, Sie haben davon schon gehört?“ Das biblische Wort „Tohuwabohu“ benutze er für die damalige Zeit!

Zurück nach Putilla kam er 1944, wollte nicht bei den Sowjets bleiben bleiben, ging über die Grenze nach Rumänien, ging ins Banat nach Temeswar. An der Deutschen Fakultät der dortigen Universität studierte er kurzzeitig, arbeitete hier und dort, kam mit der zionistischen Bewegung in Berührung und lernte Herma Levin aus Czernowitz, seine zukünftige Frau, kennen. In Bukarest begegnete er 1956 Hans Bergel, den Siebenbürger Sachsen aus Rosenau, der in den 1960iger Jahren nach München auswanderte. Nach vierzig Jahren trafen sie sich wieder, korrespondierten miteinander, ein Buch mit diesem Briefwechsel erschien 2011.

Mehrere Ausreiseanträge stellte Manfred Winkler an die Administration der kommunistischen Volksrepublik Rumänien, bis er endlich 1959 in Israel ankam, seine Frau ein Jahr später. An der Hebräischen Universität in Jerusalem studierte er Hebräische und Jiddische Literatur und Sprache, arbeitete Jahre im Theodor-Herzl-Archiv, gab Zeitschriften heraus und Anthologien, editierte Herzls Werke, übersetzte Lyrikbände von Paul Celan ins Hebräische, „war ein Wunderkind der Hebräischen Literatur“, erzählt er mit verschmitztem Lächeln. Den Literaturpreis des Ministerpräsidenten Israels erhielt er. Auch als Bildhauer war er kein Unbekannter. Erst im fortgeschrittenen Alter wurden seine bildhauerischen, mit künstlerischer Hand geformten Plastiken, in der Öffentlichkeit ausgestellt. Seine hebräisch geschriebenen Texte gab er mir in die Hand, ich konnte sie nicht deuten. Die deutsche Sprache war seine Muttersprache, die hebräische Sprache wurde ihm zur Muttersprache.

Manfred Winklers Lyrik wurde in Deutschland verlegt, der letzte Band „Wo das All beginnen soll“ im Januar 2014 mit einem Nachwort von Hans Bergel. Eine persönliche Widmung schrieb mir, der Unbekannten, Manfred Winkler in das für mich kostbare Büchlein!

Aus „Das Gedicht vom Nichts“

… Wir wollen und aneinander stützen
ohne zu wissen woher wir gekommen
ohne zu fragen wohin
einfach so
ohne Brücken von denen man ins Wasser
springen kann, die nichts mehr überbrücken

Weit zurück liegt Czernowitz
das märchengewesene mit den Kastanien
das nicht gewesene
doch die Kerzen machen noch immer im Gelaub
den Frühling zum Gebet
 
Unter den Linden wo Czernowitz nicht gelegen ist
liegt die vergessene Stadt
die unvergessene
(Manfred Winkler)

Der Abschied von Manfred Winkler und seiner Frau fiel mir schwer, an der Gartentreppe stand er, wir winkten uns zu, die Rosen verblühten bereits.

Von Christel Wollmann-Fiedler

für Israel-Nachrichten.org

 

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Von am 29/07/2014. Abgelegt unter Israel. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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