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Tholey erinnert an Walter Sender

Am 19. Mai wurde vor dem jüdischen Friedhof in Tholey eine Gedenkstele und ein Platz nach dem jüdischen Politiker und Juristen Walter Sender (1885-1961) benannt. Der in Tholey geborene Sohn eines jüdischen Gemeindelehrers verkörpert wie kaum ein anderer das Schicksal der jüdischen Minderheit, aber er steht auch für die wechselvolle Geschichte des Saarlandes im 20. Jahrhundert.

Dr. Walter Sender ist am 10.05.1885 in Tholey geboren, wo sein Vater Lehrer an der jüdischen Schule war. Nach dem Studium der Rechtswissenschaft und der Teilnahme am 1. Weltkrieg, ließ er sich 1920 als Rechtsanwalt in Saarbrücken nieder. Gleichzeitig begann er auch eine politische Tätigkeit für die sozialdemokratische Partei als deren Abgeordneter er in den Landesrat gewählt wurde, das Parlament des neu gebildeten Territorium, das jedoch gegenüber der Völkerbundsverwaltung kaum eigene Befugnisse hatte. Seit 1922 war Walter Sender auch der Fraktionsvorsitzende der SPD im Landesrat, in dem er die „politische, wirtschaftliche und kulturelle Vergewaltigung des Saargebiets durch die französische Völkerbundsverwaltung“ oft anprangerte. Als ab 1925 erste antisemitische und nazistische Schmierereien im Saargebiet auftauchten, gehörte Walter Sender zu den ersten, die vor den Gefahren des Nationalsozialismus warnten. Da der Landesrat keine reelle politischen Machtbefugnisse hatte, gab er den Vorsitz der SPD Fraktion wieder ab und nahm ein Mandat im Stadtrat von Saarbrücken an. Mit der Machtübernahme Hitlers in Deutschland, kamen 1933 viele politische Flüchtlinge aus Deutschland ins Saargebiet, das noch bis 1935 unter der Völkerbunds-Verwaltung blieb. Sender vertrat viele von diesen Flüchtlingen in Rechtstreitigkeiten gegen das nationalsozialistische Deutschland. Als Walter Sender mit seinem Kollegen Lehmann 1934 die beiden Kommunisten Torgler und Dimitroff, die von den Nationalsozialisten für den Brand des Reichtages verantwortlich gemacht wurden, verteidigen wollten, wurde ihnen die Einreise nach Deutschland verweigert. Beide beteiligten sich noch im selben Jahr an dem in London durchgeführten Reichtagsbrand-Gegenprozess, der schon damals die Täterschaft der Nazis am Reichtagsbrand enthüllte. Im Abstimmungskampf 1934/35 unterstützte Sender als einer der Hauptredner der SPD die Politik des Status Quo, also eine Aufschiebung des Anschlusses des Saargebietes bis zu einer Zeit, in der wieder demokratische Verhältnisse herrschten.

Eröffnung des Walter_Sender Platzes in Tholey. Foto: Bodo Bost

Eröffnung des Walter_Sender Platzes in Tholey. Foto: Bodo Bost

Mouvement pour le rattachement de la Sarre à la France

Walter Sender überschritt am Abend des Wahltages mit seiner Frau und seinen beiden Kindern die Grenze bei Forbach. Bis zum Kriegsausbruch lebte er als Fabrikant bei Paris und zog sich nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in ein Versteck in den Bergen bei Nizza in Südfrankreich zurück. Nur so konnte er als Jude der Verfolgung durch deutsche und französische Faschisten überleben, seine Schwester, Brunette, die nicht geflüchtet war, wurde ein Opfer des Holocaust. Noch vor dem Ende des Krieges gründete Sender wieder in Paris die Bewegung zur Befreiung der Saar (Mouvement pour la libération de la Sarre – MLS) und gehörte zu den ersten Heimkehrern in das unter französischer Verwaltung stehende Saargebiet.

Erinnerungsstele an Walter Sender in Tholey. Foto: Bodo Bost

Erinnerungsstele an Walter Sender in Tholey. Foto: Bodo Bost

Zurück im Saarland benannte er seine Bewegung jetzt „Bewegung für den Anschluss der Saar an Frankreich“ (Mouvement pour le rattachement de la Sarre à la France – MRS). Diese Bewegung mit zeitweise 50000 Mitgliedern genoss als einzige das uneingeschränkte Vertrauen des französischen Generalgouverneurs Grandval. Als 1947 das Saarland unter Johannes Hoffmann als erstes Teilgebiet des deutschen Reiches eine neue demokratische Verfassung erhielt und die Zollgrenze zu Frankreich aufhob, hatte die MRS Bewegung von Walter Sender ihre politische Daseinsberechtigung verloren. Walter Sender, der für die Rechte der Saarländer in der französischen Nationalversammlung eintreten wollte, zog sich wieder auf seine juristische Tätigkeit zurück, wo sein Schwerpunkt jetzt bei Restitutionsprozessen lag, bei denen er zumeist ehemalige jüdische Mitbürger in ihren Entschädigungsklagen vertrat. Beim zweiten Referendum im Saarland 1955, bei dem es im Saarland nicht mehr um Deutschland oder Frankreich sondern um ein Europäisches Statut oder die Rückkehr zu Deutschland ging beteiligte sich Walter Sender nicht mehr aktiv, nach einer äußeren Emigration zwischen 1935-45 in Frankreich begann für ihn seit 1950 die innere Emigration. Viele alte Freunde setzten sich von ihm ab, weil Walter Sender zu den eher seltenen Politikern gehörte, die politische Irrtümer auch eingestehen konnten. So gab er 1955 zu, dass seine Politik eines Anschlusses der Saar an Frankreich aus der späteren Sicht falsch gewesen sei, weil er 1947 nicht wissen konnte wohin sich Deutschland entwickeln würde.

Orte gegen das Vergessen“

In seiner beruflichen Arbeit spezialisierte sich Walter Sender jetzt mehr und mehr auf Familienstreitigkeiten vor Gericht, nur einmal noch wagte er den Schritt in die politische Arena, als er die KP-Saar 1957 juristisch in einer Klage beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gegen die Bundesrepublik Deutschland vertrat und erreichen wollte, dass das 1956 in Kraft getretenen bundesdeutsche KP-Verbot nicht auf das 1957 politisch rückgegliederte Saarland angewandt werden sollte. Als dieser Antrag abgelehnt wurde, verstärkten sich wieder seine Vorbehalte gegenüber der Demokratie in der Bundesrepublik. Walter Sender starb am 29. August 1961 in Luzern in der Schweiz.

Der jüdische Friedhof von Tholey mit dem von Walter Sender errichteten Gedenkstein (rechts). Foto: Bodo Bost

Der jüdische Friedhof von Tholey mit dem von Walter Sender errichteten Gedenkstein (rechts). Foto: Bodo Bost

Als die Synagogengemeinde Saar 1988 den Vorschlag machte eine Straße in Saarbrücken nach Walter Sender zu benennen, gab es Bedenken und seine Familie lehnte ab. Mit der Errichtung einer Gedenkstele und der Benennung des Vorplatzes des jüdischen Friedhofes in Tholey waren die beiden Enkelinnen von Walter Sender, die heute in Luxemburg und in Saarbrücken leben, einverstanden. Sie durften im Beisein des Landrates des Kreises St. Wendels Udo Recktenwald und des Bürgermeisters von Tholey die Enthüllung der Stele vornehmen. Anschließend sprachen der Vorsitzende des Adolf Bender Zentrums (ABZ) Armin Lang, und der Autor und Gründungsmitglied des ABZ Bodo Bost über die schwierige Aufarbeitung der Geschichte in Tholey und die Persönlichkeit von Walter Sender. Armin Lang, der in den 1990ziger Jahren der Nachfolger von Walter Sender als Fraktionsvorsitzender der SPD-Fraktion im saarländischen Landtag war, kündigte an, sich für ein würdiges Andenken an Walter Sender auch im heutigen Landtag einzusetzen. Dieses Thema wurde auch in einer anschließenden Gesprächsrunde im Festsaal des Tholeyer Rathauses vertieft, wo auch die beiden Enkelinnen von Walter Sender das Wort ergriffen und der Gemeinde und der Bevölkerung von Tholey, die sehr zahlreich zu der Gedenkfeier gekommen war, dankten. Der Bürgermeister von Tholey, Hermann-Josef Schmidt, berichtete in dieser Runde von einem Besuch in dem Wohnhaus in der Trierer Straße, das auf den Grundmauern der Synagoge erbaut wurde. Die Synagoge war 1937 verkauft und später abgebrochen worden, aber im Keller des heutigen Wohnhauses seien noch Spuren der Synagoge zu erkennen, so der Bürgermeister. Walter Sender war seinem Heimatort Tholey zeitlebens eng verbunden, auf seine Initiative hin wurde bereits 1945 ein Gedenkstein auf dem jüdischen Friedhof für die 12 aus Tholey stammenden Opfer des Holocaust errichtet. Das war viel früher als in jeder anderen Gemeinde im Saarland. Jetzt steht der an ihn erinnernde Gedenkstein nur wenige Meter entfernt, von dem Gedenkstein, den er errichten ließ.

Die beiden Enkelinnen von Walter Sender und_der Autor. Foto: Bodo Bost

Die beiden Enkelinnen von Walter Sender und_der Autor. Foto: Bodo Bost

Tholey war der fünfte Ort im Kreis St. Wendel, der im Rahmen des vom Adolf Bender Zentrums durchgeführten Projektes „Sieben Orte gegen das Vergessen“ im Auftrag des Landkreises St. Wendel einen Platz nach einer bedeutenden jüdischen Persönlichkeit der Region benannt hat. Tholey hatte als römisch/keltischer Siedlungsschwerpunkt im Nordsaarland und als alte lothringische Benediktinerabtei schon sehr früh eine jüdische Bevölkerung, die nach der Emanzipation im 19. Jahrhundert 10% des Handelszentrums bildete. Neben Walter Sender stammt aus Tholey auch die 1878 als Elise Bähr geborene jüdische Schriftstellerin Elisa Haas, eine Cousine von Karl Marx, die nach Trier verheiratet war und nachdem sie das Konzentrationslager Theresienstadt überlebt hat 1960 in Mainz gestorben ist.

Von Bodo Bost

für Israel-Nachrichten.org

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Von am 21/05/2014. Abgelegt unter Europa,Featured. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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