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Offener Brief nach Deutschland im August 1934: Bodo Uhse schreibt aus dem Exil

An den Hauptschriftleiter der Schleswig-Holsteinischen Tageszeitung Willy Ehlers, Itzehoe (Holstein):

Vor einigen Wochen fiel mir die Schleswig-Holsteinische Tageszeitung durch Zufall in die Hände, das Blatt, das wir gemeinsam als erste norddeutsche Tageszeitung der NSDAP mitbegründeten. Wie ich sah, zeichnen Sie nun als Hauptleiter des Blattes. Es hat an Umfang zugenommen, die Aufmachung, der Umbruch, die Titelschriften sind dieselben geblieben. Nur ist die Tageszeitung jetzt Amtsblatt aller möglichen Behörden geworden. Das war früher nicht. Die wirtschaftlichen Sorgen des Blattes werden auch nicht mehr sein. Dass die Zeitung mutiger und freier geworden sei seitdem, konnte ich nicht feststellen.

Der schriftsteller August 1934. Foto: Archiv/RvAmeln

Der schriftsteller August 1934. Foto: Archiv/RvAmeln

Erinnern Sie sich noch an den Streik in der Netzfabrik? Wissen Sie noch, welch ein Geschrei Drucker und Geschäftsführer erhoben, als wir den Streik unterstützen wollten? Die Netzfabrik ließ alle ihre Druckaufträge bei uns ausführen, und die Direktoren der Fabrik haben damals einen gehörigen Druck auf uns ausgeübt. So etwas ist heute nicht mehr möglich, wie? Heute dürfen die Zeitungen ungehemmt dem Wohle des Ganzen dienen – oder täusche ich mich darin? Sie haben es leicht, meiner Frage auszuweichen, die Arbeiterinnen in der Netzfabrik streiken ja nicht mehr; weil sie nicht dürfen. Dabei werden sie heute schlechter bezahlt als damals.

Warum tut Ihr Blatt nichts dagegen? Die Netzfabrik braucht keinen unzulässigen Druck mehr auf die Tageszeitung auszuüben und die Schleswig- Holsteinische Tageszeitung braucht nicht erst privat gedrückt zu werden, denn die gesamte Presse wird ja von oben diktiert und reglementiert, sie darf den „Wirtschaftsfrieden“ nicht nähren, und die Löhne der Arbeiterinnen in der Netzfabrik gehen sie einen Dreck an. Das kleine Beispiel zeigt, in welcher Lage sich die nationalsozialistische Presse befindet. Wie es anfing, wissen Sie noch allzu gut. Wahrscheinlich klingt Ihnen gelegentlich noch das Wort in den Ohren, mit dem meine Tätigkeit in der Schleswig-Holsteinischen Tageszeitung endete: „Nicht soviel über den Sozialismus schreiben.“

Heute sitzen Sie auf meinem Platz. Ich beneide Sie nicht darum. Damals, als ich ging, sprach ich Ihnen guten Glauben zu. Ich will Ihnen sagen, Willy Ehlers, dass das heute nicht mehr so ist. Sie haben das Spiel lange genug mitgemacht, Sie arbeiten nicht nur in der Zeitung, sondern auch in der Organisation. Sie sehen und Sie wissen, was los ist. Sie sind trotzdem Hauptschriftleiter der Schleswig-Holsteinischen Tageszeitung geblieben. Ich sah Ihr Bild in der „N.S. Landpost“ unter den Teilnehmern einer Agrartagung. Was haben Sie dort nur gelernt? In Ihrem Blatt habe ich nicht viel von den Früchten der Tagung gefunden, aber ich erfuhr, dass Dutzende von Bauern in der Provinz eingesperrt worden sind und noch eingesperrt werden, weil sie sich dagegen wehren, dass ihre Höfe zugrunde gerichtet werden durch Herrn Darres „Blut- und Boden-Träume“ an kapitalistischen Kaminen.

Haben Sie auf Ihrer Agrartagung gelernt, darüber zu schweigen? Die Schweigsamkeit ist ja Ihr vornehmstes Amt geworden. Sie schweigen über die Toten des 30. Juni, Sie schweigen über die Hölle der Konzentrationslager, Sie schweigen darüber, dass Saufen, Fressen und Huren nicht nur in den hohen SA-Stäben üblich war, sondern auch heute noch Sitte ist bei Herrn Ley beispielsweise, dem Führer der Arbeitsfront – Sie wussten ja schon immer, was von ihm zu halten war – oder etwa bei Ihrem Freunde Baldur von Schirach. Und es ist ja nicht nur oben so. In den mir vorliegenden Nummern Ihrer Zeitung zeigt ein Foto unseren ehemaligen Kassierer Ladiges bei einer Ansprache an die S.A. Die kleinen Unterschlagungen von einst deckt Ihr mit dem Mantel der nationalsozialistischen Eigenliebe zu.

Wo Sie nicht schweigen, müssen Sie lügen. Oder glauben Sie wirklch, Willy Ehlers, was Sie in Ihrem Blatt über das durch Hitler wieder hergestellte Ansehen des deutschen Namens in der Welt veröffentlichen? Ich halte Sie für klüger. Das Gegenteil dessen, was die Schleswig-Holsteinische Tageszeitung schreibt, ist richtig. Hitler hat Schmutz und Schande auf den deutschen Namen gehäuft. Es lässt sich auch vom Standpunkte der nationalen Politk nichts Schlimmeres denken, als Eure nationalsozialistische Politik. Die Anschlussfrage habt Ihr mit dem albernen und blutigen Wiener Putsch kläglich kaputtgemacht. Den Korridor, der schon fast unser war, habt Ihr den Polen garantiert durch einen Bündnisvertrag, der machiavellistisch sein soll und nicht mehr als eine kleine Schurkerei ist.

Wo der Nationalsozialismus mit seinen blutigen Händen hinfasst, schafft er Verwirrung und Unheil. Nicht weil Ihr dumm seid, sondern weil Eure Sache schlecht ist, weil der Kapitalismus dem Tode geweiht ist, und auch die faschistische Affendrüse sein Leben nicht mehr verlängern kann. Aber die Arbeiterklasse wird den Kadaver auf den Mist werfen. Und zwar bald. Die letzte Zeile des Horst-Wessel-Liedes wird von den Millionen, die Ihr heute noch zwingen könnt, es zu singen, als eine ernst zu nehmende Verheissung empfunden: „Die Knechtschaft dauert nur noch kurze Zeit.“ Geben Sie Acht, wenn Sie mit der Schere aus dem „Völkischen Beobachter“ und den Korrespondenten Ihr Blatt zusammmenschneiden, dass Ihnen nicht versehentlich mein Brief in die Setzerei gerät. Ihr Blatt würde auf einmal wieder Leser haben. Oder wagen Sie es, diesen Brief abzudrucken? Sie könnten ja Ihre Antwort, die mich sehr interessiert, daneben setzen.

Bodo Uhse.

Gefunden in „Der Schriftsteller“, Ausgabe August 1934

Von Rolf von Ameln

 

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Von am 28/12/2015. Abgelegt unter Spiegel der Zeit. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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