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„Das Neue Tage-Buch“ schreibt am 26. November 1938 aus dem Exil: Der Reichtum der deutschen Juden

Untertitel: Märchen über das gesamtdeutsche Vermögen

Die Empörung der Mordbrenner des Dritten Reichs hat, wie zu erwarten war, die Urheber der Veranstaltung weder zur inneren Einkehr noch zur äußeren Umkehr bewogen. Immerhin suchen die Herren von der Geschäftsleitung sich ein neues Alibi zu verschaffen. Die Milliardenerpressung, die Ausplünderung und planmäßige Aushungerung werden jetzt in den deutschen Zeitungen und im deutschen Rundfunk kaum mehr als Repressalien infolge des Pariser Attentats betrachtet. Das hässliche Fremdwort „Kontribution“, das Göring im ersten Aufbrausen hat fallen lassen, verträgt sich offenbar nicht mit dem sprichwörtlichen deutschen Gerechtigkeitsgefühl. Nach der zweiten, Goebbelsschen, Version handelt es sich einfach um eine volkswirtschaftlich notwendige Korrektur der innerdeutschen Besitzverhältnisse.

Das Neue Tage-Buch. Foto: Archiv/RvAmeln

Das Neue Tage-Buch. Foto: Archiv/RvAmeln

Auf Grund der eigenen Steuererklärungen der Juden, heißt es nun, haben die Finanzämter festgestellt, dass die jüdische Bevölkerung Großdeutschlands auch heute noch nach sechs Jahren nationalsozialistischer Regierung, 8 Milliarden Mark besitzt. Sie ist reicher denn je. Es wimmelt von jüdischen Millionären. Das Vermögen der Juden in Deutschland ist im Durchschnitt viereinhalb mal so groß wie das der „Arier“. Solch ein krasses Missverhältnis kann ein sozial denkender Staat natürlich auf die Dauer nicht dulden. Auspowerung? Konfiskation? Davon ist keine Rede. Wenn der Fiskus von 8 Milliarden eine Milliarde einfordert, also 12 Prozent, so ist das ein Steuersatz, den in aller Welt kein redlicher Mensch übertrieben finden kann.

Auch nach Erlegung dieser Sonderabgabe werden die Juden noch viermal so reich sein, wie die „arischen“ Deutschen. Genügt das den Beschützern Judas, oder soll Hitler noch mehr für seine Erzfeinde tun? In den Tagen und Nächten des deutschen Blutrausches hat der Goebbelssche Zahlenrausch, wie es scheint, das Ausland nur wenig beeindruckt. Die Berliner Korrespondenten der englischen, französischen, amerikanischen Blätter haben die gröbsten Täuschungen gleich richtiggestellt und an ein paar Beispielen gezeigt, in welcher kümmerlichen Lage sich die deutschen Juden schon vor den letzten Pogromen befanden.

„Am 1. Oktober“, schreibt der sehr korrekte Berichterstatter des „Temps“, „lebten 30 Prozent der Juden des alten Reichs bereits von Unterstützungen, und in Österreich 50 Prozent. An diesem Stichtag sind 30.000 Handlungsreisende, Börsenvermittler, Agenten usw. hinzugekommen, denen die Ausübung ihres Berufs verboten worden ist. Man schätzt, dass die Proportion der Personen ohne Beruf und ohne Existenzmittel am 1. Januar innerhalb der jüdischen Bevölkerung auf 70 Prozent steigen wird!“ Trotz solchen Feststellungen darf man die Gefährlichkeit des neuen Goebbelsschen Propagandatricks nicht unterschätzen.

Dass die Juden in Deutschland nicht mehr werden weiter leben können, wenn man ihnen gleichzeitig Geld und Beruf wegnimmt, leuchtet jedem, der nicht ganz böswillig ist, ein. Aber je horrender die Geschehnisse im Dritten Reich sind, desto dringender verlangen draußen die Unbefangenen nach einer Erklärung. Auf die beklemmende Frage all derer, die sich nicht vorstellen können, dass ein großes Land sich stumm von einer Handvoll Banditen beherrschen lässt, gibt Joseph Goebbels scheinbar eine plausible Antwort: Seht her, durch Jahre und Jahrzehnte haben die Juden die Deutschen ausgebeutet. Jetzt drehen die Deutschen einmal den Spieß um.

Könnt ihr es ihnen verdenken? Man irrst sich nicht, es ist ein starkes Argument, namentlich für die Besitzlosen. Es kann dadurch die Idee entstehen, dass unter der Hakenkreuzfahne die von Karl Marx geforderte Expropriation der Expropriateure erfolgt. An diesem Argument darf man nicht mit blassen oder blinkenden Redensarten vorübergehen. Man muss es jetzt und hundertmal wiederlegen. Wer etwas darüber weiß, muss es sagen. Um so klarer und vernehmlicher, als die Nazi-Propaganda nicht nur mit dem Schwergewicht des Amtssiegels arbeitet, sondern sich auch noch ein wissenschaftliches Mäntelchen umhängt.

Der „Völkische Beobachter“ kündigt bereits an, dass die veröffentlichte Aufstellung der jüdischen Vermögen nur provisorisch und summarisch gewesen sei. „Wegen der Kürze der Zeit ist es bisher noch nicht möglich gewesen, die Angaben statistisch nach Barvermögen, Industriebeteiligungen, Beteiligungen an Kapitalgesellschaften, über die Verteilung in Handel, Gewerbe und Handwerk usw. auszuwerten. Zweifellos werden aber die schon vor der Machtübernahme und nach 1933 gemachten Erhebungen durch die jetzigen Feststellungen bestätigt werden, nämlich dass der überragende Einfluss der Juden überall dort zu finden ist, wo ein leichten und großer Gewinn bei geringster Arbeitsleistung zu erzielen ist.“

Man sieht, der alte deutsche Sinn für Gründlichkeit geht auch beim Lügen nicht verloren. Wenn man nur ein paar abgerundete Riesenziffern gibt, könnten Bedenken wach werden. Macht man aber eine detaillierte Rechnung auf, mit Mark und Pfennig, mit Fachausdrücken und Dezimalstellen, so ist der Wahrheitsbeweis erbracht. Nachdem der von Hilferdings Zeiten her noch rühmlichst bekannte Reichsfinanzminister Ludwig Graf Schwerin von Krosigk die Rohmaterialien geliefert hat, wird der ebenfalls noch überlebende Oberstatistiker der Weimarer Republik, Herr Professor Ernst Wagemann gewiss nicht verfehlen, dem Kommissstiefel die wissenschaftliche Hochglanzpolitur zu geben.

Und wer wird dann, selbst im Ausland, wagen, solchen Autoritäten zu widersprechen? Um einen Maßstab für den Besitzstand der Juden zu gewinnen, muss man ungefähr wissen, woe hoch das gesamte Volksvermögen ist. Denn niemand zweifelt daran, dass die deutschen Juden im Vergleich zu den Kongonegern, den Kalmücken und selbst zu den Polen oder den Bulgaren steinreich waren. Die Vorfrage lautet daher: wie groß ist das deutsche Volksvermögen? Damit begibt man sich auf schlüpfrigen Boden. Schon der Begriff des Volkseinkommens ist wissenschaftlich sehr umstritten, und viele Nationalökonomen meinen, dass eine auch nur annähernd richtige Aufstellung unmöglich sei.

Über den Wert von Berechnungen des Volksvermögens gibt es unter den Theoretikern eigentlich keine Meinungsverschiedenheit. Sie sind alle der Ansicht, dass selbst die anscheinend sorgfältigsten Statistiken reiner Humbug sind. Vor zwölf Jahren hat ein besonderer Forschungsausschuss des Vereins für Sozialpolitik darüber eine Menge Gutachten eingeholt und im Anschluss daran in Wien eine ausführliche Diskussion abgehalten. Am Schluss der Sitzung stellte der Vorsitzende, der berühmte Freiburger Nationalökonom Karl Diehl, fest: „Nach unserer Kritik wird wohl der letzte Rest von Hochachtung gegenüber Versuchen, eine einfache Summe für Volkseinkommen und Volksvermögen zu nennen, verschwunden sein.

Diese Versuche haben nur Wert gehabt für politische Stimmungsmache und ähnliches. Übrigens hat auch das Statistische Reichsamt, so sehr es sonst liebte, große Gesamtziffern aufzutischen, bisher von einer Errechnung des Volksvermögens seine Finger gelassen. Doch nun kennt es das offenbar ganz genau. Jedenfalls teilt das amtliche Deutsche Nachrichten-Bureau mit: „Das deutsche Volksvermögen beläuft sich auf etwa 200 Milliarden Reichsmark, in das sich 80 Millionen Volksgenossen teilen.“ Was für eine Überwindung muss es einem echt deutschen Mann, selbst einem, der keinerlei wissenschaftliche Hemmungen hat, gekostet haben, diese Zahlen niederzuschreiben.

200 Milliarden Mark für das gesamte Großdeutschland, einschließlich Österreichs und des Sudetengaues? Ihr güldenen Dukaten, wo seid ihr hingeraten? In die Taschen der Juden, wird uns Herr Goebbels zurufen. Aber selbst wenn wir die verjudeten acht Milliarden noch extra hinzuzählen, werden es immer erst 208 Milliarden. Doch bereits im Jahr 1913 hat Dr. Karl Helfferich, der immerhin ein wackerer Deutscher war, das private Volksvermögen im kaiserlichen Kleindeutschland auf 260 Milliarden Mark angegeben und das gesamte Volksvermögen, einschließlich des öffentlichen Besitzes, auf „mehr als 300 Milliarden“. Andere Schätzungen aus der Vorkriegszeit gingen sogar bis 350 Milliarden Mark.

Und dabei war der Realwert der Mark, ihre Kaufkraft, nach der amtlichen deutschen Statistik, damals 25 Prozent größer als heute. Ja, wo bleibt dann da der wirtschaftliche Aufschwung, den uns der Führer versprochen hat? Wie ist das in Einklang zu bringen mit der gewaltigen Zunahme der Güterproduktion, mit den glänzenden Dividenden, mit dem Anstieg der Aktien- und Rentenkurse, mit dem unaufhörlichen Anwachsen des Reichtums der breiten Massen? Die Sparkasseneinlagen und Bankguthaben sind heute wieder so hoch, wie sie in den letzten Jahren vor dem Krieg waren, die Kapitaleinlagen der Lebensversicherungen bei weitem höher.

Zu alledem aber, hat der Anschluss Österreichs und der Sudetengebiete dem Deutschen Reich nur Juden eingebracht? Ist das Land, sind die Bergwerke und Fabriken der annektierten hunderttausend Quadratkilometer gar nichts wert? Die Sache wird noch merkwürdiger, wenn man die bei Berechnungen des Volksvermögens übliche Gegenprobe macht und die Höhe der Feuerversicherungen untersucht. Dann findet man, dass schon im alten Reichsgebiet, sogar ohne die Saar, die Haftsumme der gegen Feuer versicherten Mobilien und Immobilien in dem schweren Krisenjahr 1930 über 200 Milliarden Mark betrug. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bekanntlich bei Gebäudeversicherungen der Grund und Boden nicht mitversichert ist.

Der Wert des nicht versicherten städtischen und landwirtschaftlichen Bodens ist aber mindestens mit 60 Milliarden Mark – die Vorkriegsschätzungen gehen erheblich höher – in Rechnung zu stellen. Daneben gibt es noch andere bedeutende Werte, die grundsätzlich nicht gegen Feuer versichert werden, die jedoch zweifellos zum privaten Volksvermögen gehören, so die Bergwerksanlagen unter Tage. Da man ja wohl nicht annehmen kann, dass die deutschen Feuerversicherten nur aus Betrügern und die Versicherungsanstalten nur aus Gefoppten bestehen, so muss man daraus schließen, dass das deutsche Privatvermögen sehr viel näher bei 300 als bei 200 Milliarden liegt.

Dazu kommt dann der öffentliche Besitz, der heute mehrfach so hoch ist wie vor dem Kriege. Wir denken dabei gar nicht an so vortreffliche Neuschöpfungen wie die Hermann-Göring-Werke, sondern nur an den Zuwachs wirklicher Vermögenswerte, an Kraftwerke, an die Verdichtung des Verkehrsnetzes, an Sozialeinrichtungen. An dem Besitz der öffentlichen Hand partizipieren die 80 Millionen „Arier“ natürlich in anderem Maße als die 700.000 Juden, die von der Nutznießung der öffentlichen Einrichtungen – Parks, Badeanstalten, Schulen – heute zum großen Teil überhaupt ausgeschlossen sind. Hält man generell Schätzungen des Volskvermögens für möglich, so wird man zu dem Ergebnis gelangen, dass das gesamte deutsche Volksvermögen gegenwärtig an die 400 Milliarden Mark beträgt.

Würden die Nazi-Statistiker die Aufstellung zu einem anderen Zweck als dem der Judenverfolgung vorzunehmen haben, etwa zum Aufputz einer Hitler-Beweihräucherungsrede, so würden sie spielend 500 Milliarden herausrechnen. Da es aber nun diesmal um jüdische Geldschränke geht, müssen die 80 Millionen Volksgenossen um ein Drittel ärmer sein, als es die 65 Millionen Untertanen Wilhelms II. waren. Denn das ist klar: je ärmer die Deutschen, um so reicher die Juden.

Von Rolf von Ameln

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Von am 20/03/2016. Abgelegt unter Spiegel der Zeit. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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