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Spannungen zwischen den Völkermordopfern

Armenien wirft Israel vor, Aserbaidschan massiv aufgerüstet und damit indirekt den Angriff auf Berg Karabach Anfang April mitprovoziert zu haben.

Zu den verheerendsten Militärschlägen während des aserbaidschanisch armenischen Viertagekrieges mit mehreren Hunderten von Toten um die Enklave Berg Karabach Anfang April gehörte ein Angriff einer aserbaidschanischen Superdrohne, die in einem Bus mindestens sieben Armenier tötete. Die intelligente Drohne, die sich ihr Ziel selbst sucht und sich in dieses einrammt, stammte aus israelischer Produktion. Es war bekannt, dass Israel solche Waffen an Aserbaidschan lieferte, Israel wusste auch dass sich beide Länder seit ihrer Unabhängigkeit 1991 in einem Krieg befinden, der lediglich 1994 durch einen Waffenstillstand auf Eis gelegt wurde. Im armenischen Außenministerium erklärte der Sprecher des Außenministers, Tigran Balayan, dieser Zeitung: „Ein Waffen exportierender Staat hat die Pflicht zu kontrollieren, wie der Waffen importierende Staat diese einsetzt. Wenn er diese gegen Zivilisten wie Kinder, alte Menschen, Schulen, Kindergärten oder andere zivile Infrastruktur einsetzt, hat der Waffen exportierende Staat die Pflicht den Waffenhandel sofort einzustellen, wenn er sich als verantwortliches Mitglied der Völkerfamilie versteht.

24 Armenier haben Juden während des Holocaust gerettet

Israelis und Armenier teilen als Minderheiten in einer weitgehend islamischen Umwelt des Nahen Ostens ein gemeinsames Schicksal. Beide Staaten wurden erst nach langen Kämpfen gegen eine regional feindliche Bevölkerung unabhängig, Israel 1948 und Armenien 1991. Israel und Armenien teilen vor allem auch ihre Opferrolle in einem Völkermord, die Armenier sogar im Osmanischen Reich, zu dem seinerzeit auch Palästina, das heutige Israel gehörte. Es ist unbekannt, wie viele Juden versuchten während des armenischen Völkermordes, der auf Armenisch Aghet heißt, Armenier zu retten. Die armenische Gedenkstätte für die Opfer des Aghet auf dem Tsitsenakabert in Eriwan, führt keine Listen mit Namen von Rettern. Aber Yad Vashem, die Gedenkstätte für die Opfer des Holocaust in Jerusalem weist 24 armenische Judenretter weltweit auf. Es handelt sich bei diesen armenischen Judenrettern allesamt um Exilarmenier, die in den besetzten Ländern Europas, Juden während des Holocaust versteckt und gerettet haben. Aserbaidschaner oder Iraner sind auf der Liste von Yad Vashem nicht zu finden, lediglich ein türkischer „Gerechter unter den Völkern“.

Gedenkstätte Tzitzenekaberd mit dem Ararat im Hintergrund. Foto: Bodo Bost

Gedenkstätte Tzitzenekaberd mit dem Ararat im Hintergrund. Foto: Bodo Bost

Während Armenien nach seiner Unabhängigkeit den jüdischen Holocaust zwischen 1939 und 1945 durch Hitlerdeutschland anerkannte, verweigert Israel dieselbe Anerkennung dem armenischen Aghet gegenüber, der von 1915-1923 in der heutigen Türkei stattfand. Hierzu heißt es von offiziell armenischer Seite: „Armenien erwartet von Israel einem Staat der ebenfalls aus einem Völkermord, dem Holocaust, entstanden ist, mehr Verständnis für die armenische Lage. So gesehen ist die Rolle Israels als einer der Hauptwaffenlieferanten der brutalen Diktatur Aserbaidschans mehr als sonderbar“.

Die Begründung der Israelis für die Nicht Anerkennung des armenischen Aghet lautet, dass es seinerzeit den Rechtsbegriff des Völkermordes noch nicht gegeben habe. Dieser Rechtsbegriff des Genozids wurde erst während des Holocaust 1943 durch den weißrussisch-amerikanisch, jüdischen Juristen Raphael Lemkin in das Völkerrecht eingeführt. Lemkin hatte sich allerdings bereits als Student durch den Prozess gegen den Armenier Soghomon Tehlerian 1921 in Berlin inspirieren lassen um überhaupt Jura zu studieren. Tehlerian war wegen der Tötung des ehemaligen osmanischen Innenministers Talaat Pascha, des Hauptverantwortlichen des armenischen Völkermords, angeklagt, den er in Charlottenburg getötet hatte. Er wurde freigesprochen, weil seine gesamte Familie von Talaat ausgelöscht worden war. Der Prozess in Berlin war der einzige Aghet-Prozess vor einem westlichen Gericht. Allerdings hatte ein osmanisches Gericht 1919 in Konstantinopel, unter dem Druck der alliierten Kriegsgewinner, auch bereits die Hauptverantwortlichen des Aghet zum Tode verurteilt.

Die wahren Hintergründe, warum Israel den Völkermord an den Armeniern bis heute nicht anerkennt, während international so geächtete Regime wie das syrische von Assad und das iranische der Mullahs, dies getan haben, ist geostrategischer Natur. Israel hatte als jahrzehntelang isolierter Pariastaat im Nahen Osten nur zur Türkei als einzigem islamischen Staat diplomatische Beziehungen. Seit 1991 konnte es auch Beziehungen zu dem neuen Staat Aserbaidschan aufbauen, wo es mit den Tats, den Bergjuden, eine große Anzahl einheimischer Juden gibt, die eine dem Aserbaidschanischen verwandte Turk-Sprache sprechen. Israel hatte den neuen Staat nach der Türkei bereits als zweiten Staat international anerkannt. Bereits seit 1982 gab es in Baku, der Hauptstadt von Aserbaidschan, noch zu Zeiten der Sowjetunion, eine jüdische religiöse Sochnut-Schule. Aserbaidschan wurde nach 1991 zu einem der Hauptöllieferanten Israels und gewährte dem Judenstaat erstaunliche Privilegien wie Überflugrechte, die es auch gegenüber seinem Hauptfeind in der Region, dem Iran, braucht. Aus diesen Rücksichten hat Israel den Genozid am armenischen Volk noch nicht anerkannt, trotz immensen gesellschaftlichem Drucks und trotz einer starken armenischen Lobby in Israel und international, die sich für diese Anerkennung einsetzt.

So kommt es zu der erstaunlichen Konstellation, dass die christlichen Armenier, wenn sie z. Bsp. die Osterfeierlichkeiten im armenischen Viertel von Jerusalem besuchen wollen, ein Visum benötigen und die muslimischen Aserbaidschaner nicht. Israelis sind die einzigen Ausländer neben den Türken, die für Aserbaidschan kein Visum benötigen. Um nicht in den Augen islamischer Staaten als Verräter an der palästinensischen Sache dazustehen, hat Aserbaidschan auf die Errichtung einer Botschaft in Israel allerdings verzichtet, und versucht die diplomatischen Beziehungen zu Jerusalem so gut wie möglich zu verbergen.

„Massenmord“ anstatt „Völkermord“

2001 sprach der israelische Außenminister Shimon Peres über die „armenische Tragödie“ und verneinte den Völkermord. Zwei Jahre später sollte eine israelische Armenierin am nationalen Gedenktag eine Rede halten und musste nach einer türkischen Intervention die Worte „armenischer Genozid“ durch das „armenische Leiden“ ersetzen. Seit 2007 bringt die linke Meretz-Fraktion das Thema jährlich ins israelische Parlament, aber erst 2011 fand im Bildungsausschuss eine Debatte statt. Yair Auron, ein israelischer Historiker und Holocaust Spezialist, der in der armenischen Hauptstadt Eriwan unterrichtet, war Ehrengast bei den Gedenkveranstaltungen zum 100. Jahrestag des Völkermordes in Armenien. Erstmals lud zu diesem Anlass 2015 auch Israels Präsident Reuven Rivlin die armenische Gemeinde an seinen Amtssitz in Jerusalem ein und sprach darüber, dass das armenische Volk das erste Opfer eines Massenmordes in der modernen Zeit war. Den umstrittenen Begriff „Völkermord“ erwähnte er nicht.

Von Bodo Bost

 

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Von am 05/05/2016. Abgelegt unter Welt. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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