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Nazi-Propaganda im Hamburger Fremdenblatt, Ausgabe Montag, 4. Dezember 1939

Das „Hamburger Fremdenblatt, einst eine konservative Zeitung, schrieb in dieser Ausgabe nachfolgenden Artikel: „Brankos Überraschung“, von unserem Vertreter, o.m. Belgrad, 4. Dezember:

Gestern Abend, nach einundzwanzig Uhr, rief mich mein jugoslawischer Freund Branko Trandafilovitsch an: er sprach aus einer Telephonzelle des Hauptbahnhofs, sei soeben aus Deutschland angekommen und so vollgefüllt mit Eindrücken, daß er sogleich mit mir sprechen, mir berichten wolle. Eine halbe Stunde später saßen wir in der guten altserbischen Kneipe „Zu den drei Hüten“. Ohne Branko viel unterbrechen zu dürfen, hörte ich nun an, wie es ihm ergangen war. Dabei mußte ich immerzu daran denken, wie Branko vor 14 Tagen abreiste, wie er damals drei prall gefüllte Koffer mit sich schleppte, in denen sich hauptsächlich Lebensmittel befanden.

Hamburger Fremdenblatt am 4. Dezember 1939. Foto: Archiv/RvAmeln

Wir hatten ihm damals vergeblich zugeredet, sich nicht mit solchen Dingen zu belasten, aber das hatte wenig geholfen. Branko, der in seiner Jugend an deutschen Hochschulen studiert hatte, war zwar immer ein Freund der Deutschen geblieben, aber so ganz spurlos schien in der letzten Zeit die englische Propaganda doch nicht an ihm vorübergegangen zu sein. Er dachte sich, es könnte bestimmt nichts schaden, wenn man den Freunden in München, Leipzig, Berlin und Hamburg und einigen anderen Städten, die er alljährlich zu bereisen hatte, etwas Gutes mitbringe. Also packte er ein: sehr viel Butter und Speck, einige Salamiwürste, sogar zwei große Brote, Kaffee, Tee, Schokolade, Seife und für seine Schwester, die in München verheiratet ist, auch noch seidene Strümpfe.

Die erste Enttäuschung erlebte er, wie er jetzt mit langem Gesicht berichtete, schon an der Grenze. Hier wurden seine Koffer durch die jugoslawischen Zollbeamten gründlich durchsucht und – gewaltig erleichtert. Zur Schadenfreude der Mitreisenden mußte er alle „Warenproben“ abliefern, die nicht in Jugoslawien erzeugt waren. Den schönen Bohnenkaffee, den er in München servieren wollte, sah er hinter dem langen Pult des Zollamtes verschwinden. Auch der Tee, die Schokoladentafeln und die Seife, ja sogar die Seidenstrümpfe mußte er hergeben, denn er hatte unglücklicherweise in Belgrad Strümpfe gekauft, die aus einer deutschen Fabrik stammten. Genau so war es mit der Seife. Auch sie mußte er als ausländisches Fabrikat dem Zoll überlassen.

Die Beamten erinnerten Branko freundlich, aber sehr bestimmt daran, daß es seit einigen Wochen verboten ist, aus Jugoslawien all das auszuführen, was nicht im Inland hergestellt wird. „Es handelt sich doch nur um ein paar Kleinigkeiten!“, protestierte er, doch leider vergeblich. „Meine Laune“, fuhr Branko fort, „war unter den Nullpunkt gesunken. Die Grenzer haben mir die ganze große Vorfreude zerstört. Hätte ich das geahnt, ich hätte den schönen Kaffee zu Hause selber getrunken.“ Dann, so schilderte er weiter, kamen die deutschen Zollbeamten. Auch sie kontrollierten mit genauer Gründlichkeit sein Gepäck und konnten ein Schmunzeln nicht unterdrücken, als sie Butter, Speck, Fleisch und selbst Brot pfundweise fanden. „Bei denen ging es aber besser ab“, seufzte Branko erleichtert, „denn sie haben mir nichts weggenommen! Sie waren zufrieden mit einer unerwartet kleinen Zollgebühr, die ich gern bezahlte.“

Unangenehm wäre nur gewesen, setzte Branko seinen Bericht fort, daß sie ihn auslachten und meinten, er, der Ausländer, werde ja bald merken, daß er auch ohne sein „Mitgebrachtes“ in Deutschland nicht verhungern müsse. Dabei sei ihm auch aufgefallen, setzte mein Freund hinzu, daß diese deutschen Zollbeamten ausnahmslos recht gutgenährt aussahen. Er hätte sie sich anders vorgestellt, denn während der Bahnfahrt habe ihm jemand erzählt, heutzutage stürze sich jeder Deutsche auf etwas Eßbares aus dem Auslande, denn die Lebensmittelkarten reichten niemals aus, um richtig satt zu werden. Branko hatte, es war die Mittagsstunde, den Speisewagen aufgesucht. Vorher hatte man ihm mehrere Lebensmittelkarten in die Hand gedrückt.

Er studierte sie jetzt sehr aufmerksam und harrte der Dinge, die nun kommen sollten. Zu seiner Ueberraschung kamen sehr gute Dinge auf den Tisch vor ihm. Er ließ sich ein vollkommenes und ausgiebiges Menü vorsetzen, zündete sich dann sodann eine deutsche Zigarre an und fühlte sich, wie er unterstrich: ehrlich und wirklich wohl. Er hatte sich das alles anders vorgestellt. Hatte geglaubt, er werde nur ein wenig Gemüse erhalten, nicht aber, daß sich die Reise ganz wie sonst vollziehen würde. Gegen Abend, als es zu dunkeln begann, erwartete Branko neue Ueberraschungen. Er wußte, daß die Züge in Deutschland ohne Licht fahren müssen und hatte sich reichlich mit Taschenlampen versorgt.

Es blieb ihm aber jedoch erspart, sie in Betrieb zu nehmen, denn so stockdunkel war es gar nicht. Im Gegenteil, er fand die Dunkelbeleuchtung sehr nett, bei der man besser schlafen konnte, als bei großem Licht. Und so schlief Branko unter dem Alpdruck eines bösen Traumes vom beschlagnahmten Kaffee, bis ihn der Ruf des Schaffners: „München Hauptbahnhof“, erwachen ließ. Rasch packte er seine Sachen, leider nicht ohne neuen Schrecken; – das gut geheizte Abteil hatte der mitgebrachten Butter nicht gut getan. Sie hatte sich in ihre Bestandteile aufgelöst und troff im Koffer umher, so daß er sich schweren Herzens entschließen mußte, sie besser anderswohin zu tragen als zu seinen Freunden… Im Hotel blendete ihn der helle Lichterglanz, denn darauf war er wieder nicht vorbereitet. Branko hatte erwartet, daß auch hier nur gedämpft Licht brennen würde.

Zu seiner Freude stellte er fest, daß in diesem Punkt alles wie früher war. Auch das Taxi stellte sich sofort ein, das er rufen ließ, und nichts hinderte ihn jetzt mehr, wohlbehalten im Hause seiner Schwester zu erscheinen. So ging es Branko auch in den anderen Städten. Er hatte sich den Krieg in Deutschland beträchtlich anders vorgestellt. Daß man mehr Feldgraue als früher sehen würde, überraschte ih nicht, doch wunderte er sich sehr darüber, daß in den verschiedenen Lokalen das Leben seinen gewohnten Gang nehme und daß man sogar tanzte, als ob nichts geschehen wäre. Erst nach Mitternacht wanderte ich mit Branko nach Hause. Das Staunen war nun noch einmal an ihn herangetreten, denn Belgrad war seit seiner Abreise in mancher Beziehung verändert worden.

Zuerst bemerkte Branko, daß die Benzintankstellen außer Betrieb standen. Verblüfft erfuhr er durch mich, daß die Regierung die Benzinausgabe bei Nacht, auch vom Sonnabendabend bis Montagmorgen eingestellt hat, ja, daß an Sonntagen der gesamte Kraftwagenverkehr unterbleiben muß, weil Jugoslawien unter einer stärker werdenden Benzinknappheit zu leiden hat. Als wir dann einen Park im Stadtzentrum durchquerten, hielt Branko staunend vor einem lang gestreckten Erdhügel fragend den Schritt an. Das seien die neuen Luftschutzunterstände, klärte ich ihn auf. Kopfschüttelnd mußte Branko bei seinem Heimweg noch mehr als ein Dutzend solcher neugeschaffenen Höhlen passieren, die man inzwischen gegraben hat.

As wir uns verabschiedeten, reichte Branko mir die Hand: „Ich werde fortan doch dem deutschen Rundfunk mehr als den Sendern Lyon und London glauben müssen, denn daß die Deutschen im Reich hungern müssen, habe ich jetzt selbst als dummes Geschwätz erkannt.“

Aber das „dumme Geschwätz“ fand recht bald ein Ende, als die Wehrmacht Jugoslawien überfallen hatte. Jedenfalls hat die Mehrheit der deutschen Bevölkerung solchen geschriebenen Blödsinn geglaubt.

Von Rolf von Ameln

Rolf v. Ameln arbeitet seit mehr als 20 Jahren für die Israel-Nachrichten und schreibt über Themen der Zeitgeschichte.

 

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Von am 28/09/2017. Abgelegt unter Spiegel der Zeit. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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