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Die Zeitung aus London berichtet am 20. März 1942: Refugees im Dritten Kriegsjahr

Die in deutscher Sprache in London erschienene „Die Zeitung“ schreibt auf Seite vier:

Anfang dieses Jahres fand in Birmingham die jährliche Konferenz der Körperschaften und Komitees statt, die mit den deutschen und österreichischen in England befasst sind. Die Konferenz zog die Bilanz der Entwicklung im Jahre 1941; und sie hatte einen gewissermaßen amtlichen Charakter, denn Sir Herbert Emerson, der Oberkommissar für Refugees, war anwesend, und ebenfalls der Präsident der beiden Regierungskomitees für Refugees Mr. E. N. Cooper, Direktor des Aliens Departement im Home Office, ferner Mr. Brind von der International Labour Branch im Arbeitsministerium, und Mr. Prestige vom Home Office, der Internierungsfragen bearbeitet.

Im ganzen brachte das Jahr 1941 eine große Verbesserung in der allgemeinen Lage der Refugees und die Eingliederung der großen Mehrzahl von ihnen in den britischen Arbeitsprozess. Anfang 1941 waren mehrere tausend von denen, die in der kritischen Periode des Jahres 1940 interniert worden waren, noch nicht entlassen, und die Arbeitsbeschaffungen für die Entlassenen war noch in ihren Anfängen. Anfang 1942 waren mehr als 85 Prozent der arbeitsfähigen Männer, Frauen und Jugendlichen unter den Refugees, darunter viele Juden, beschäftigt; – viele Juden entweder in der Armee oder in einem Zivilberuf, der mit dem Krieg im Zusammenhang steht; und die Zahl der Internierten in England war auf wenige hundert zurückgegangen.

Im ganzen waren mehr als 50.000 Arbeitserlaubnisse an Deutsche und Österreicher erteilt worden, größtenteils durch die International Labour Branch des Arbeitsministeriums. Rund 3.500 Ausländer waren zu Gouvernement-Training-Centers zugelassen worden und die Mehrzahl von ihnen hat ihre Ausbildung bereits beendet und Stellungen gefunden. Knapp 4.000 waren zur Zeit der Konferenz noch in der Ausbildung. Was 1941 eines der bösesten Seiten des Problems gewesen war, die Internierung von 3 – 4.000 Refugees in Kanada und Australien, war ebenfalls auf dem Wege zur Lösung. 1.000 Männer warn zurück aus Kanada, und 200 waren in Kanada selbst entlassen worden. Aus Australien waren 700 zurück oder unterwegs; und von den 3.000 dort gebliebenen hat inzwischen ein großer Teil die Möglichkeit erhalten, ins australische Pionierkorps einzutreten und so eine aktive Rolle im Kriege für die gemeinsame Rolle zu spielen. Zur Zeit der Konferenz waren in Kanada noch 700 und in Australien noch 1.000 Männer interniert.

Die Status-Frage: Im ganzen kann man also sagen, dass während des letzten Jahres bei Behörden und Öffentlichkeit die Anerkennung der Refugees als wertvoller Mitarbeiter in der gemeinsamen Sache sich durchgesetzt hat. Die Bemühungen, ihre Rechtsstellung zu ändern, indem man sie auf gesetzlichem Wege zu „Friendly Aliens“ erklärte, haben zwar nicht zum Ziel geführt, aber tatsächlich werden sie jetzt als Freunde behandelt. Und in England sind die Tatsachen immer wichtiger als juristische Konstruktionen. Die Status-Frage wurde auf der Birminghamer Konferenz wiederum ausführlich diskutiert, besonders im Hinblick auf die jüngst erlassene deutsche Verordnung über die Ausbürgerung ausgewanderter Juden.

Die englischen Regierungsstellen haben noch keine offizielle Entscheidung darüber getroffen, welche Auswirkungen diese deutsche Verordnung für die deutschen Refugees in England haben soll. Aber es ist unwahrscheinlich, dass sie den Akt einer feindlichen Regierung als gültig ansehen werden, der als Strafbestimmung gemeint ist, dessen Grundidee der Rassendiskriminierung englischen Auffassungen ins Gesicht schlägt, und der den völkerrechtlichen Bestimmungen über Staatsangehörigkeit widerspricht. Selbst wenn die Anerkennung der Verordnung die Rechtsstellung vieler Refugees im Moment verbessern würde, indem sie es aus technischen „Enemy Aliens“ in Staatenlose verwandeln würde, dürfte das hierzu nichts ändern.

Viel wichtiger ist, dass die Öffentlichkeit, Arbeitgeber und Arbeitskollegen, lokale und zentrale Behörden anerkennen, dass die ersten Opfer der Nazi-Barbarei, die eine Zuflucht in England gefunden haben, als nicht weniger loyal und freundlich anzusehen sind als die Refugees, die später aus der Tschechoslowakei, aus Polen, Holland und Belgien, Norwegen und Dänemark kamen. Man darf hoffen, dass weitere Maßnahmen getroffen werden, die diesen Standpunkt, der bereits vor einigen Monaten vom Unterstaatssekretär des Arbeitsministeriums offiziell verkündet wurde, allgemein bekannt machen. Ein paar Worte über die verschiedenen Anstellungsformen der Refugees im Arbeitsprzess:

Pionierkorps und A.T.S.: Vor allem dienen bis zu 6.000 Mann im Pionierkorps. Eine ganze Anzahl von ihnen sind bereits Unteroffiziere, und knapp 100 sind in letzter Zeit Offiziere geworden. Die Ausländer-Kompagnien des Pionierkorps haben einen vorzüglichen Ruf beim Armeekommando und im Kriegsministerium. In den vergangenen Monaten ist auch die A.T.S., der weibliche Hilfsdienst, den Refugees geöffnet worden. Spezialzüge von „Allied Volunteers“ wurden gebildet, in denen auch Deutsche, Östereicherinnen und Italienerinnen dienen. Sie werden ebenso bezahlt wie britische Frauen und Mädchen, und arbeiten als Lageristinnen, Köchinnen und Kellnerinnen.

Schwestern und Ärzte: Rund 700 Refugee-Schwestern arbeiten in Krankenhäusern und Sanatorien. Zum Lazarettdienst sind sie bisher noch nicht zugelassen; aber man darf hoffen, dass auch diese Schranke bald fallen wird. Mit am schwierigsten ist es gewesen, die Ärzte und Zahnärzte unterzubringen. Die Regierung hat zu ihren Gunsten die Anstellungsbedingungen dahin geändert, dass keine britische Qualifikation mehr zu ihrer Anstellung notwendig ist, sondern dass eine ausländische genügt; sie hat auch erlaubt, dass ausländische Ärzte als Assistenten britischer Ärzte angestellt werden. Einige 400 deutsche und österreichische Ärzte und 250 tschechische Ärzte haben so Anstellungen gefunden; – darunter einige jüdische Kapazitäten aus Deutschland.

Naturwissenschaftler, Ingenieure, Volkswirtschaftler finden dagegen ständig Beschäftigung; einige von ihnen leisten Außerordentliches. Die Einsicht ist allgemein, dass es nicht genug ist, die Refugees irgendwie unterzubringen, sondern dass ihre Spezialfähigkeiten voll ausgenutzt werden sollen.

Arbeitsunfähige und Kinder: Was den Rest der aus Alters-, Gesundheits- und ähnlichen Gründen Arbeitsunfähigen betrifft, so wird ihr Unterhalt zur Zeit hauptsächlich aus der Regierungsbeihilfe an die Refugee-Organisationen bestritten. Die Eingliederung der Refugees in den Arbeitsprozess hat selbstverständlich diese Summen in letzter Zeit erheblich reduziert, und die Zahl der von Komitees Abhängigen ist nicht mehr halb so groß wie Anfang des Krieges. Von den 10.000 Kindern, die zwischen Januar und September 1939 nach England kamen, hat ein beträchtlicher Teil jetzt bereits das Alter erreicht, in dem sie arbeiten können. Aber die Kinderfürsorge ist noch voll tätig; die Kosten für Unterhalt und Erziehung werden immer noch aus dem Baldwin-Fond bestritten, der 1939 von der britischen Öffentlichkeit geschaffen wurde.

Kulturelle Eingliederung: Bei der Eingliederung der Refugees in das englische Leben spielen die kulturellen Bestrebungen eine große Rolle, in denen die örtlichen Refugee-Komitees und der British Council zusammenwirken. Überall im Lande gibt es Kurse in Englisch, englischer Geschichte und englischer Staatsbürgerkunde. Der London County Coucil hat viel getan, und in vielen Städten gibt es Klubs, wo Refugees und Engländer sich kennen lernen können. Auch hier wieder deckt die Regierungsbeihilfe drei Viertel der Kosten. Den Rest steuern das Zentralkomitee für deutsche und österreichische Refugees, der Czech Trust Fund und der British Council bei. Aber die Refugees sind nicht nur Empfänger; sie steuern wertvolle Leistungen bei. Besonders die 500 Professoren und Dozenten, die von den deutschen Universitäten verbannt wurden – hauptsächlich Juden – und jetzt in englischen Universitäten und Forschungsinstituten arbeiten, sind ein großer Gewinn für England.

Die größere Perspektive: Bei einem Essen, das während der Konferenz gegeben wurde, sprach Professor Hill, Nobelpreisträger und einer der Vorsitzenden der „Society for the Protection of Science and Learning“, über die tieferen Gründe der Weltkrise, für die das Refugee-Problem symptomatisch ist. Isolationismus, so sagte er, hatte das Herz der Demokratie angefressen. In der Zwischenkriegsperiode hatte die Erkenntnis versagt, dass die Menschheit ein einziger lebender Organismus ist, und dass sie als Ganzes nur gedeihen kann, wenn alle Teile gedeihen. Die Millionen von Refugees und Kriegsopfern in aller Welt stellen ein Problem für internationale Staatskunst und Aufbaufähigkeit dar. Was heute in England während des Krieges für die Refugees geschieht, ist die Bürgschaft dafür, dass die Aufgabe verstanden wird; es zeigt, dass die große Menschheitsperspektive da ist, die nach dem Krieg für die Lösung der größeren Probleme gebraucht werden wird.

Es soll an dieser Stelle kein Vorwurf gemacht werden; – aber, denkt man zurück an das Flüchtlingsschiff „Exodus“ und die britische Mandatszeit in Palästina, man hätte mehr tun können – viel, viel mehr!

Von Rolf von Ameln

 

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Von am 11/10/2017. Abgelegt unter Spiegel der Zeit. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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