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Zeitgeschichte in den Israel Nachrichten: Kanonen statt Butter

Die ausreichende Versorgung der deutschen Bevölkerung nahm in der Politik der Nazis eine wichtige Stellung ein. Hungerszenarien wie im Ersten Weltkrieg sollten tunlichst vermieden werden. Trotz der brutalen Ausbeutung der besetzten Gebiete entwickelte sich im Verlaufe des Krieges eine Mangelwirtschaft, in der die Schattenwirtschaft blühte. „Kanonen statt Butter“, lautete die Parole, mit der Hermann Göring als frisch gekürter Beauftragter für den Vierjahresplan im Jahr 1936 an die Opferbereitschaft der Deutschen appellierte. Wie so viele Phrasen der Nazis war auch diese eine zur Tugend erklärte Not.

Sie diente der Rechtfertigung von Nahrungsengpässen als Folge der propagierten „Erzeugungsschlacht“, das heißt des Abbaus von Auslandseinfuhren durch die Steigerung der Inlandserzeugung, doch der Selbstversorgungsgrad erhöhte sich in den Jahren 1933/34 bis 1938/39 nur mäßig von 80 auf 83 Prozent. Dessen ungeachtet suchte die Führungsclique des „Dritten Reiches“ allzu schmerzliche Streichungen auf dem Speisezettel der „Volksgenossen“ zu vermeiden, zu stark wirkte die traumatische Hungererfahrung des vergangenen Weltkrieges – in Erwartung des kommenden – nach. Der seit dem Vierjahresplan von 1936 vorbereitete und im Jahr 1939 entfesselte Eroberungskrieg durfte die Lebensmittelversorgung als Nährstoff der Massenloyalität nicht gefährden, mehr noch: Eroberungskrieg und Nahrungssicherheit waren in dieser Doppelstrategie untrennbar miteinander verbunden.

Familie im 3. Reich. Foto. Bund

Dementsprechend äußerte sich Adolf Hitler im Jahre 1941: „Ich brauche die Ukraine, damit man uns nicht wieder wie im letzten Krieg aushungern kann.“ Kurz, es ging um Kanonen und Butter! Im Sinne dieser Doppelstrategie wurde die staatliche Bewirtschaftung der Lebensmittelversorgung perfektioniert, die schrittweise bereits seit 1933 eingesetzt hatte. Zentrale Regulatoren der Nahrungsflüsse zwischen Produzenten und Konsumenten waren die auf Kreis- und Landesebene eingerichteten Ernährungsämter, die den Reichsministerien für Ernährung und Landwirtschaft sowie des Inneren unterstanden. Zuständig für die Ablieferung der Agrargüter war die Abteilung A unter Federführung des alle Erzeuger, Verarbeiter und Verteiler umfassenden Reichsnährstandes; die Abteilung B als Teil der allgemeinen Verwaltung kümmerte sich um dessen Zuweisung an die Verbraucher.

Wie ein Riesenkrake streckte das staatlich gelenkte Nahrungssystem seine Arme bis in die Ställe der Produzenten und die Küchen der Konsumenten aus. Auf der Produktionsseite der Nahrungskette galten alle landwirtschaftlichen Erzeugnisse, die über den Eigenbedarf der Haus- und Betriebsangehörigen hinausgingen, als ablieferungspflichtig. Bürokratische Zwänge, etwa Registrierung, Kontrollen und Strafandrohung, aber auch finanzielle Anreize und moralische Appelle sollten die Leiter der Bauern- und Gutsbetriebe zu Höchstleistungen in der „Kriegeserzeugungsschlacht“ anspornen. Doch trotz Zuwächsen bei besonderen Gütern, etwa den zur Schließung der „Fettlücke“ mit Prämien geförderten Ölfrüchten, entwickelte sich die pflanzliche und tierische Produktion im Reichsgebiet in den Kriegsjahren gegenüber dem Vorkriegsstand im Allgemeinen rückläufig; zudem schmolzen die anfangs beträchtlichen Getreidereserven dahin.

Darin schlug sich der Mangel an Landmaschinen, Düngemitteln und – trotz des Masseneinsatzes ausländischer Zwangsarbeiter – Arbeitskräften als Folge der wachsenden Konkurrenz zwischen Agrar- und Militärsektor nieder. Gemäß der kriegswirtschaftlichen Doppelstrategie – Kanonen und Butter – suchte der Agrarapparat die Nahrungslücke des Nazi-Regimes innerhalb des deutschen „Großraums“ zu schließen. Dies galt für das Altreich ebenso wie für die verbündeten und abhängigen sowie den annektierten und okkupierten Teile Europas. Verantwortlich zeichnete dafür Minister Richard W. Darre, nach dessen Entmachtung 1942 Herbert Backe.

Plakat Eßt Vollkornbrot. Ernährung im 3. Reich. Foto: Archiv

Ins Extrem getrieben wurde diese Strategie in den eroberten „Ostgebieten“, wo die Ausbeutung und „Ausmerzung“ der als „minderwertig“ geltenden slawischen und jüdischen Bevölkerung Hand in Hand gingen. Im Jahre 1942 meinte Hitler, er werde „aus der Ukraine die letzte Kuh wegholen, bevor die Heimat hungern müsse“ – und brachte so den imperialistisch-rassistischen Charakter der „Großraumwirtschaft“ auf den Punkt. Die Steuerung der Nahrungskette auf der Produktionsseite entsprach auf der Konsumseite die Rationierung mittels Lebensmittelkarten. Die Zuteilung der Arten und Mengen an Nahrung orientierte sich am – je nach Versorgungslage schwankenden – Satz für „Normalverbraucher“ von etwa 2.600 Kalorien zu Kriegsbeginn.

Auf diese Weise wurden traditionelle Klassenunterschiede zwischen Ober-, Mittel- und Unterschichten eingeebnet. Die Unterschiede in der „Rationengesellschaft“ folgten Leistungsmerkmalen – etwa durch Zulagen für „Schwer“- und „Schwerstarbeiter“ sowie Wehrmachtsangehörige -, sozialen Kriterien, Zulagen für Schwangere, stillende Mütter und Kinder sowie nationalistischen und rassistischen Kategorien – Abzüge für ausländische Zwangsarbeiter und Juden – ! Ausgenommen von der Lebensmittelrationierung waren die „Selbstversorger“, zu denen z.B. die bäuerlichen Familien und ihr Gesinde zählten. Nicht nur im Reichsgebiet, sondern auch zwischen den Ländern im deutsch beherrschten Europa wurde eine auch national und „rassisch“ ausgerichtete Ernährungspyramide errichtet.

„Großdeutschland“ rangierte an der Spitze, die sowjetische Bevölkerung bildete das Schlusslicht. Die Führung des „Dritten Reiches“ registrierte Stimmungsschwankungen in der deutschen „Rationengesellschaft“ mit großer Sorge. Kürzungen wurden so lange wie möglich aufgeschoben und falls unabwendbar, propagandistisch von der Aussicht auf baldige Anhebung begleitet. Dennoch geriet mit dem Rückzug der „Großdeutschen Wehrmacht“ aus Europa, der Zerstörung von Transportwegen und den Flüchtlingsströmen die Nahrungsversorgung im Reichsgebiet in den Jahren 1944/45 mehr und mehr aus den Fugen: so etwa war bis Kriegsende der „Normalverbraucher-Satz“ um 40 Prozent auf 1.600 Kalorien gesunken – und lag tatsächlich vielerorts weit darunter.

Das System der staatlichen Steuerung der Nahrungsflüsse war zwar wirkungsvoller als sein Vorgänger im Ersten Weltkrieg, aber nicht allmächtig. Produzenten, Verteiler und Konsumenten suchten die Lücken des Nahrungssystems im eigenen Interesse zu nutzen, so entstand abseits der offiziellen Sphäre der Bewirtschaftung die inoffizielle Sphäre der Schattenwirtschaft, in der „Schwarzschlächter“, „Schleichhändler“ und „Hamsterer“ regen Austausch trieben. Der Bogen spannte sich von alltäglichen, nunmehr kriminalisierten Tauschbeziehungen bis zum organisierten, arbeitsteiligen Schleichhandel im großen Maßstab.

Die Sondergerichtsbarkeit verfolgte diese Delikte auf Basis des Kriegswirtschaftsrechts, das für schwere Verbrechen die Todesstrafe vorsah. Vor Gericht kamen bäuerliche Produzenten und proletarische Konsumenten meist mit Haftstrafen davon, die volle Härte galt dem „Kriegsschieber“, der am antisemitisch aufgeladenen Konstrukt des profitgierigen Schleichhändlers im Ersten Weltkrieg gemessen wurde. Die Klassenunterschiede, die das Rationierungs-System einebnete, traten in der Schattenwirtschaft umso krasser hervor, denn nur wer etwas wertvolles einzutauschen hatte – Geld, Schmuck, Zigaretten usw. -, konnte sich auf dem „Schwarzmarkt“ mit dem Lebensnotwendigen eindecken. Vermutlich trug die extreme Risikoerfahrung auf dem „Schwarzmarkt“ in der Kriegs- und Nachkriegszeit zur Erwartungshaltung breiter Bevölkerungsgruppen nach gesicherter Existenz im Wohlfahrtsstaat nach 1945 bei; – obgleich Millionen bis zum bitteren Ende dem „Führer“ die Treue gehalten hatten.

Von Rolf von Ameln

 

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Von am 13/12/2017. Abgelegt unter Spiegel der Zeit. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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