Meine Seite

Abonnieren

  • Subscribe via Email
  • Facebook
  • Twitter

„Rumänien neu erzählen“ im März 2018 in Berlin

Eine schöne Einstimmung auf die Leipziger Buchmesse waren die Lesungen im Brechthaus in Berlin vor Tagen. Bertold Brecht zog nach Vertreibung und Exil 1959 in dieses Haus in Ost Berlin, in die neugegründeten DDR. Zusammen mit Helene Weigel, der jüdischen Wienerin, lebte er hier bis zu seinem Tod 1956 und wurde nebenan auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof beerdigt, Helene Weigel im Jahr 1971. Zu Zeiten der DDR war dieses Wohnhaus ein Kulturhaus mit einer Buchhandlung, nach 1989 entstand für das gesamte Berlin ein wichtiger literarischer Treffpunkt in Berlin-Mitte, das Literaturforum im Brecht-Haus.

Michaela Nowotnik, Literaturwissenschaftlerin an der Humboldt Universität in Berlin, und Florian Kührer-Wielach, Historiker und Rumänist aus München, empfingen ihre Gäste in diesem ehemaligen Wohnhaus von Bertold Brecht und Helene Weigel in der Chausseestraße. Eine sehr gute Adresse hatten sie gewählt zum Vorstellen ihrer gerade erschienenen Anthologie „Wohnblockblues mit Hirtenflöte – Rumänien neu erzählen“ im Wagenbach Verlag Berlin. Michaela Nowotnick, die Umtriebige, die zwischen Archiven in Rumänien und Berlin unterwegs ist, führt die Zuhörer kenntnisreich durch Rumänien, durch die rumänische Literatur, die ins Deutsche übersetzt wurde. Nächste Woche beginnt in Leipzig die Buchmessen und Rumänien ist Gastland. 20 Schriftsteller/innen haben ihre Geschichten, ihr Erlebtes, ihre guten und negativen Eindrücke, die sie aus Rumänien mitbrachten, dort erlebten oder Fiktives, für diese Anthologie aufgeschrieben. Noemi Kiss, Mara-Daria Cojocaru, Elke Erb und Uwe Tellkamp sind im Autorenverzeichnis zu lesen, ebenfalls Jan Koneffke, Roland Erb und Tanja Dückers, Carmen-Francesca Banciu, Werner Söllner und Elmar Schenkel, Alexandra Bulucz und Jürgen Israel, Frieder Schuller und William Totok, Eginald Schlattner, Iris Wolff und Dana Grigorcea, Joachim Wittstock, Franz Hodjak und Ingo Schulze. Eine Zusammenfassung erstklassiger Autorinnen/Autoren und Erzählungen.

Mara-Daria Cojocaru. Foto: Wollmann-Fiedler

An zwei Abenden fanden die literarischen Vorstellungen statt. Zu „Rumänien entdecken“ ist Mara-Daria Cojocaru, die Hamburgerin mit dem rumänischen Namen, den sie vom Vater bekam, sich in England, Südafrika und Kalifornien aufhielt, als Lyrikerin, Übersetzerin und Dozentin für Philosophie in München lebt, nach Berlin gekommen und liest ihre Geschichte“ Das Wichtigste zuletzt“. Jan Koneffke, der in Darmstadt geboren wurde, Philosophie und Germanistik studierte, Lyrik und Prosa schreibt, viele Auszeichnungen bekam, in Rom lebte, seit Jahren in Wien und Bukarest, der Heimatstadt seiner Frau. Aus „Die sieben Leben des Felix Kannmacher“ las er und sein Gedicht zum 80. Geburtstag von Nora Iuga aus der Anthologie Auf dem Podium erzählen Cojocaru und Koneffke über die Motivation die Geschichten zu schreiben, erzählen über ihre Beziehung zum Land auf dem Balkan und diskutieren mit unterschiedlichen Sichtweisen über die Politik und das Leben in Rumänien heute.

Der Leitfaden des 2. Abends lautet „Wiedersehen mit Rumänien“, zu dem Florian Kührer-Wielach, Direktor des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig Maximilians Universität München, Dana Gregorcia, Frieder Schuller und William Totok eingeladen und vorgestellt hat. Dana Gregorcia, die Jüngste im Bunde, ist gebürtige Bukaresterin, besuchte in Bukarest die deutsche Schule, studierte Philologie und wohnt als Schriftstellerin mit Ehemann und zwei Kindern in Zürich. Frieder Schuller kommt aus Katzendorf/Cata in Siebenbürgen, 1978 ging er nach Deutschland, schreibt Gedichte und Theaterstücke, Filme hat er ebenfalls gedreht. Ich erinnere mich an den sehr sehenswerten Film über Celans Bukarester Zeit nach dem 2. Weltkrieg „Im Süden meiner Seele“. William Totok wurde im Banat geboren, ist Mitbegründer der Aktionsgruppe Banat, ging vor Jahrzehnten nach Deutschland, wohnt in Berlin. Bücher, Essays, Gedichte und vieles mehr verfasste er, ein politischer Denker ist er nach wie vor.

Schuller, Gregorcia, Totok. Foto: Wollmann-Fiedler

Schullers Geschichte „Bogdanowka Heiligabend“ ist eine grausame, die kaum auszuhalten ist, doch Wirklichkeit war! Es geht in der Geschichte um Volksdeutsche, Rumänen und Ukrainer im 2. Weltkrieg als Rumänien sich Hitlerdeutschland angeschlossen hatte. Wie wildgewordene Banden gebärden sie sich, knallen und ballern um sich, jagen die Juden im Norden Rumäniens wie Hasen, erschossen, trafen oder trafen nicht, man applaudierte. Gebäude und Ställe wurden angezündet, am lebendigen Leib gingen fünftausend Kranke unter unvorstellbaren Qualen zugrunde, die dort untergebracht waren. Am lebendigen Leib wurden sie hingerichtet, verbrannt. Nur langsam verstummten die Schreie. Andere trieben sie in den Wald zum Töten. Der Schnee war rot, tiefer Winter, es war kurz vor Weihnachten. Der am sichersten schießende Förster Andreas musste an den Weihnachtsbaum für zuhause denken. Das Lager gab es, Frieder Schuller hat eine Geschichte daraus gemacht.

Gregorcias Geschichte ist leichter, „Rumänische Frauen – Aus dem Leben der rumänischen Dichterin Mara B.“, Totok liest einige „Eiszeit“ Gedichte, die 1987 in einem DDR-Verlag erschienen sind.
Sehr politisch wird die Diskussion der drei Schriftsteller, die Rumänien den Rücken gekehrt haben, in unterschiedliche Kulturen in Rumänien geboren und erzogen wurden. Im 2. Weltkrieg ging die deutsche Minderheit einen eigenen Weg, nahm eine gefährliche politische Position ein und Judenprogrome und Massaker jeglicher Art waren in Rumänien an der Tagesordnung. An Aufarbeitung der faschistischen Zeit ist bis heute in dem Balkanland nicht viel passiert.
Dana Gregorcia gehört zur jungen Generation Rumänischer Schriftsteller, gehört nicht zur deutschen Minderheit. Ihre Sicht auf das Land ist eine andere.

Entdecken Sie Rumänien, lesen sie die Geschichten aus dem Land, das so wenige kennen. Geschrieben wurden sie in großartiger schriftstellerischer Manie, ein Lesegenuss über verschiedene Kulturkreise und Ethnien, Landschaften und historische Ereignisse, einer meist fernen Welt. Sie werden begeistert, nachdenklich oder gar grübelnd das Buch zur Seite legen. Sie werden sich mehr und mehr mit zeitgenössischer rumänischer Literatur befassen und bemerken, welch interessante ins Deutsche übersetzte Bücher aus Rumänien zu uns in die Buchhandlungen kommen. Wer kann schon Rumänisch?

Wohnblockblues mit Hirtenflöte
Rumänien neu erzählen
Herausgegeben von Michaela Nowotnick und Florian Kührer-Wielach

Verlag Klaus Wagenbach 2018
Berlin www.wagenbach.de
ISBN 978 3 8031 2794 5

 

Von Christel Wollmann-Fiedler

 

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie uns bitte mit einer Spende, oder werden Sie Mitglied der Israel-Nachrichten.

Von am 25/03/2018. Abgelegt unter Bücher,Europa. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

Durch einen technischen Fehler, ist die Kommentarfunktion ausgeschaltet!

Leserkommentare geben nicht die Meinung der Redaktion wieder. Wie in einer Demokratie ueblich achten wir die Freiheit der Rede behalten uns aber vor, Kommentare nicht, gekuerzt oder in Auszuegen zu veroeffentlichen. Anonyme Zuschriften werden nicht beruecksichtigt.