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Berliner Cafe mit U-Bahnanschluß

Das neue „Zeithistorische Portal Cafe Haberland“ am Bayrischen Platz in Berlin

„Hauptsache Currywurst bleibt Currywurst“ kommentierte der Taxifahrer angesichts des neuen pikfeinen „Brutzlstübchen“ am Bayrischen Platz und steckte sich den nächsten Bissen in den Mund.

Für die Liebhaber der Currywurst war der Bayrische Platz in Berlin-Schöneberg seit jeher ein Wallfahrtsort. Das „Brutzelstübchen“ am westlichen Zugang zu den U-Bahnsteigen von U7 und U4 gilt Kennern als eine der Topcurrywurstbuden abseits der Touristenströme bei Curry 36 oder Konopke.

Zur Überraschung der Anwohner wurde letztes Jahr im Frühjahr der U-Bahnhof Bayrischer Platz, in dessen Nordfassade das Brutzelstübchen integriert war, abgerissen. Das Brutzelstübchen fand sich in einen Imbisswagen direkt vor der entstanden Brache wieder.

Die Älteren erinnerte die Situation nun frappierend an den Zustand des U-Bahnzugangs in der Nachkriegszeit.

Beim Luftangriff auf Berlin am 3.Februar 1945 explodierten allein auf dem Bayrischen Platz 9 Bomben. Drei Volltreffer machten den den U-Bahnhof dem Erdboden gleich und brachten die Tunneldecke zum Einsturz während zwei Züge dort hielten. 63 Tote lagen in den Trümmern.

Nachdem der Schutt des U-Bahnhofs weggeräumt war, stand hier lange nur ein Kiosk. Ende der fünfziger Jahre wurde der U-Bahnhof als gläserner Pavillionaufbau im Stil der Zeit neu errichtet. Der Pavillion wurde 1967 abgerissen und 1971 durch das Gebäude ersetzt, das bis 2013 den U-Bahnhof Bayrischer Platz prägte.

Wen heute sein Weg zum Kreuzungspunkt von U7 und U4 führt, dem erschließt sich der Sinn der Abbruchaktion. Der Bayrische Platz ist seit wenigen Wochen um eine Attraktion reicher: ein nagelneuer schmucker U-Bahnhof ist entstanden mit gläsernem Penthauscafe, Dachterrasse und vor allem einem Informationszentrum zur Quartiersgeschichte in den Caferäumen. So was findet sich in Berlin kein zweites Mal. Das Brutzelstübchen ist jetzt im Nordteil des Gebäudes eingezogen.

Foto: Christian Wolter

Foto: Christian Wolter

„Zeithistorisches Portal Cafe Haberland“ nennt sich die Lokalität. Bei schönem Wetter kann der Besucher nun auf dem U-Bahnhofsdach sitzen und das Alltagstreiben unter ihm studieren.

Das Ausstellungs- und Informationsangebot in den Räumen des dank der vielen Fenster hellen Dachcafes lädt dazu ein, in die Historie dieses mit reicher Kulturtradition gesegneten Quartier Berlins einzutauchen. 60 Plätze gibt es innen, weitere 50 auf der Terrasse. Regelmäßige Vorträge, Lesungen und Konzerte ergänzen das Programm.

An Medieninseln im Cafe Haberland sind Filme zur Historie des Viertels abrufbar, an Hörstationen ist die Vergangenheit der Umgebung akustisch nacherlebbar. Die Wahl besteht zwischen Deutsch und Englisch, das Filmangebot steht zudem in Gebärdensprache zur Verfügung. Bei Kaffee und Kuchen kann in den ausliegenden Broschüren und Heften zu Themen wie jüdisches Leben oder Baugeschichte geschmöckert werden.

Auch die Wände sind mit Bildern und Texten bereichert. Ein Verzehrzwang besteht nicht. Ein riesiger Straßenplan, der in transparentem orange und weinrot auf dem Fenster des Cafes mit Blick in die Innnsbruckerstraße aufgemalt ist, erleichtert einen Spaziergang durch die Umgebung zu planen. Ergänzt wird das Angebot zur Stadtgeschichte 2 Stock tiefer durch die zahlreichen Schautafeln, die sich bereits seit vielen Jahren im Zwischendeck der U-Bahnstation finden.

In den Straßen rund um den Bayrischen Platz waren im vergangenen Jahrhundert selten viele bedeutende Wissenschaftler, Künstler und Intellektuelle zu Hause, vor allem das liberal-jüdische Bürgertum fühlte sich im Bayrischen Viertel wohl.Bereits seit 1993 erinnern 80 an Straßenlaternenmasten im Bayrischen Viertel befestigte Schilder mit Gesetzes- und Verordnungstexten aus dem 3.Reich an die Entrechtung der jüdischen Bevölkerung in Deutschland.

Cafe Haberland. Foto: Christian Wolter

Cafe Haberland. Foto: Christian Wolter

Im Bayrischen Viertel lebten und arbeiteten unter anderem: der Lyriker und Schriftsteller Gottfried Benn, der Politiker Eduard Bernstein, der Politiker Rudolf Breitscheid, der Physiker Albert Einstein, die Fotografin Giselle Freund, der Psychoanalytiker Erich Fromm, der Maler Karl Hofer,der Dichter Arno Holz,der Theaterkritiker und Autor Alfred Kerr, der Journalist und Schriftsteller Egon Erwin Kisch,der Schachweltmeister, Mathematiker und Philosoph Emanuel Lasker, der Schriftsteller Kurt Pinthus, der Theaterintendant und Regisseur Erwin Piscator, der Literaturkritiker Marcel-Reich Ranicki, die Sängerin Claire Walddoff, der Regisseur und Drehbuchautor Billy Wilder, der Dramatiker und Schriftsteller Carl Zuckmayer. Auch die Journalistin und Autorin Inge Deutschkron wohnt hier.

Gestaltet wurde das Viertel nach den damals modernsten stadtplanerischern Erkenntnissen vom Direktor der Berlinischen Bodengesellschaft Georg Haberland. Zwischen 1998 und 1908 erwarb er das bisher als Ackerland benutzte Gebiet und verkaufte die erschlossenen Parzellen als Bauland weiter. Auch die Benennung der Straßen nach bayrischen Städten geht auf Haberlands Idee zurück.

Die beauftragten Architekten bauten im süddeutschen Renaissancestil, die sogenannte „Alt-Nürnberger Bauweise“ und die Haberlandstraße erhielt ihren Namen 1906 zu Ehren Salomon Haberland, dem Vater von Georg Haberland. Da die Nazis alle jüdischen Straßenbezeichnungen verboten, wurde die Haberlandstraße 1938 in Nördlingerstraße und Treuchtlingerstraße geteilt. Erst 1996 erfolgte die Rückbenennung der Nördlingerstraße auf ihren Gründungsnamen.

Zur Eröffnung des Glaspavillion-Cafes am 19.September 2014 waren auch zwei Urenkel Salomon Haberlands aus Stockholm angereist, Ralf Hermanns, 81, und dessen Schwester Renate Gynnerstedt, 84. „Hier treffen sich die U-Bahn-Linien, hier sollen sich auch Menschen aller Religionen treffen…es soll nicht nur um jüdisches Leben gehen im neuen Café Haberland“, sagte Ralf Hermanns in seiner Rede.

Vor allem in den Nächten vom 1. auf den 2. März und vom 22. zum 23. November 1943 legten alliierte Fliegerbomben das Bayrische Viertel zu rund 75 Prozent in Schutt und Asche.

Dennoch ist das Gesicht einiger Straßenzüge mit den eleganten Gebäuden aus der Kaiserzeit fast ohne Zerstörung erhalten geblieben.

Zu den Straßenzügen, die fast ohne Zerstörung über den Krieg gekommen sind gehört beispielsweise die Bozenerstraße, wo der in Hausnummer 20 der nach Meinung vieler Kritiker bedeutendste Lyriker des vergangen Jahrhunderts, Gottfried Benn lebte, der einstige Geliebte von Else Lasker-Schüler, „die größte Lyrikerin die Deutschland je hatte“ (Benn). In der Eckkneipe Robbengatter, damals Dramburg, entstanden Abends beim Bier viele seiner schönsten Gedichte. Bücher kaufte Benn, wie auch Albert Einstein im noch existierenden „Buchladen Bayrischen Platz“ in der Grunewaldstraße, gegründet 1919 von Benedict Lachmann. So lässt sich bei einem Bummel durch die Straßen mit ihren alten Bäumen, kleinen Geschäften, Restaurants und Cafes rund um den Bayrischen Platz, noch heute die weltoffene, großbürgerliche Atmosphäre der Vorkriegszeit atmen.

Das kommende Programm im Cafe Haberland:

12.November 2014 „Wo waren Sie beim Mauerfall?“ 20 Uhr;

3.Dezember 2014 „Advent und Channnukka“

Wir singen bei Haberland 20 Uhr;

14. Januar 2015 „Willy Brand oder das Charisma in der Politik“

Mit Peter Merseburger und Julia Encke

Talk bei Haberland 20 Uhr;

18. Februar 2015 „Notengräber

Auf den Spuren jüdischer Musik

der rbb bei Haberland 20 Uhr;

15. März 2015 „Besonderheiten der Architektur“

Führung durchs Bayrische Viertel

anschließend Brunch bei Haberland

11:00 -15:00 Uhr.

Gastbeitrag von Christian Wolter

für Israel-Nachrichten.org

 

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Von am 31/10/2014. Abgelegt unter Europa. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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