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Wider das Vergessen: Demütigungen und Morde während der Pogrome 1938

Die Pogrome im November des Jahres 1938 sind bis in den heutigen Tagen vornehmlich mit dem Bild brennender Synagogen und mutwillig zerstörter Schaufensterscheiben verbunden. Weitaus weniger ist bekannt, dass die antijüdischen Ausschreitungen mit zahlreichen Demütigungen, Gewaltakten und mit vielen brutalen Morden verbunden waren. Bereits in der Weimarer Republik war das Auftreten der Nationalsozialisten von Brutalität begleitet, insbesondere gegen „Sozis“ und Kommunisten. Nach der „Machtübernahme“ Adolf Hitlers gerieten zunehmend auch die Juden ins Visier des Nazi-Terrors, der vor allem von der SA ausging.

Eine wohl viel zu niedrig veranschlagte Schätzung ging von 43 jüdischen Ermordeten bis zum Juni 1933 aus. Zugleich wurde der Antisemitismus Teil der staatlichen Politik in Hitlers Reich. Im Frühjahr 1938 markierten schließlich die Ausschreitungen im Rahmen des „Anschlusses“ Österreichs eine neue Stufe der antijüdischen Gewalt in Deutschland. Juden mussten unter den Augen von SS- und SA-Angehörigen, von Hitlerjungen und Passanten Wahlparolen von Hauswänden und Gehsteigen waschen. Zum Teil wurden sie bis zur völligen physischen Erschöpfung zu „Turnübungen“ gezwungen – eine Methode des Quälens, die dem militärischen Bereich entstammen dürfte.  

Auch die am Abend des 9. November und am frühen Morgen des 10. November 1938 ergangenen Befehle, die den reichsweiten Terror gegen die jüdische Bevölkerung auslösten, erhielten neben Weisungen zur Zerstörung von Synagogen und Geschäften, Anordnungen, die Menschen unmittelbar in Todesgefahr brachten. So ist ein Befehl des Führers der SA-Gruppe Nordsee, Böhmker, für seinen Zuständigkeitsbereich erhalten. Er gab telefonisch die Weisung, „sämtliche Juden zu entwaffnen“, und jene, die dabei Widerstand leisten sollten, „über den Haufen zu schießen.“

Brennende Synagoge 9. Nov. 1938. Foto Yad Vashem

Brennende Synagoge 9. Nov. 1938. Foto Yad Vashem

 

Für das gesamte Nazireich befahl Gestapo-Chef Müller am 9. November kurz vor Mitternacht 20.000 bis 30.000 jüdische Männer zu verhaften und in Konzentrationslager zu verschleppen. Auch er nahm auf einen möglichen Waffenbesitz Bezug und schürte so Ängste vor einer angeblich von Juden ausgehenden Gefahr. Dass Reinhard Heydrich im Zusammenhang mit der Verhaftung später anordnete, die Festgenommenen nicht zu misshandeln, zeitigte in den meisten Fällen keinerlei Wirkung. Wie bekannt ist, begannen die Zerstörungen noch in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938. Häufig mussten die Täter nicht mehr eigens zusammengerufen werden, denn sie befanden sich bereits – viele unter Alkoholeinfluss – auf den Feiern zum 15. Jahrestag des so genannten „Hitlerputsches“ 1923. Ihr Werk der Zerstörung, das sie in den kommenden Tagen ausführten, beschränkten sie nicht auf jüdische Gotteshäuser und Geschäfte. Häufig zertrümmerten SA-Männer und ihre Sympathisanten auch ganze Wohnungseinrichtungen.

Aufnahmen aus Düsseldorf zeigen, dass die täter die Öffentlichkeit nicht scheuten. Sie warfen sämtlichen Hausrat einfach auf die Straße. Mitten in der Nacht wurden Menschen aus ihren Betten oder Wohnungen gezerrt. Im westfälischen Bad Lippspringe zwang eine Menschenmenge, die sich unter anderem aus NSDAP-Mitgliedern, SA-Leuten und Angehörigen einer Polizeischule zusammensetzte, sechs jüdische Männer, in die – mit Mauern gefasste – Lippequelle zu springen. Sie mussten mehrere „Tauchgänge“ unternehmen und wurden am Verlassen gehindert. Zwei von ihnen wären dabei fast ertrunken. Unter schweren Misshandlungen wurden sie letztendlich wieder zurück in ihre Wohnungen geschickt. Ähnlich gingen Täter im westfälischen Lünen vor. Dorrt trieben sie mehrere jüdische Mitbürger in den Fluss Lippe; einer der Juden wurde von der Strömung mitgerissen und ertrank. ER blieb nicht das einzige Gewaltopfer der ersten 24 Stunden des Pogroms.

Juden werden durch die Stadt getrieben. Foto: Yad Vashem

Juden werden durch die Stadt getrieben. Foto: Yad Vashem

 

Viele Tatbeteiligte schreckten nicht einmal vor dem Einsatz von Schusswaffen zurück: Im nordbadischen Eberbach gab der dortige NSDAP-Ortsgruppenleiter noch am 10. November 1938 gegenüber dem Amtsgericht Buchen zu Protokoll, er sei vom NSDAP-Kreisleiter angewiesen worden, „eine Aktion gegen die Juden in Eberbach durchzuführen. Der Kreisleiter erklärte mir, ich könne mit den Juden machen was ich wolle, nur dürfe es zu keinem Hausbrand und zu keinen Plünderungen kommen..“ Er habe dann in Begleitung weiterer Nationalsozialisten zunächst eine jüdische Familie nach dem Besitz von Waffen befragt, und, nach der Verneinung der Frage, die Eheleute in das Feuerwehr-Spritzenhaus gebracht. Nach einem weiteren „Besuch“ bei einem Ehepaar, von dessen Verhaftung sie abgesehen hätten, seien sie schließlich zum Haus einer 78 Jahre alten Jüdin gekommen. Diese habe sich geweigert, sie zu begleiten, wobei er gegenüber dem Gericht anmerkte, er habe ihr nicht mitgeteilt, wohin man sie mitnehmen wollte.

Die Jüdin habe gesagt, man solle doch die Gendarmerie holen, wenn man etwas von ihr wolle. Nach hefdtigem Wortwechsel habe er dann seine Pistole gezogen und zunächst auf ihre Brust geschossen, dann einen zweiten Schuss auf den Kopf gerichtet. Die alte Frau lebte immer noch. Aus zehn Zentimetern Entfernung richtete der Ortsgruppenleiter nach eigener Aussage einen dritten Schuss auf ihre Stirn. Dann entfernten sich die Nazis. ein eingeleitetes Ermittlungsverfahren gegen den Parteifunktionär wurde im Jahre 1940 durch einen Erlass des Reichsministers der Justiz niedergeschlagen. Einer Wiederaufnahme des Verfahrens nach dem Zweiten Weltkrieg entzog er sich durch Selbstmord.

Die Verhaftungen waren immer von Demütigungen begleitet. In einigen Städten wurden jüdische Männer gezwungen, Züge zu formieren und Schilder mit entwürdigenden Aufschriften zu tragen. In Trebnitz – Schlesien – schlugen nichtjüdische Frauen und Kinder auf jüdische Männer des Ortes ein, die – an Kuhketten gebunden – hinter einer Musikkapelle herlaufen mussten. In Regensburg zwangen Angehörige des NS-Kraftfahr-Korps (NSKK) jüdische Männer, auf dem Gelände der dort befindlichen Motorsportschule, teilweise vollkommen nackt, zu exerzieren und durch Schlammpfützen zu kriechen. Anschließend mussten sie mit dem Tranparent „Auszug der Juden“ durch die Innenstadt marschieren. Danach wurden sie teils direkt in das KZ Dachau verschleppt oder in das Regensburger Gerichtsgefängnis gebracht. Die öffentlichen Märsche erinnern an eine andere Gewaltpraxis der Nazis, die „Prangerumzüge“, mit denen christlich-jüdische Liebespaare bloßgestellt werden sollten. Demütigungen in dieser Form hatten eine äußerst wichtige Rolle bei den vielen antijüdischen Exzessen gespielt, die viele Orte in Hitlers Reich ab dem Frühjahr 1935 erfasst hatten.

Diese Gewaltausbrüche waren erst nach dem in den „Nürnberger Gesetzen“ ausgesprochenen Verbot von Ehen zwischen Juden und Nichtjuden im September 1935 wieder etwas zurückgegangen. Die Zahl der unmittelbar Verstorbenen im November 1938 muss auf etwa 100 geschätzt werden; hinzu kommen die in den Konzentrationslagern Buchenwald, Dachau und Sachsenhausen zu Tode gequälten. Allein im KZ Buchenwald starben 233 der nach dem 10. November eingelieferten Häftlinge, dazu kommen zahllose Selbstmorde!

Die Morde und Übergriffe im November 1938 markierten ein bislang unbekanntes Ausmaß an Gewalt, das die antijüdische Gewaltwelle der Jahre 1933-1935 bei Weitem überstieg. Gerade in kleinen Orten dürften die öffentlichen Demütigungen in symbolischer Hinsicht das Ende des Zusammenlebens von Juden und Nichtjuden bedeutet haben. Sie trugen zur vollständigen Isolation der jüdischen Bevölkerung bei und waren  n u r  eine Vorstufe der kommenden Vernichtungspolitik, die über die europäischen Juden ab dem Jahre 1941 hereinbrach. Sehr viel ist bis in heutiger Zeit kaum aufgeklärt. So behandelten nur 30 der 1.174 nach dem Krieg durchgeführten „Kristallnacht“-Prozesse die Mordtaten während des Pogroms, und dies deshalb, weil die bundesdeutsche Justiz gegen diesen Verbrechenskomplex nur lasch vorging.

Was aus den nicht unter Anklage gestellten Tätern wurde, ist bis heute unbekannt..!!

Eine 15jährige Schülerin aus Österreich schrieb an ihre Eltern folgende Zeilen:

„Liebe Eltern, es ist jetzt sehr schön in Wien, es geht  mir gut. Wir können den ganzen Tag den Juden das Geld wegnehmen, wenn ich komme, bringe ich auch was Schönes mit!“

Von Rolf von Ameln

Redaktion Israel-Nachrichten.org

 

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Von am 03/11/2014. Abgelegt unter Spiegel der Zeit. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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