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Das „Dritte Reich“ in den Jahren nach 1933: Deutschland ohne Illusionen

Versuch einer Analyse

Deutschland war im Jahre 1939 eine Wüste des Zanismus und Fatalismus. Zanismus und Fatalismus verband Nazi und Nichtnazi, Mitläufer und Gleichgültige. Zanismus und Fatalismus sind freilich ungefährlich für eine Diktatur, solange sie unbeschränkt mit einer ergebenen großen militärischen Organisation und Macht zusammenarbeiten kann.

Hinter der Überzeugung vieler, es werde nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges sehr bald zu einer Revolution kommen, stand entweder der bekannte und so gefährliche Optimismus, der ständig sieht, was er sehen möchte, oder die Unkenntnis der wahren Lage im Reich. Nach dem Einmarsch im Rheinland, nach Spanien, Wien und München verzweifelte die zäheste Opposition. Dänemark, Norwegen, Holland, Belgien und dann der Fall Frankreichs muss sie völlig zu Boden geworfen haben. Diese Opposition hat mit den alten Parteien kaum noch etwas zu tun. Sie ist unter Reichen und Armen zu finden, auch unter solchen, die Vorteile von den Nazis haben, unter „alten Kämpfern“ und sogar in der Gestapo. Diese Opposition ist abhängig vom Geist und wirft die ganze materialistische Betrachtung über den Haufen.

Man gehört zu den Trägern des Geistes der Auflösung der alten Werte oder man gehört nicht dazu – das entscheidet selbstverständlich nicht das Parteibuch. Und es gibt genug Nichtnazis, die sich als Gegner fühlen und im tieferen Sinne doch keine Gegner sind. Jede Bombe, die über Nazideutschland abgeworfen wird, trifft nicht einfach deutsches Gebiet, das die Nazis sonst vollkommen beherrschen. Daher ist es psychologisch ein großer Unterschied, ob eine deutsche Bombe auf englischem Boden detoniert oder eine englische auf deutschem: diese verhöhnt gleichsam in unerhörter Weise Hitlers Macht. Nur wer die Verzweiflung der Opposition kennt, kann wissen, welche großartige „Musik“ jede Bombe für diese Opposition bedeutet, die sich 1938 freute, wenn es keine Eier oder wenig Fett gab, und die damals die Niederlage Schmelings begrüßte, als sei sie eine große politische Niederlage der Nazis. Die alten Parteien und ihre ganze politische Sprache ist gestorben. Sie werden in alter Form wahrscheinlich niemals wiede rerwachen. Ein Aufruf in der typischen kommunistischen Sprache würde ebenso komisch wirken, wie ein deutschnationaler oder sozialdemokratischer. Man hätte den Eindruck, es sei etwas aus einem Museum nachgedruckt und veröffentlicht worden. 1934 und 1935 konnte Hitlers Diktatur noch ein Zwischenfall sein. Jetzt ist sie gelebtes Leben – und wie!

Das lässt sich nicht einfach ausradieren oder zurückdrehen wie eine Uhr. Die Nazis haben die ganze politische Sprache entwertet. Man wird gezwungen sein, sozusagen in einem „Ur-Deutsch“ zu sprechen, zu schreiben und vor allem auch zu denken. Das heißt, in einem Deutsch, in dem die ganzen politischen Wendungen – ab 1914 – nicht bekannt sind – und nicht nur diese, auch tausende schlagwortartige Wendungen wirtschaftlicher Art. In Deutschland haben nicht nur Worte wie „rechts“ und „links“ keinen Inhalt mehr, auch Worte wie „Kapitalismus“ und „Privateigentum“ sind ausgelöscht. Der Sieg des Nazigeistes über Deutschland hat nicht nur die politischen Worte und Wednungen entwertet, sondern auch zahlreiche Worte und Wendungen, die mit Politik scheinbar nichts zu tun haben.

Sie Jubeln Ihrem Führer zu, 5 Jahre später kann sich keiner mehr erinnern.

Sie Jubeln Ihrem Führer zu, 5 Jahre später kann sich keiner mehr erinnern.

Sie haben keinen bestimmten Inhalt mehr, bedeuten bald dies, bald das oder sind sozusagen nur noch dekorative Schallwellen, lautliche Gebärden; – zum Beispiel „Ehre“. Politik mit der Sprache versteht sich von selbst, die Nazis entwickeln bewusst und unbewusst die Politik in der Sprache. Sie lässt sich freilich schon im „Altertum“ nachweisen, und jeder versteht sich ein wenig darauf, aber wer ist beispielsweise jemals darauf verfallen, aufzurüsten mit einer „Winterhilfe für die Ärmsten der Armen“, die als „freiwillige Spende“ einfach vom kargen Lohn oder vom Gewinn abgezogen wurde! Wer wagte es, eine Diktatur zu verwandeln in die „modernste Demokratie der Welt“! Wer wagte es, eine Presse über welche die schärfste Zensur verhängt wurde, gerade deswegen als eine „befreite“ und dann als die „freieste Presse der Erde“ zu erklären!

Der durchschnittliche Mensch, ob gebildet oder nicht, glaubt an Worte. Worte erzeugen Wirklichkeiten, Umbenennungen verändern Wirklichkeiten in der Vorstellung. Der Gebrauch bestimmter Worte verändert die Vorstellungen. Wenn der Kritiker nur ständig ein „Meckerer“ ist, wird er alsbald zum Meckerer. Daher sind diese Dinge wichtig, und es ist durchaus nicht angebracht, sich lediglich über das Deutsch der Nazis lustig zu machen. Ja, es ist ebenso naiv, wie etwa der Spott über den „Führer-Staat“ 1933 oder über die „arische Großmutter.“ Wer den rechten Instinkt hatte für den Hintergrund der Ereignisse, der beobachtete mit Grauen die Flut der zynischen Witze, unvergleichlich in der deutschen Geschichte, die Jahr für Jahr Deutschland seit dem 30. Januar 1933 überfluteten und – Freund und Feind verbanden. Was Hitler zu fürchten hatte, war nicht dieser Zynismus; was er zu fürchten gehabt hätte, wäre die heilige ursprüngliche naive Empörung gewesen, das Pathos der Entrüstung, die gläubige Bejahung eines anderen Lebens, positive politische Vorstellungen. Das allein erzeugt Taten, und dafür gibt es auf Dauer keine Gestapo. So aber verbreitete der Deutsche, der geprügelt wurde, die gleichen Witze wie der, der prügelte!

Nach 1935 hielt die Angst aller Besitzenden vor der Zukunft das „Dritte Reich“ zusammen. Jede tolle Maßnahme, jede wirtschaftliche Gefahr verschärfte die Angst. Was kommt denn nach Hitler! hieß es, und die Köpfe wurden in den Sand gesteckt. Damals drohte Hitler mit dem Kommunismus, mit dem Chaos, jetzt mit der Niederlage; – „Siegen oder untergehen!“ Was unter „untergehen“ zu verstehen ist, bleibt dem Einzelnen überlassen; – aber die „SS-Verwalter“ und Helfershelfer der Konzentrationslager wissen, was sie darunter zu verstehen haben.

Das deutsche Volk lebt im Krieg nicht erst seit dem Jahre 1939, sondern bereits seit 1937 und 1938. Teils kommt das den Nazis zugute: Faktor der Gewöhnung. Teils – und das dürfte eine größere Rolle spielen – arbeitet die Tatsache gegen Hitler: Faktor der Ermüdung, seelische Schwächung. Es ist selbstverständlich, dass Hitler noch ein Prestige hat, das größer ist, als es irgendein Deutscher der Politik jemals hatte. Man muss bedenken, dass bereits der Einzug in Wien als Wunder erschien, es kam Prag, es kam Warschau und – Paris. Aber wenn man in Deutschland den Stil sehen könnte, in dem die Londoner die Bombardements der deutschen Luftwaffe hinnehmen, würde man staunen und seinen Augen nicht trauen.

Und: Tausend Jahre wird das Reich der Nazis wohl kaum überstehen können; – dafür sorgen andere demokratische Mächte.

Von Rolf von Ameln

 

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Von am 11/10/2015. Abgelegt unter Spiegel der Zeit. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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