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Bukowiner literarische Skizzen

Slawisch war die Bukowina im Mittelalter, später ein Teil des Moldauischen Fürstentums. Verwildert war die Gegend, die Österreicher besetzten 1774 den Landstrich, kultivierten Land und Leute. Karl Emil Franzos schrieb 1889 ….und selten hat sich in Europa eine so jähe Entwicklung vollzogen wie hier. Im Laufe eines Jahrhunderts hat sich die Bevölkerung um das Siebenunddreißigfache vermehrt. Im Jahre 1775 ein Haufen Lehmhütten, 1860 ein stilles galizisches Kreisstädtchen, ist Czernowitz heute die hübscheste, freundlichste Stadt des Österreichischen Ostens…

Czernowitz. Foto: Wollmann-Fiedler

Czernowitz. Foto: Wollmann-Fiedler

1867 entstand die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn. 143 Jahre gehörte  das Buchenland als  östlichste Provinz zur Österreichischen Krone. Das Goldene Zeitalter des Landstriches in Reichweite der Ostkarpaten dauerte bis 1918. Der Kaiser in Wien dankte ab, die Donaumonarchie war beendet, das Rumänische Zeitalter begann. Die Bukowina wurde rasch rumänisiert. Kirchen, Synagogen und die Franz Josefs Universität entstanden zuvor im 19. Jahrhundert, Czernowitz prosperierte wirtschaftlich, eine Straßenbahn fuhr seitdem durch die Stadt, in der Deutsche, Juden, Rumänen, Ruthenen, Polen und Zigeuner zusammenlebten. Das Sprachengewirr war einmalig.

1940 überfielen die Sowjets das Gebiet, deportierten nicht nur Juden, auch nichtjüdische Fabrikbesitzer, Apotheker und Intellektuelle nach Sibirien, ließen sie verhungern und erfrieren. Der 2. Weltkrieg begann, Rumänien verbündete sich kurzfristig mit Hitlerdeutschland, die Deutsche Wehrmacht besetzte 1941 die Nordbukowina. Ein Getto wurde in der Stadt errichtet, täglich transportierte man Juden nach Transnistrien in  Arbeitslager, wo sie an Hunger und Typhus starben oder jenseits des Bugs erschossen wurden. 1944 befreiten die Sowjets den Landstrich und direkt wurde die Nordbukowina der Sowjetunion zugesprochen, die Südbukowina blieb den Rumänen. Zum Spielball der Geschichte wurde Czernowitz, in all den Jahrhunderten. Die deutsche Sprache verband die Menschen. Österreichische Intellektuelle, junge Pädagogen und junge Dichter kamen im 19. Jahrhundert in das „Österreichische Sibirien“. Man sprach von Bären und Wölfen.

Prag wurde das Zentrum der deutschen Prosa, Czernowitz das Jerusalem am Pruth, die heimliche Hauptstadt der deutschsprachigen Lyrik. Das Kulturleben war ohnegleichen. Ernst Rudolf Neubauer, geboren 1828,  Dichter aus Mähren, lehrte Literatur und Geschichte in Czernowitz und wurde zum Mentor junger schriftstellerischer Talente.  Einer von ihnen war Karl Emil Franzos, der 1848 als Arztsohn in Galizien geboren wurde, als Kind eine Klosterschule besuchte, mit der Mutter nach Czernowitz kam, das Deutsche Gymnasium absolvierte und nach Wien zum Studium ging. Alte Sprachen liebte er, übersetzte Vergil aus dem Lateinischen ins Altgriechische. Klassische Philologie konnte er in

Czernowitz jüdischer Friedhof. Foto: Wollmann-Fiedler

Czernowitz jüdischer Friedhof. Foto: Wollmann-Fiedler

Wien als Jude nicht studieren, begann daraufhin ein Jurastudium, wurde bedrängt sich taufen zu lassen, wollte nicht. Nicht als Polen, als Deutschen mit mosaischem Glauben, hatte ihn der Vater erzogen. Er arbeitete für Zeitungen, schrieb Novellen, Romane und Reiseskizzen. Auf dem Weg von Wien nach Czernowitz schreibt er: Die Heide bleibt hinter uns, den Vorbergen der Karpathen braust der Zug entgegen und über den schäumenden Pruth in das gesegnete Gelände der Bukowina…Wer da einfährt, dem ist seltsam zumute: er ist plötzlich wieder im Westen, wo Bildung, Gesittung und weißes Tischzeug zu finden sind. (aus Halb-Asien, 2. Band 1889). In Berlin leitete Karl Emil Franzos die Literaturzeitschrift „Deutsche Dichtung“, förderte junge Talente und gab die gesammelten Werke von Büchner heraus. Zweifel an der Deutsch-Jüdischen Symbiose bekam er nach der Dreyfussaffäre in Frankkreich. 1904 starb er in der Stadt an der Spree und wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Weißensee begraben.

Auf seinem Grabstein ist eingraviert:
Ist dein auch alle Erdenpracht
Und aller Weisheit Blüte,
Das, was dich erst zum Menschen macht,
ist doch allein die Güte.

Mihai Eminescu (1850-1889), wurde 1850 als Mihail Eminovici in der heutigen Südbukowina an der Grenze zur Moldau geboren, gehörte ebenfalls zu den Schülern Neubauers. Begabt war Michael, konnte Deutsch, rezitierte beim Heuen Goethe und Schiller. In Czernowitz besuchte Eminescu das Deutsche Gymnasium, verliebte sich in eine Schauspielerin und tingelte mit den Gauklern eine zeitlang als Souffleur durch Bukowiner Dörfer. Philosophie hörte er an den Universitäten in Wien und Berlin. Finanzielle Unterstützung bekam er von mehreren Seiten, Gedichtzyklen wurden veröffentlicht. Zum „Nationaldichter“ stilisierte ihn Titu Maiorescu. Der „bedeutendste rumänische Dichter des 19. Jahrhunderts“ wurde er in Bukarest. Er war interessiert an Schopenhauers Philosophie, erkrankte sehr jung an einer infektiösen Krankheit. In geistiger Umnachtung starb er 1889 mit 39 Jahren, ähnlich dem Romantikerschicksal Hölderlins und Novalis. Erst 1948 wurde Eminescu posthum als Ehrenmitglied in die Rumänische Akademie aufgenommen.

Sonett
Erloschen ist Venedigs stolze Pracht,
kein Lied erklingt, kein Licht umspielt die Wellen;
allein die Marmorstufen und die hellen
Portale sind im Mondenschein erwacht.

Durch die Paläste geistert Friedhofsstille.
Sankt Markus, priesterhaft und zeitentrückt,
verkündet Mitternacht wie Gotteswille,
und von den Untergängen schier erdrückt
raunt er im düstern Tonfall der Sibylle:
„Noch keinem ist die Wiederkehr geglückt!“
(Übersetzt von Hans Bergel, 2012)

Der Huzule und Bergbauernsohn Osyp Jurij Fedkowicz (1834-1888), auch Joseph Gregor Fedkowitsch, der in der Bergregion der Ostkarpaten geboren wurde, in Czernowitz die deutsche Realschule besuchte, sich griechisch-orthodox taufen ließ, befreundete sich ebenfalls mit Professor Neubauer. Im Italienisch-Österreichisch-Sardischen Krieg nahm er als Reservesoldat teil, hatte Heimweh, sehnte sich nach seinen Karpaten und schrieb:

Der Huzulen-Bergschütz
Wo im seidenweichen Moose
Schwarze Tannen purpurn blühn
Wo das Reich der wilden Rose
Und das Land voll Immergrün,

Dort, ja dorthin will ich gehen,
An den wilden Tschermoschstrand,
Auf die blauen Bergeshöhen,
In mein schönes Heimatland.
(aus: „Versunkene Dichtung der Bukowina“ von Amy Colin und Alfred Kittner, 1994)

In die Bukowina kehrte Fedkowitsch zurück, arbeitete als Redakteur, schrieb Dramen, Gedichte und Erzählungen. Bis zu seinem Tod 1888 in Czernowitz war er Redakteur und Herausgeber der „Bukowyna“. 100 Jahre nach seinem Tod bekam die Universität in Czernowitz seinen Namen.

Margul-Sperber (1898-1967) wurde als Alfred Sperber, in Storojinetz/Bukowina in eine assimilierte deutsch-jüdische Familie geboren. In Erinnerung an seine Mutter nahm er ihren Geburtsnamen Margul hinzu. Das Gymnasium in Czernowitz besuchte er, im 1. Weltkrieg zog die Familie nach Wien und Alfred Margul-Sperber ging zum Militär.  Nach dem Krieg begann er ein Jurastudium in Czernowitz und wurde Schriftsteller. In der Stadt am Pruth, in Kronstadt und Zagreb wurde sein Geschriebenes gedruckt. 1920 ging er nach Paris und weiter nach New York. In New Yorker Journalen publizierte er und übersetzte Gedichte vom Amerikanischen ins Deutsche. Verschiedene andere Jobs nahm er zum Überleben an, das Emigrantenleben wurde ihm schwer. Nach seiner Rückkehr ins Buchenland versuchte er westeuropäische Literatur in die Provinz zu bringen und unterstützte junge Literaten beim Publizieren. Mit Thomas Mann korrespondierte er. 1940 ging er nach Bukarest, entkam der Deportation nach Transnistrien. Hochgewachsen war Margul-Sperber, über zwei Meter war seine Statur. Wenn er in der Redaktion „Neuer Weg“ auftauchte und lachte, bebte der Raum, erzählt Nora Iuga, die berühmte Lyrikerin in Bukarest. Zwei Weltkriege hat der Schriftsteller mitgemacht, von Land zu Land war er gereist. Als Schriftsteller, Lyriker  und Übersetzer lebte er bis zu seinem Tod 1967 in Bukarest in der Rumänischen Volksrepublik.

Der Neger Jesse Owens erläuft den Olympiarekord (1936)
Der Schwarze Panther stand im Riesenkreis
Der Hunderttausend, deren Atem stockte:
Er sah ein Meer, und dieses Meer war weiss,
und fern das Ziel, das wie der Urwald lockte.

Und da ins Ziel er einbrach aus dem Raum
Und fühlte sich im Sturm emporgetragen
Von tosendem Geschrei -: sah er den Baum,
dran einst sein Vater hing, gespenstisch ragen.

auf den Namen eines Vernichtungslagers
Dass es bei Weimar liegt, vergass ich lang.
Ich weiss nur: man hat Menschen dort verbrannt.
Für mich hat dieser Ort besondern Klang,
denn meine Heimat heißt: das Buchenland.

Das Ensemble der Bukowiner Dichter lebte und schrieb in der gleichen Landschaft, hatte die gleiche Kultur und die deutsche Sprache verband sie.

Paul Celan (1920-1970) und Immanuel Weißglas (1920-1979) drückten einige Zeit gemeinsam in Czernowitz die Schulbank, doch ihre Wege trennten sich in Bukarest.

Paul Celan wurde als Paul Antschel 1920 in Czernowitz geboren. Die jüdische Volksschule besuchte er und das Gymnasium. In Tours/Frankreich begann er Medizin zu studieren, zurück in Czernowitz, Anglistik und Romanistik. Nach der Besetzung durch die Deutsche Wehrmacht 1941 wurde ein Ghetto errichtet und Juden nach Transnistrien verschleppt. Celans Mutter wurde in Transnistrien erschossen, der Vater starb an Typhus. Paul wurde nicht deportiert, kam in ein Arbeitslager, 1944 zurück nach Czernowitz, und kurz darauf ging er nach Bukarest. Noch in den beiden Bukarester Nachkriegsjahren bejahte Paul Celan das Leben, hatte die Judenverfolgung überlebt, war jung, verehrte Ruth und andere schöne Frauen, befreite sich die Seele mit seiner Dichtkunst. Die kommunistische Zeit begann in Rumänien, der König musste das Land verlassen und täglich wuchs der Wunsch des jungen Dichters in einem freien westlichen Land zu leben. Die Mitglieder der Gruppe 47 in Deutschland verstanden seine Gedichte nicht, fanden sie  zu pathetisch, die Liebesbeziehung zu Ingeborg Bachmann war kurz. Von Wien zog er weiter nach Paris, heiratete und bekam einen Sohn. Depressionen und Lebenszweifel verfolgten ihn und  mit fünfzig Jahren beendete er 1970 sein inzwischen weltberühmtes Dichterleben.

Todesfuge

Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends,
wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts
wir trinken und trinken
wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete
er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die Sterne er pfeift seine Rüden herbei
er pfeift seine Juden hervor läßt schaufeln ein Grab in der Erde
er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz

er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft
er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein Meister aus Deutschland
dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith

entstand nach dem Aufenthalt im Arbeitslager 1945.

Der Klassenkamerad von Celan, Immanuel Weißglas, wurde ebenfalls in Czernowitz geboren, besuchte dort die Schule,  überlebte die Lager in Transnistrien und  ging 1945 nach Bukarest. Als Verlagskorrektor, Redakteur und Übersetzer vom Deutschen ins Rumänische arbeitete er und nicht zuletzt verfasste er seine Lyrik. Mit Hedwig Brenner aus Czernowitz war er zeitlebens verbunden, in den beiden „Russenjahren“ arbeiteten sie zusammen in der Czernowitzer Bibliothek. 1979 starb Immanuel Weißglas in Bukarest.

Babylonische Klage

Wir saßen an den Wassern Babels,
An den Wassern des Bugs und klagten,
vor tausend und tausend, vor zwanzig Jahren,
und wühlten Geschichte
Aus Wasser und Wind

„In Gottes Mühlen in Berlin“ erschien „Das Massengrab“

Ich grub die Schaufel unwirsch in die Erde und bin gewiß, dass ich sie öffnen werde, was hab ich mehr zu tun als nachzusehen, wo meine Toten ruhn?

(Im Lager Obodowka schrieb er das Gedicht)

In Guangzhou, in der Kanton-Provinz im Süden der Volksrepublik China starb 1971 Dshu Bai-Ian. In Cernowitz wurde sie 1904 als Klara Blum geboren. Ihr Leben wurde eine Odyssee. 1915 ging sie mit der Mutter nach Wien, studierte Psychologie. Als Journalistin arbeitete sie für die sozialdemokratische Arbeiterzeitung in Wien. Sozialdemokratin war sie, Kommunistin wurde sie 1933. In die Sowjetunion wurde sie eingeladen als Dank für ein antifaschistisches Gedicht. Elf Jahre blieb sie in Moskau und arbeitete im Propagandadienst der Roten Armee. Für Literaturzeitschriften verfasste sie Essays und übersetzte, eigene Lyrikbände brachte sie heraus. Leidenschaftlich verliebte sie sich in einen Chinesen. Sie, die staatenlose Jüdin heiratete den Maoisten. Er verschwand spurlos, sie hörte von Deportation nach Sibirien, glaubte es nicht. Nach dem zweiten Weltkrieg ging sie vorerst nach Westeuropa, endlich nach Shanghai und weiter reiste sie durch China mit dem großen Wunsch, ihren Mann zu finden. Ihre Novellen und Romane erschienen in der ehemaligen DDR.  An verschiedenen Chinesischen Universitäten arbeitete sie als Professorin, ihr großer Roman „Der Hirte und die Weberin“ wurde von Lion Feuchtwanger hochgelobt. Bis an ihr Lebensende wartete sie auf ihren Mann. 1971 starb sie in Guangzhou in China.

Czernowitzer Ghetto

Die alten Gässchen zieh’n sich eng zusammen.
Der Boden hinkt und holpert im Zickzack.
Aus schweren Leuchtern zucken kleine Flammen.
Der Witz treibt mit dem Unglück Schabernack.

Die Augen funkeln, doch die Wangen blassen,
der Kaftan reißt, die Schläfenlocke bebt,
Wenn, halb erstickt in seinen Pariagassen
Ein Volk noch stöhnend, höhnend weiterlebt.

Die Mauer fiel vor mehr als hundert Jahren,
Und dennoch blieben sie im dumpfen Nest.
Das Elend hielt sie an den Schläfenhaaren
In ihrem engen alten Ghetto fest.

(aus „Versunke Dichtung der Bukowina“, hrsg. von Amy Colin und Alfred Kittner, 1994

Hedwig Brenner-Langhaus erblickte direkt nach dem Ende der Donaumonarchie 1918 in Czernowitz das Licht der Welt, liberal jüdisch wurde sie erzogen. Der Vater war Rechtsanwalt, die Mutter Lehrerin. Mit zehn Jahren verlor sie den Vater, beendete das Gymnasium in Czernowitz, ging kurzfristig zum Studium nach Genf und Wien. Zurück in die Bukowina musste sie zu Beginn des Krieges, arbeitete zusammen mit Immanuel Weißglas in der Czernowitzer Bibliothek, überlebte das Getto in Czernowitz,  ging 1945 nach Ploiesti in Rumänien. Nach seiner Rückkehr aus dem Arbeitslager lernte sie Paul Antschel in Czernowitz kennen. Erst 1982 durfte Hedwig Brenner mit der Familie nach Israel auswandern. Sehr spät begann sie zu schreiben, zwei Familiengeschichten entstanden, Erinnerungen an Czernowitz, das Geschriebene und Aufgehobene ihres Mannes veröffentlichte sie zusammen mit ihren Kurzgeschichten, „Begegnungen mit Menschen und Orten“, kam hinzu.. Für die in den letzten Jahren erschienenen fünf Lexika „Jüdische Frauen in der Bildenden Kunst“ bekam sie 2012 das Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland und das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst verliehen. Siebenundneunzigjährig wohnt sie in Haifa.

Das Alter

Leise, ganz leise klopft es an meine Tür.
Ich bin gut erzogen und rufe „Herein“!
Niemand tritt ein.
Ich gehe hin, um nachzusehen,
Öffne einen Türspalt
Und habe das bestimmte Gefühl,
Dass jemand ins Zimmer geschlüpft war.
Sollte es der Prophet Elijahu sein?
Ausnahmsweise nicht zu Pessach?

…Ich bin Dein Schatten,
Dein „Alter Ego“,
Gestatte, dass ich mich vorstelle:
Ich heiße ALTER.

(aus: „Zum Andenken und Nachdenken“ von Hedwig und Gottfried Brenner)

Gregor von Rezzori d’Arezzos Familie kam aus Sizilien nach Wien und 1914 wurde er in Czernowitz geboren, besuchte in Kronstadt/Siebenbürgen die Schule, studierte in Österreich Bergbau, Medizin, Architektur und Kunst. 1938 ging er nach Berlin, als Journalist war bei Radiosendern beschäftigt, bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen 1947 berichtete er als Reporter, als Schauspieler stand er auf der Bühne oder im Studio. Die „Maghrebinischen Geschichten“ und andere Anekdoten und Legenden wurden Welterfolge. In der Bundesrepublik Deutschland und in Italien lebte er, 1998 starb der Weltenbummler in der Toskana.

Die  „Balkanische Lügengeschichten eines Fantasielandes“ wurden 1958 bei rororo gedruckt und wir alle lasen diese Geschichten als Jugendliche mit großer Freude. In seinem Vorwort schreibt Rezzori Der Knoblauch ist der Lotos Maghrebiniens, und jeder spürte, wohin er uns führte.

…Maghrebinien ist groß. Der Schall der Glocken von den Zwiebeltürmen seiner Kirchen (aber in Wirklichkeit sind es keine Zwiebeltürme, sondern Knoblauchtürme, und der Knoblauch ist für Maghrebinien, was für Indien der Lotos ist) -…

…In der Hauptstadt Maghrebiniens, Metropolsk, befindet sich an der Kreuzung der beiden wichtigsten Verkehrsadern, der Schossea Pungaschijlor (das ist: Die Straße der Beutelschneider) und der Kalea Hotzijlor (das ist die Gasse der Diebe), das weit über die Grenzen des Landes hinaus bekannte und berühmte Restaurant Tschina…usw.usw.

(aus den „Maghrebinischen Geschichten“, rororo)

In Amerika heiratete Rosalie Beatrice Scherzer, die 1901, in Czernowitz geboren wurde, den Freund Ignaz Ausländer. Zuvor floh ihre Familie aus Czernowitz nach Budapest, Rose kam zurück und studierte Literatur als Gasthörerin an der Czernowitzer Universität, war Verehrerin von Constantin Brunner, dem deutsch-jüdischen Philosophen. Später lebte sie mit Helios Hecht in New York. Ihre Feuilletons und Gedichte erschienen in deutschsprachigen-amerikanischen Zeitschriften. Die schwerkranke Mutter wollte sie pflegen, kam 1939 zurück in die Bukowina, wo zur gleichen Zeit ihr 1. Gedichtband erschien. Im Oktober 1941 kam sie ins Czernowitzer Ghetto, überlebte in einem Versteck die Nazizeit, ging nach Wien und zog 1965 nach Düsseldorf. Der 2. Gedichtband wurde ihr literarischer Durchbruch. Viele literarische Auszeichnungen bekam Rose Ausländer, ebenso das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland. 1988 starb sie im Nelly-Sachs-Heim in Düsseldorf.

 Czernowitz vor dem Zweiten Weltkrieg

Friedliche Hügelstadt
von Buchenwälder umschlossen

Weidenentlang der Pruth
Flöße und Schwimmer

Maifliederfülle
um die Laternen
tanzen Maikäfer
ihren Tod

Vier Sprachen
verständigten sich

Viele Dichter blühten dort auf
deutsche jiddische Verse
verwöhnten die Luft

Bis Bomben fielen
atmete glücklich die Stadt

Bukowina I

Tannenberge. Grüne Geister:
In Dorna-Vatra würzen sie
das Harzblut. Alte Sommermeister
treten an ihre Dynastie …

(aus „Versunkene Dichtungs der Bukowina“, hrsg. von Amy Colin und Alfred Kittner, 1994)

Alfred Kittner kam erst 1980 nach Düsseldorf, war 1906 in Czernowitz in eine assimilierte deutsch-jüdische Familie geboren worden, hatte Germanistik in Breslau studiert. In den 1930er Jahren arbeitete er als Redakteur bei einer Czernowitzer Zeitung. Wie alle anderen Juden, kam er 1941 ins Ghetto und wurde nach Transnistrien deportiert. Die schwere Arbeit und die Krankheiten überlebte er, ging 1945 nach Bukarest. Die Securitate hatte ein Auge auf ihn geworfen, er unterschrieb und fungierte als IM. Unterzeichnete Berichte von ihm fand man vor Jahren. 1969 gab er den literarischen Nachlaß von Alfred Margul Sperber in Bukarest heraus. 1980 ging er nach Düsseldorf, war dort befreundet mit der Schriftstellerin Edith Horowitz-Silbermann, einer Jugendfreundin von Paul Antschel in Czernowitz, korrespondierte mit Rose Ausländer, starb 1990 in der Stadt am Rhein.

Mann im Abend

Vor der Abendröte steht ein Mann,
Der sich vor Sonne nicht halten kann
Und auf der Wiese im letzten Licht,
Ein schwarzer Strich, in den Himmel sticht.

Das Abendlicht ist bald zu Ende,
Das Rot verdämmert im Gelände,
Verwandelt sich ins Violette
Und schluckt des Mannes Silhouette

(Geschrieben im Lager Steinbruch am Bug, 1942)

Alfred M. Liquornik hieß er in Czernowitz, wo er 1920 in eine liberale jüdische Familie geboren wurde. Den Namen Gong gab er sich in New York, wohin er auswanderte und 1981 starb. Das Gymnasium besuchte er in Czernowitz, studierte an der Heimatuniversität Romanistik und Literaturwissenschaft. Seine Familie wurde in die Sowjetunion deportiert, er kam ins Czernowitzer Ghetto und rettete sich nach Siebenbürgen, wurde von dort ins Arbeitslager nach Moghilev gebracht. Ihm gelang die Flucht nach Odessa und endgültig nach Bukarest. Als der Kommunismus Einzug hielt, floh er nach Wien. Privatlehrer war er in  der Stadt an der Blauen Donau, arbeitete für den Rundfunk und veröffentlichte in Zeitschriften. 1951 endlich konnte er über Umwege in die USA auswandern. Mit Übersetzungen verdiente er seinen Lebensunterhalt, wurde Literaturberater und freier Schriftsteller. 1966 wurde Alfred Gong in Wien der Theodor-Körner-Preis verliehen, den er  nicht persönlich entgegennehmen konnte.

Bukowina

Die Slawen benannten sie so. Buchenland
Hieß sie den schwäbischen Siedlern, hier
Belehnt unter Maria Theresiens Krone.
Anders die Sterne des Grenzlands –
Wie Frucht, wie Wintersaat,
wie der nie gehobene Türkenschatz –
wenn sie flüsterten aus den Brunnen.

Weihnacht im Tal. Der Wunderrabbi
Mit schneeigem Bart tanzte im Schnee
Mit dem Schnee überm Schnee –
Unterm Schnee träumte ganz Sadagura.

In Odessa

Galina, unser Stern ist verdammt,
ein Schneeball ziellos und blind.
Nur Du und ich, wir blieben zurück
In dieser Arche im Wind.

(aus „Versunkene Dichtung der Bukowina“, hrsg. Von Amy Colin und Alfred Kittner, 1994)

Manfred Winkler wurde 1922 in Putila im Bezirk Radautz in eine wohlhabende jüdische Familie geboren, besuchte das Rumänische Lyzeum in Czernowitz. Die Mutter und der Bruder wurden als Kapitalisten 1940 von den Sowjets nach Sibirien deportiert, der Vater nahm sich das Leben. Winkler tauchte unter, kam in die Rote Armee, ging 1946 nach Rumänien, nach Temeswar ins Banat, 1959 wanderte er nach Israel aus, studierte Hebräische und Jiddische Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem, gab Zeitschriften heraus und Anthologien, editierte Theodor Herzls Werke, übersetzte Lyrikbände von Paul Celan ins Hebräische, wurde ein Wunderkind der Hebräischen Literatur, seit 1981 arbeitete er als freischaffender Schriftsteller, Übersetzer und Bildhauer, war Mitglied des Hebräischen Schriftstellerverbandes und des deutschsprachigen PEN, bekam den wichtigsten Literaturpreis des Ministerpräsidenten Israels. Mehrere Lyrikbände von ihm erschienen in deutschen Verlagen, der letzte im Januar 2014. Im Juli 2014 wurde Manfred Winkler, der Letzte der Czernowitzer Mohikaner, wie er sich selbst nannte, in Zur Hadasa beerdigt. Zwei Monate zuvor lernte ich ihn kennen und bekam seinen letzten Gedichtband von ihm signiert geschenkt.

Jerusalem

Himmel von Dächern gelb
Und dunkelgrün von Bäumen,
zwischen Türmen heben sich Minaretts,
Du bist ein tiefes Bett der Liebe,
doch nicht weniger wunderbar der Hass
auf deinen Gliedern, er könnte dich zwei- oder dreiteilen
wie ein Brot mit Übergewicht.

Die, die Brücke geworden im Krieg, sind schon im Himmel,
die andern in Kontoren oder auf Arbeitssuche,
als wäre nichts geschehen. Doch du musst bleiben
ungeteilt mit Haß und Liebe und den
Wildtauben, die niemand sieht.

(aus „Versunkene Dichtung der Bukowina“ hrsg. Von Amy Colin und Alfred Kittner, 1994)

1923 wurde Margit Bartfeld in Czernowitz in eine liberale jüdische Familie geboren, 1941 holten die Sowjets  die gesamte Familie ab und deportierte sie nach Sibirien. 1948 heiratete sie in Sibirien, den ebenfalls aus Czernowitz verschleppten Kurt Feller und bekam eine Tochter. Margit arbeitete in einer Musikschule in Tomsk, Kurt Feller, der Architekt, starb 1979. 1990 durfte die gesamte Familie nach Israel ausreisen. Margit begann in Tel Aviv zu schreiben, ihr Leben aufzuschreiben, ihr Leben in der Bukowiner Heimat, ihr 50 Jahre langes Leben in Sibirien. Das österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst bekam sie 2012 verliehen, den Teodor Kramer Preis aus Wien bekam sie 2013.

Viele Bücher sind entstanden. Mit Selma Meerbaum-Eisinger und Liane Schindler (Ilana Shmueli) besuchte Margit Bartfeld-Feller in Czernowitz die Schule.

Habe ich wirklich erlebt, was ich glaube erlebt zu haben? Sibirien, Wahnsinn und Todesangst. Verfolgung, Verachtung und Hohn. Wie habe ich nur standhalten können? Jahre tödlichen Hungers und Kälte. Ja, wie konnte ich nur durchhalten? Ein junges, jüdisches Mädchen aus Czernowitz, das, plötzlich aus dem Wohlstand herausgerissen, sich mit seiner Familie in solch extremen Situationen befand? Anscheinend war es die Gabe, sich niemals dem Selbstmitleid hinzugeben und ein immer und immer wieder mich belebender Sinn für Humor.

(Aus: „Nicht ins Nichts gespannt“ von Margit Bartfeld-Feller)

Die Freundin und Klassenkameradin Liane Schindler traf Margit Bartfeld-Feller nach 50 Jahren in Israel wieder. Liane Schindler, geb. 1924 in Czernowitz, wurde in Israel Ilana Shmueli. Im Czernowitzer Ghetto war sie 1941 und konnte von dort nach Palästina flüchten. Paul Celan war ihr Jugendfreund. In Paris und Jerusalem trafen sie sich in den 1960er Jahren wieder. Der Briefwechsel zwischen beiden wurde im Buch „Briefwechsel“ 2004 festgehalten. 2011 starb Ilana Shmueli in Jerusalem.

18.12.1969
Einfach nur noch ein Zeichen geben – das letzte bevor ich komme, und weil Du sagtest dass dies Dir beim Leben etwas helfen könnte – kann es?

Ich bin heute sehr müde, vielleicht auch etwas ängstlich – Ich schreibe Dir das weil ich glaube – dass ich auch müde aussehe – nun, ich glaube ich war es, die behauptet hat, es ist gut nicht mehr von sich zu erwarten, besonders schön aussehen zu müssen – auch wenn es für Dich ist! Ich versuche mich gerade wieder dazu zu bringen – Wenn es soweit ist werde ich schon ruhiger sein – es soll nur schon so weit sein.
Ilana
(aus Paul Celan – Ilana Shmueli „Briefwechsel“, Suhrkamp 2004)

Auch Selma war eine Klassenkameradin von Margit und Liane in Czernowitz.

1924 wurde Selma Meerbaum-Eisinger in Czernowitz geboren. Über die Mutter war sie verwandt mit Paul Celan. Die Familie wurde in ein Arbeitslager nach Transnistrien geschafft. Gedichte für ihren geliebten Freund Lejser Fichman schrieb Selma, das junge Mädchen in Czernowitz, heimlich unter der Schulbank. Lejser Fichman übergab die Gedichte einer Freundin, die sie im Rucksack nach Israel rettete. Lejser, der Freund Selmas, ertrank auf dem Weg nach Palästina und Selma Meerbaum-Eisinger starb 1942 mit achtzehn Jahren an Typhus im Arbeitslager, ihre Eltern wurden in einem anderen Lager erschossen. Die wunderbaren Gedichte eines jüdischen Mädchens an seinen Freund Ich bin in Sehnsucht eingehüllt sind in einem kleinen Büchlein gedruckt. Ein Gedicht ist anrührender und ergreifender als das andere. Sie gehören inzwischen zur Weltliteratur.

Welke Blätter

Plötzlich hallt mein Schritt nicht mehr,
sondern rauschet, leise, leise,
wie die tränenvolle Weise, die ich sing’, von Sehnsucht schwer.
Unter meinen müden Beinen,
die ich habe wie im Traum,
liegen tot und voll vom Weinen
Blätter von dem großen Baum. 24.9.1939

(aus „Ich bin in Sehnsucht eingehüllt“ Fischer Taschenbuch Verlag, 1990)

Die Lager waren keine Orte für Prosa. Hastig wurden auf kleine Zettel Gedichte geschrieben, dann versteckt in die Jackentaschen. Spätestens 1945 endete das vielfältige literarische Leben in Czernowitz. Die deutsche Sprache wurde die Sprache des Feindes. Die Bukowiner Dichter flohen nach Bukarest oder gleich weiter in die Welt. Emigration war für viele die letzte Hoffnung.

Joseph Schmidt (1904-1942), der weltberühmte Tenor sang als Kind bereits im Czernowitzer Tempel. Die Welt lag ihm zu Füßen,  Ein Lied geht um die Welt machte ihn einst berühmt. 1904 wurde er in Dawideny in der Bukowina geboren, die Flucht vor den Nazis in die Schweiz gelang dem Gehetzten, in ein Internierungslager wurde er gesteckt, erkrankte schwer und starb 1942, in Zürich liegt er begraben.

Stefanie Nussbaum, Rosa Zuckermann, Lydia Harnik, Josef Burg und Matthias Zwilling blieben als letzte Zeugen des Jüdischen Lebens in der einst multikulturellen Stadt am Pruth und wurden in  den Jahren auf dem Czernowitzer Friedhof beerdigt.
Professor Dr.Petro Rychlo, Dehio-Literaturpreisträger aus dem Jahr 2015, lehrt Literatur an der Czernowitzer Universität und ist ein großartiger und wichtiger Übersetzer. In seiner Dankesrede meinte er im September 2015 in Berlin „…habe mich all diese Jahre bemüht, die Stimmen der vergessenen und vertriebenen, ermordeten und verschollenen deutschjüdischen Dichter der Bukowina wieder zu beleben“.

Nach der Öffnung der Grenzen in Deutschland, in  Europa 1990, wurde Czernowitz 1991 ukrainisch und heißt seitdem Černivtsi.

Von Christel Wollmann-Fiedler

 

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Von am 29/01/2016. Abgelegt unter Welt. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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