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„Die Österreichische Post“ schreibt in ihrer Weihnachtsausgabe von 1938: Briefe aus der Heimat

Aus Innsbruck: Die Verhaftungen nehmen ihren Fortgang. Ich habe nur deshalb meine Ruhe, da ich ja bei der SA bin und Ihr wisst auch warum ich dabei bin. Ja, öfters habe ich sogar Angst, dass sie wiederkommen werden und dass die stundenlange Verhöre wieder von vorne angehen. Der Herr….schaut derart gebrochen aus, dass man bei ihm keine Hoffnungen mehr hat. Das ist die Arbeit der Gestapo. …Sogar die Nazis, besonders die größten Führer, sind nicht zufrieden, gar nicht davon sprechen darf man von Deinen Freunden, welche ja so fleißig den Namen Österreich verkauft haben. Du weißt, dass gerade der….eine ziemlich hohe Stellung in der illegalen Bewegung hatte und jetzt ist er aus der Partei ausgetreten und widmet sich seinem zivilen Beruf.

Foto: Archiv/RvAmeln

Foto: Archiv/RvAmeln

Aber Nazi ist er keiner mehr und mit ihm viele, die als der Kern der Legalen in Tirol gegolten haben. Mache Dir nur ein Bild, wenn diese Burschen einmal nicht zufrieden sind. Ja, und dann wirst Du dich fragen, was machen dann unsere Leute, unsere Bauern usw., das ist ein ganz trauriges Kapitel. Du siehst an die Samstagabende nur mehr nachdenkliche und tuschelnde Gestalten in den Dorfgasthäusern. Wie oft haben wir von den schönen Stunden gesprochen, wenn wir beisammen saßen und alle ob jung oder alt uns einem Gedanken widmeten: Österreich. Neulich waren wir wieder auf einer Tour in den Ötztalern und ich muss Dir leider mitteilen, dass die Leute dort sehr gedrückt sind. Aber glaube nur nicht, dass alle den Mut verlieren, nein, nein und nochmals nein. Jahrhundertelang haben wir die Ehre unserer Heimat verteidigt und wir werden es auch weiter machen. Aber wir sind nur traurig, dass solches Unglück über unsere Heimat hereinbrechen musste…

Ich habe nur einen Wunsch, dass Du die Leute wieder einmal sprechen hörst: nichts als Jammer und Weh. Nichts wird mehr respektiert, ja, man macht nicht einmal vor dem Herrgott halt. Die Prozessionen werden zum Teil abgeschafft, zum Teil eingeschränkt. Wie oft hört man sagen: Ah, so schaut die Freiheit im Nazideutschland aus. Wenn aber ein Nazigedenktag ist, wie seinerzeit wegen dem Sylvester Fink, dann muss alles beflaggt sein, und wer dieser Herr Fink war, das wissen wohl alle Leute. Der war wirklich „Seines Führers“ würdig, denn einen größeren Raufbold und kriminellen Gauner konnte man nicht mehr finden. Ja, Du wirst sagen: wird denn gar nichts dagegen getan, nimmt man das alles so ruhig hin? O, nein, es sind schon Widerstände, und keine kleinen.

Zuerst die Kommunisten und jetzt mit einer großen Aktivität die Legitimisten. Von der Vaterländischen Front ist nichts mehr übrig geblieben und so haben wir nun die Wahl, wohin wir uns wenden sollen. Wo wir sind, das wirst Du Dir schon denken können. Es ist immer wieder etwas los: einmal brennen Bergfeuer, einmal fliegen Flugzettel und andermal kommt es wieder zu einer wüsten Rauferei. Aber das Schönste ist es, wenn sich die Nazis unter sich prügeln. Vor einigen Wochen hat sich auf der Universitätsbrücke in Innsbruck ein sehr schönes Schauspiel ereignet. Drei SS-Männer gingen streitend natürlich auch besoffen über die Brücke und auf einmal hauten die zwei SS-Leute ihren Dritten derart und zwar aus folgender Begründung: Es handelte sich um eine Stelle, die sicher etwas wert war, denn man hörte die beiden rufen: warte Du Schweinkerl, wir werden Dir schon geben, uns die besten Stellen wegzuschnappen.

Und dann wurde wieder drauflosgeschlagen, dass es nur so eine Freude war; zum Schluss wusste man überhaupt nicht mehr, wer geschlagen wird, denn sie hauten darauf los ohne mehr zu sehen, wer der Schuldige überhaupt ist. Es kam dann ein Schutzmann und wollte diesem Streit ein Ende setzen, aber er musste bemerken, dass auch er schon einige am Kopf sitzen hatte. Jetzt schlugen alle drei den Schutzmann derart, dass es gerade so krachte. Der Schutzmann riss aus und nun setzte die Rauferei unter den drei SS-Leuten von neuem ein. Bis endlich ein Überfallauto kam und die inzwischen ganz blutig geschlagenen Kerle abtransportierte; das sind eben Sachen, die uns unendlich viel Humor geben.

Interessant ist auch der Fall, dass die ehemaligen Nazis sich jetzt nicht mehr schämen, sich gegenseitig die die illegale Tat ins Gesicht zu schleudern, dies aber nicht deshalb, dass man darauf stolz sein könnte, sondern um den anderen davon zu überzeugen, dass er auch einen großen Teil schuld ist, und was noch viel schlimmer ist, dass man jetzt mehr den Mund halten muss, wenn man auch gleich um die Hälfte weniger Lohn bekommt. Am besten sind jedenfalls die Bauern, wenn ihnen etwas nicht zusagt, dann machen sie eben nicht mit und machen es so wie sie wollen, und das gemeinschaftlich.

Aus Wien: Wir haben jetzt eine schwere Zeit hinter uns, am Donnerstag, hat man wieder Jagd gemacht und dabei auch Juden gefangen, das heißt, aus der Wohnung geholt. Einer ist erst Sonntag früh um 1/2 1 Uhr nachts nach Hause gekommen, aber fragen Sie nicht, wie er ausgesehen hat. 48 Stunden mussten 4000 Mann in der Reitschule in der Hahngasse stehen, ohne Essen, ohne Trinken, nicht ein bisschen Ausruhen, nicht einmal Notdurft konnten sie verrichten, dort wurden sie wenigstens nicht geschlagen, aber Samstag früh hat man die Armen herumgetrieben, einmal dorthin, einmal anderswo hin. Dabei wurden sie geprügelt, mit Fäusten, Gewehrkolben und Fußtritten.

Mein Hausmitbewohner hat auch eine gute Tracht Prügel bekommen, er ist heute noch ganz dumm davon, hat Kopfschmerzen und fürchtet sich noch immer. Auch einen Fußtritt hat er erhalten, da war sein Fuß ganz blaurot und geschwollen wie der Oberschenkel, wir haben Angst gehabt, dass er einen Knöchelbruch hat und so habe ich müssen mit ihm ins Spital fahren zum Röntgen. Der behandelnde Primararzt hat gesagt, danken Sie Gott, dass es nicht ärger ausgefallen ist, Gott sei Dank, kein Bruch, nur eine Kontusion. Heute humpelt er schon im Zimmer herum. Samstag Vormittag haben die Gefangenen erst etwas Tee und Brot bekommen von der amerikanischen Hilfsstation, das war seit 48 Stunden das erste Warme, das sie bekommen haben.

Auch Onkel Ernst und Tante Emilie mussten daran glauben, die Tante kam erst gestern nach Hause und von Onkel Ernst wissen wir nichts. Ich sage Ihnen, was sich hier getan hat, das kann man nicht schildern, entsetzliche Sachen. Sämtliche Synagogen wurden in die Luft gesprengt, aber fachmännisch, nicht vom Volk, sondern von Braun und Schwarz. Auch die Ceremonienhalle beim vierten Tor wurde demoliert, so wie auch beim 1. geplündert wurde und wird noch immer. Also ich kann Ihnen nicht alles schildern, denn es ist entsetzlich, wie es hier zugegangen ist, das erste Mal war ja dagegen eine goldene Zeit, da mussten die Leute arbeiten, aber jetzt! Und viele Tausende kamen nach Dachau, auch hat man den Lebensmittelhändlern verboten, zu verkaufen, aber gottlob nur vorübergehend, der erste war Meinl. Ich sage Ihnen, danken Sie Gott, dass Sie heraussen sind und wenn Sie auch Entbehrungen leiden, so sind Sie wenigstens in Sicherheit.

Etwas über „Die Österreichische Post“: Am 13. März 1938 lautete eine der vielen Presseanweisungen in Berlin: „Politische Emigranten seien aus Österreich geflüchtet, aber es soll hiervon in der Presse nichts geschrieben werden.“ Die Nazi-Presse machte die Verfolgten und Verjagten auch in der weiteren Folge wenig und immer höchst einseitig zum Thema. Die Exilpresse macht dies wett, schildert die Schicksale und bietet den Exilierten die Möglichkeit zur Kommunikation, vielfältige Informationen für den mühsamen Alltag des Asyls, wie auch in der hier erwähnten ersten Ausgabe der „Österreichischen Post“ nachlesbar ist. Das Programm des Blattes wird auf Seite zwei optimistisch verkündet: „Nicht ohne Absicht beginnen wir mit unserem ersten Jahrgang, dem hoffentlich bis zur Befreiung unserer Heimat nicht mehr viele folgen werden, nicht mit dem Kalenderjahr.“ Im Verlauf des Jahres 1939 stellte das Blatt mit Nummer 17/18 das Erscheinen wieder ein.

Von Rolf von Ameln

 

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Von am 25/09/2016. Abgelegt unter Spiegel der Zeit. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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