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Ein Brief von Klaus Mann an seinen Freund: Veröffentlicht in der Pariser Tageszeitung

Klaus Mann schrieb an seinen Freund Bruno Frank am 13. Juni 1936 zu dessen 50. Geburtstag einen Brief, den die „Pariser Tageszeitung“ ungekürzt auf der letzten Seite abdruckte:

Klaus Mann. Foto: Archiv

„Lieber Bruno Frank! Ihren vierzigsten Geburtstag haben wir in München gefeiert, es ist also wirklich schon zehn Jahre her. Damals sind wir alle noch relativ sorglos gewesen. Man hatte vielleicht schon Ahnungen, aber die meldeten sich nur zuweilen, ohne wirkliche Vehemenz, und übrigens war man eher geneigt, sie als unbegründete Grillen zu verscheuchen. Ein paar Jahre später, und aus den Ahnungen waren die ernsten sorgen geworden, die nicht mehr als Grillen abzulehnen waren, die sich auf Realitäten bezogen und unser Leben beunruhigten, verwirrten und trübten. Freilich, keine Sorge war tief und heftig genug, wie sich bald herausstellen sollte, und was schließlich in unserem Lande schauerliches Ereignis wurde, und uns vertrieb, ließ unsere finsteren Befürchtungen harmlos scheinen…

Wir sollen nicht daran denken? Wir wollen nicht davon sprechen – nicht immer wieder, nicht unablässig, und gewiss nicht bei so freundlichem Anlass, wie der Ehrentag eines Freundes – der Ehrentag eines Schriftstellers einer ist? Aber wir müssen doch daran denken und davon reden – wir können doch, wir dürfen doch gar nicht anders. Von diesen schlimmen Vorkommnissen, diesen grässlichen Abenteuern sind wir doch alle – Sie, ich und jene, die wir noch unsere Freunde nennen – im Allertiefsten ergriffen; sie haben uns gerüttelt und weh getan: sie haben nicht nur unser Leben, sondern unser ganzes Lebensgefühl verändert. Wie dürfte ich die schlimmen Vorkommnisse außer Acht lassen – gerade anlässlich Ihres Festes und gerade Ihnen selbst gegenüber, der Sie Ihren Zorn, Ihre Trauer, Ihren Hass, Ihre Hoffnungen nicht nur in tausend Unterredungen, sondern auch in vielen klaren und guten Aufsätzen ausgesprochen haben und der Sie – wie ich weiß – im Begriffe sind, aus dieser Überfülle des geistig Erlittenen, aus all der Schmach, die man uns und unserem Lande angetan, ein kämpferisches Kunstwerk zu formen, das die Welt – diese immer noch große, immer noch zivilisierte Welt, in der Ihr Name Klang und Ansehen hat – aufhorchen lassen wird?

Ich weiß es genau: gerade an Ihrem Fest- und Feiertage, da die Glückwünsche aus vielen Ländern in ihrem kleinen Salzburger Haus eintreffen, werden Sie sich besinnen und sich fragen: Was habe ich getan und geleistet gegen das große Übel, gegen die Weltgefahr – an meinem Platze und nach meinen Kräften? – Nun, Sie dürfen zufrieden sein, Bruno Frank. Sie haben sich ganz bewährt in der schicksalhaften Situation – erlauben Sie, dass ein Jüngerer, der hofft, sich Ihren Freund nennen zu dürfen, es Ihnen sagt und Ihnen dafür dankt. Sie sind weder bitter noch müde geworden. Sie arbeiten weiter. Mit einem künstlerischen Gewissen, das sich noch geschärft hat – mit der passionierten Sorgfalt des echten Schriftstellers tun Sie weiter Ihr Werk, dessen Welterfolg unserem Deutschland zur schönen Ehre gereicht.

Sie sind durchaus geblieben, was Sie waren – nur dass Sie heute mit einem kämpferischen Pathos das sein müssen, was Sie früher auf eine halb behagliche, halb melancholische Art gewesen sind – : Ein guter Europäer. Wenn irgendeiner, dann verdienen Sie diesen Ehrennamen. Sie sind sich treu geblieben: Ihrer Gesinnung und Ihrer Gesittung; den großen Vorbildern, an denen Sie sich erzogen haben und – bei aller intellektueller Skepsis – Ihrem unerschütterlichen Glauben an die heilig ewigen europäischen Werte, Ideale und Begriffe. Sie haben nichts verraten, um keiner Mode willen etwas abgeschworen – sind es so viele,die das zu dieser Stunde von sich behaupten können?

Ihr schriftstellerisches Werk ist ein Ganzes, von seinem Beginn bis heute durchströmt und erwärmt von dem gleichen zuversichtlichem und starken, noblen und redlichen Gefühl. Eine große Verwirrtheit herrscht in dieser Zeit, ein mächtiges Aberwitz unternimmt es, alles auf den Kopf zu stellen. Auf den Gassen behaupten die Schreier, das große Falsche – das sei die Vernunft, und alles Unglück komme stets von ihr. Aber in Ihren Büchern finden sich keine Zeichen und Spuren der allgemeinen großen und gefährlichen Konfusion. Denn Sie sind sich zu gründlich klar über das, was Sie wollen und was Sie nicht wollen. Sie lieben nicht das Äußerste, das Gewagte, das zum Abgrund Drängende. Die Zone, in der Sie sich wohl und beheimatet fühlen, ist die zivilisierte, wo die Vernunft und die Menschenfreundlichkeit herrschen.

Ihnen gilt nicht das steile hysterische Pathos des falschen Heroismus, des eitel und vergeblich gebrachten Opfers. Sie sind voll Sympathie mit dem Leben – obwohl andererseits, in Ihrer Arbeit wie in Ihrer Person, ein halb verborgener Einschlag von Melancholie, von Schmerz und Resignation sich finden ließe; denn zu Ihren Erziehern rechnen Sie Schopenhauer. Aber stärker, als das schopenhauerische Element – so bestimmend dieses zu für Ihr Künstlertum zu gewissen Zeiten gewesen sein mag – ist das andere, positive. Glauben Sie nicht im Grunde daran, dass durch Liebe und durch Vernunft das Menschengeschlecht zu erziehen sein wird und abzubringen von seinen barbarischen Narrheiten?

Doch: mit einigen melancholischen Vorbehalten glauben Sie es – selbst heute, gerade heute, und obwohl man sich eben jetzt mit solchem Glauben häufig vorkommen mag, wie Don Quixote, der Ritter von der traurigen Gestalt. In Ihrem vorigen Roman ist nicht vielleicht so sehr Cervantes, der Abenteurer und eigentliche, echte und rührende Held: Don Quixote, der nach allen Niederlagen und Blamagen immer noch gläubig und bereit zu neuen Kämpfen für das Gute bleibt. Aus gutenn Gründen hatten Sie stets eine Vorliebe für die problematischen Helden, die mit der Bewunderung das Mitleid in uns erweckten. Während mehrerer Jahre habe Sie sich mit dem Preußen-Friedrich beschäftigt – von allen großen, fragwürdigen deutschen Figuren vielleicht die doppeldeutigste, fragwürdigste, problematischste; eine leidenschaftlich innige Beschäftigung, der wir eines Ihrer schönsten Bücher, <Die Tage des Königs>, außerdem den Roman <Trenck> und das Schauspiel <Zwölftausend> verdanken.

Ihre Helden sind nie jene gewesen, die etwas besitzen; sondern immer die anderen, die um etwas kämpfen. Auch in der <Politischen Novelle> – jener Ihrer Arbeiten, in der sich Ihre Gesinnung am klarsten manifestiert und in der Ihre erzählerischen Mittel aufs glücklichste zusammenwirken -, auch hier wird gekämpft, und zwar gerade um das, was Sie am sichersten zu besitzen scheinen; um den Bestand – um die Rettung der großen europäischen Ideengüter. Dem Heldenpaar dieser schönen und gleichnishaften Geschichte – dem französischen wie dem deutschen Minister, den Friedenswilligen, den Lebensfreundlichen droht Gefahr; sie werden sowohl versucht als verfolgt; sie werden verlockt und gekränkt mit vielerlei Listen, von verschiedenen Reizen und Gewalten – und es berührt heute wie eine trübe Vorahnung dessen, was seitdem Wirklichkeit wurde, wenn man nachliest, wie der Deutsche – der deutsche Europäer – es ist, den Sie unterliegen, untergehen lassen.

Ich nenne – halb zufällig und im Vorübergehen – die Titel einiger Ihrer Bücher, und ich darf, wieder einmal, feststellen, wie sehr ich zu Hause bin in der zugleich übersichtlichen und komplexen Welt Ihrer Produktion, wie nachhaltig Gesinnung und Form Ihrer Arbeit auf mich gewirkt haben. Gleichzeitig merke ich aber auch, nicht ganz ohne Schrecken – denn ich hätte Lust, lange fortzufahren -, wie beschränkt der Raum ist, der mir zur Verfügung steht, und dass ich mir die Aufzählung, geschweige denn die Analyse Ihrer Werke keinesfalls gestatten darf. So muss ich mich damit begnügen, das festzustellen, was von allen Ihren Arbeiten gilt – von Ihrem mit einer sinnlichen Verve geschriebenen Jugendroman <Die Fürstin>, über die vielen, teilweise vorbildlich gebauten Novellen und den Erzählungen um Friedrich den Großen, bis zum <Cervantes>; von Ihren einfachen, gefühlsstarken Versen wie von Ihren Stücken für das Theater; dass in ihnen allen der sittliche Ernst und die Form dem guten Europäer Ehre machen.

Die beiden großen Begriffe, die Ihre moralische Haltung immer bestimmt haben, sind die der Barmherzigkeit und der Freiheit; im ersten fassen wir das christliche, im zweiten das antike Ethos zusammen; beide gemeinsam machen das europäische aus – die Deutschen werden sich dessen wieder erinnern, und gerade während sie es verleugnen, sind wir gehalten, daran zu denken und dieser Wahrheit zu dienen. Die Echtheit einer Gesinnung entspricht, in der artistischen Sphäre, die Reinheit der Form. Bei Ihnen hat der Bau eine Szene oder eines ganzen Kunstwerks immer zugleich Lockerheit und Präzision. Sie lassen sich niemals gehen; eine Ihrer wertvollsten Eigenschaften ist die Gewissenhaftigkeit eines guten Handwerkers; Ihre Prosa ist niemals zuchtlos.

Noch in Ihren Nebenarbeiten – zu denen Sie selber dieses oder jenes unter Ihren Stücken rechnen – bezaubern die leichte und genaue Führung des Dialogs und jene charmante Durchsichtigkeit des künstlerischen Gefüges, die Sie bei den Franzosen gelernt haben und die den Deutschen so selten gelingt. Es sind wahrscheinlich eben diese seltenen Qualitäten, denen Ihre Komödien Ihren starken und dauerhaften Erfolg verdanken. Unter deutschen Intellektuellen neigt man zum Misstrauen gegen das Liebenswürdige und Gefällige und man rümpft die Nase über das, was die Leute unterhält, während es sie doch zugleich auch nachdenklich stimmen oder besser machen könnte.

Welch einfaches, einleuchtendes moralisches Pathos hat Ihr berühmtes und wirklich volkstümliches Lustspiel >Sturm im Wasserglas>! Lunatscharsky soll es mit dem <Revisor> verglichen haben – und ich begreife, warum. – An wie Vieles denke ich, während ich Ihnen diese Glückwünsche schreibe! – nicht nur an Bücher oder an Theaterabende, sondern an das gelebte Leben. Das liebenswert verlockende Spiel <Wissen Sie noch?> – wie lange könnte ich es nun schon mit Ihnen spielen! Aber soll ich Ihnen, zu Ihrem Fest, die Geschichte Ihrer großen Freundschaft mit unserem Hause erzählen? – Die feierlichen Anlässe, die man früher so gerne dazu benutzte, um zurückzuschauen, dienen uns heute eher dazu, klar und inständig an die Zukunft zu denken.

An den entscheidungsvollen Abenteuern, die kommen müssen, werden Sie – lieber Bruno Frank – mit uns teilhaben -: des bin ich sicher. Denn wir werden nicht nur Katastrophen erleben – die sind kein Dauerzustand und gehen vorbei; – vielmehr auch Zeiten, in denen es auf all jene Eigenschaften ankommen wird, die Sie besitzen: auf die Zuverlässigkeit und Festigkeit der geistig-moralischen Haltung; auf den echten Willen zur Leistung; auf die Lauterkeit und Vornehmheit der Person. Nichts geht verloren – nicht das, was wir lieben, nicht das, was wir sind oder leisten; und auch was wir leiden, wird nicht umsonst gelitten worden sein. Ihnen wünsche ich, und von Ihnen glaube ich, dass Sie an dieser reineren Zukunft, die uns für so viel Verlust und Schmerz entschädigen könnte, tätig teilhaben werden. Erlauben Sie, dass ich Sie, in diesem Sinne, von Herzen grüße – zuversichtlich, bei einigen melancholischen Vorbehalten -: als Ihr getreuer Klaus Mann.“

Unserem Chefredakteur, Dr. Dean Grunwald nach einem persönlichen Schicksalsschlag, und den ich „Lieber Freund“ nennen darf, gewidmet, da hier viele Parallelen zu finden sind.

Von Rolf von Ameln

 

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Von am 14/05/2017. Abgelegt unter Spiegel der Zeit. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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