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Aus der Geschichte der zivilen Luftfahrt: Abflug zum Kontinent – die Entstehung einer Fluggesellschaft

Aus dem Tagebuch eines Piloten: „Der folgende Bericht gibt einen lebhaften Eindruck vom Flug einer Handley Page 0/400 vom Kontinent nach London im November des Jahres 1920.

Hengist Imperial Airways London. Foto: Archiv/RvAmeln

Wir verließen Paris um 12.35 Uhr. Noch bevor wir den Kanal überquerten, sagte uns Mister Marconi, ein Passagier aus Lympne, wir müssten in Lympne landen, da in Cricklewood dichter Nebel sei. <Verdammt nochmal>, sagte ich. Als wir uns dem Flughafen von Lympne näherten, meinte ein Passagier aus Cricklewood: `Der Nebel lichtet sich, fliegen Sie weiter´. Der erste Maat gab mir das Telefon. Ich stöhnte, setzte dann aber den Kurs über Nord-London nach Cricklewood fort. Beim Passieren von Maidstone bemerkte der Fluggast: `dichter Nebel in Cricklewood, fliegen Sie weiter nach Croydon.´ Ich stieß eine etwas ungehaltene Bemerkung aus. Mister Marconi gefiel dies gar nicht, aber immerhin wechselte ich ja den Kurs.

Es war eigentlich egal, welchen Kurs ich einschlug, denn ich wusste nicht genau, wo Croydon lag, hoffte jedoch, den Glaspalast zu sehen. – Der Nebel wurde unterdessen immer dichter. Wir flogen weiter, ohne dass wir irgend etwas erkennen konnten, bis wir aufgrund der geflogenen Zeit eigentlich in der Nähe von Coydon sein mussten. Also wies ich den Maat an, Croydon zu bitten, zu unserer Orientierung eine Rakete abzuschießen. Aber was geschah stattdessen? Man teilte uns unsere Position mit. Ich war zuerst vollkommen perplex, als man unsere Kursabweichung mit 80 Grad angab. Doch dann erinnerte ich mich an einen Vorfall aus dem Weltkrieg. Als wir uns plötzlich zwischen drei Horchposten befanden, wurden wir abgeschossen.

Hier musste es sich um etwas ähnliches handeln. Also änderte ich meinen Kurs. Fünf Minuten später befanden wir uns bereits über Croydon. Um 15.30 Uhr landeten wir dann mit Fracht und fünf Passagieren..“ Die Fluglinie arbeitete schon seit über einem Jahr. Die ersten Funk- und Peilhilfen waren installiert, die Piloten waren jedoch noch sehr stark von der Sichtnavigation abhängig. Sie folgten Eisenbahnlinien, Flüssen und anderen deutlich erkennbaren Merkmalen auf dem Boden. Leuchtfeuer, Scheinwerfer und Leuchtraketen unterstützten die Orientierung. Der Pilot Robert Bager war zwar erst 20 Jahre alt, aber nach ungefähr einem Jahr in einer Jägerstaffel bei der Royal Air Force schon als erfahrener Flieger bekannt.

Cricklewood, das in der Nähe der Edgware Road in Nord-London liegt, war damals der Heimatflughafen von Handley Pape Transport. Knapp einen Monat, nachdem Bager einen Bericht geschrieben hatte, startete er bei Nebel in Cricklewood und flog gegen einen Baum. Seine 0/400 ging in Flammen auf, er selbst und zwei seiner Passagiere kamen bei dem Unfall ums Leben. Drei weitere konnten sich durch die Heckfenster retten, einen anderen zog man aus dem Cockpit. Am nächsten Tag tauchte dieser Passagier mit einer Gehirnerschütterung in Paris auf – er war mit der Eisenbahn und dem Schiff dorthin gereist, konnte sich jedoch an nichts mehr erinnern. Handley Papge war damals eine von drei Gesellschaften, die Paris und andere Zielorte auf dem Kontinent anflogen.

Aircraft Transport & Travel Ltd. setzte damals die D.H.4, die D.H.9 und die D.H.16 ein. Instone Air Line Ltd. besaß nur eine einzige D.H.4 – eine Bristol „Tourer“ – und eine Vickers Vimy; die in der Hauptsache zur Frachtbeförderung eingesetzt wurde. Alle Passagierflugzeuge dieser beiden Gesellschaften waren einmotorige Maschinen. Handley Page stützte seine Werbung immer wieder auf das Argument, dass die 0/400 zweimotorig und somit sicherer sei. Tatsächlich konnte aber auch diese Maschine beim Ausfall eines Motors gerade noch einen Sinkflug meistern, der dann aber mit Sicherheit in eine Bruchlandung mündete. Der erste regelmäßige Flugdienst nach Paris begann am 25. August 1919.

Am 15. Juli hatte AT & T jedoch bereits einen Großindustriellen Major Pilkington aus Hendon in einer D.H.0 nach Paris geflogen. Der rothaarige und schnauzbärtige Pilot Jerry Shaw beschrieb später diesen ersten Charterflug: „Ich hatte damals keinen Pass, deshalb umging ich die Formalitäten. Für die Zollabfertigung musste man in Hounslow landen. Als ich jedoch Cricklewood überflog, erkannte ich eine startklare Handley Page 0/400 am Boden. Sofort rechnete ich mir aus, dass sie ebenfalls nach Paris starten würde. Deshalb flog ich den Kanal direkt an. Es regnete in Strömen aus tief hängenden Wolken. Bei Beauvais flogen wir schließlich nur noch in einer Höhe von 200 Fuß – cirka 60 Meter – und steuerten auf die große Hügelkette zu.

In Baumwipfelhöhe durchflog ich eine Passage und landete 15 Minuten später in Le Bourget. Dort interessierte sich offenbar niemand für uns. Offiziere der französischen Luftwaffe schmuggelten uns dann in einer Straßenbahn an einer Militärkontrolle vorbei, so dass wir auch in Frankreich unsere Papiere nicht vorzeigen mussten. Danach fuhren wir mit einem Taxi in die Innenstadt.“ Das Betreiben einer Fluglinie auf der Paris-Route war eher eine Glücksache. Im Februar 1921 hatten deshalb alle regulären britischen Fluglinien ihren Betrieb eingestellt. Das winterliche Wetter hatte die Fluggesellschaften an den Boden gezwungen. Finanznöte hielten sie dann dort fest.

Der eigentliche Kern des Problems war jedoch, dass die Gesellschaften sich selbst noch nicht unterhalten konnten. Um im Wettbewerb gegen andere – öffentlich geförderte – Fluglinien bestehen zu können, mussten die Gesellschaften auf staatliche Subventionen zurückgreifen. Nach Inaussichtstellung staatlicher Hilfe wurde schließlich aus den Resten von AT & T „Daimler Airways“ gegründet. Auch Handley Page nahm am 19. März den Flugbetrieb wieder auf. Instone eröffnete zwei Tage später mit einem glanzvollen Akt den Flugdienst neu. Die Vimy „City of London“ startete um 12.30 Uhr Richtung Paris. Alle Fluglinien wurden nun vom Flugplatz Coydon aus betrieben, der durch die Zusammenlegung der benachbarten Militärübungsplätze Waddon und Beddington entstanden war.

Mitten über den neuen Flugplatz führte jedoch die Plough Lane. Wenn Flugzeuge starteten, hielt ein Mann mit einer roten Fahne in der Hand den Autoverkehr an. Für die Flugzeugveteranen 0/400 von Handley Page war dies jedoch ein schwierig anzufliegender Flugplatz. Bei Südostwinden entstand an der Hügelkette bei Purley ein gefährlicher Abwind. Ende August wurden deshalb die vorhandenen Maschinen durch W.8 ersetzt. Zu einer erheblichen Verbesserung führten die neu errichteten Flugleuchttürme in Croydon und Lympne. Captain McIntosh, der sich am 20. Oktober den Namen „Allwetter Mac“ verdiente, zog jedoch keinen besonderen Nutzen daraus: „Kurz vor 14.00 Uhr wurde der Nebel immer dichter.

Man rechnete mit einer Einstellung des Flugbetriebs. Wenig später jedoch war aus Südosten der bekannte Doppelschlag der Rolls-Roys-Motoren zu hören, und die Flugplatzleitung ließ das Feuerwerk am Himmel aufsteigen. Colonel Bristow ging zum Kontrollturm und unterhielt sich über Funk mit McIntosh, der den Flugplatz nicht sehen konnte. Danach drehte McIntosh nach Süden ab, überflog Wallington in niedriger Höhe an der Nordseite und stieg über den Nebel auf. Dort konnte er die Raketen erkennen und drehte in die entsprechende Richtung ab. Bald darauf sah er auch die Kontrollbaracken am Flugplatz. Seine Maschine war jetzt auch vom Boden aus zu erkennen.

Er setzte sofort zum Landeanflug an, überquerte die Plough Lane und verschwand wieder im Nebel. Wir sahen die Maschine erst wieder, als sie auf die Zollabfertigung zurollte. Zur Begrüßung gab es für den Piloten Applaus und Whisky mit Soda – das hatte er sich auch redlich verdient.“
Weniger erfolgreich verlief ein Flug nach Paris drei Monate später. McIntosh war mit seiner 0/400 die gesamte Strecke unter niedriger Wolkendecke geflogen. Bei Bevauais gelang es ihm dann aber nicht, die Hügelkette zu durchqueren, und er musste landen. Er rief Le Bourget an und bekam die Auskunft, dass die Wolkenuntergrenze bei 100 Meter lag und die Sichtweite zwischen 3 und 5 Kilometer betrug.

Also startete er wieder und und legte im Blindflug eine vorausberechnete Strecke von 30 Minuten Flugzeit zurück, bevor er mit dem Sinkflug begann. Nach seinen Berechnungen musste er die Wolkendecke über Le Bourget durchstoßen. Eine Fehlberechnung – plötzlich bekam er Bodenberührung und stellte das Flugzeug nach 100 Metern auf die Nase. Die beiden Passagiere waren unverletzt, doch der Funker, selbst mit drei gebrochenen Rippen, musste McIntosh aus dem Wrack ziehen, da dieser sich beide Füße gebrochen hatte. Am 22. April 1922 nahm Daimler Airways mit einer Frachtladung Zeitungen in einer neuen D.H.34 den Flugdienst nach Paris auf.

Nach einem außergewöhnlich langen Startweg hob die Maschine mit Mühe von der Rollbahn ab. In dem Tal südlich des Flugplatzes war sie aufgrund ihrer niedrigen Flughöhe bald nicht mehr zu sehen. Als sie in Le Bourget zum Rückflug abheben wollte, blieb das Flugzeug im Schlamm stecken. Die zweite Maschine startete am selben Tag ohne Probleme, denn der Pilot hatte erkannt, wie hilfreich es war, das Heck beim Start unten zu behalten. Fünf Tage später kam es dann zur Katastrophe. Robin Duke flog eine D.H.18 in geringer Höhe bei schlechter Sicht. Das Cockpit befand sich in dieser Maschine hinter der Passagierkabine. Die Sicht des Piloten war durch die Breite des Rumpfes entsprechend beeinträchtigt.

Duke folgte einer durch ein Tal in der Nähe von Grandvilliers führenden Straße, als er frontal mit einer Farman Goliath der Grand Express Aeriens zusammen stieß, die auf demselben Kurs in entgegengesetzter Richtung flog. Bei dem Zusammenprall kamen alle Insassen der beiden Flugzeuge ums Leben. Einer von ihnen war der erst 16 Jahre alte Jack Sanderson – der erste Flugsteward der Welt. Die Entwicklung blieb jedoch nicht stehen, und auch in der Flugzeugnavigation wurden bald Fortschritte erzielt, die Nachtflüge möglich machten. Am Abend desselben Tages, als Duke verunglückte, verließ bei klarem Wetter eine Maschine mit acht Insassen gegen 20.30 Uhr Biggin Hill, flog nach Croydon und landete dort.

Der Pilot berichtete, dass die streuende Flutlichtbeleuchtung und ein beleuchtetes „L“ so deutlich zu erkennen waren, dass die Landung in der Nacht nicht schwieriger war, als am Tage. Danach flog die Maschine – mit Unterstützung der zeitweilig in Betrieb befindlichen Flugleuchttürme bei Tatsfield und Cranbrook – nach Lympne, überquerte den Kanal mit Hilfe des Leuchtturms von Cap Gris Nez, der von Biggin Hill aus erkennbar war, und kam in Sichtweite des französischen Leuchtturms St. Inglevert. Dann flog der Pilot zurück, landete in Lympne, startete wieder nach Croydon, wo er die Beleuchtung überflog und kehte schließlich nach Biggin Hill zurück.

Mit Hilfe der Tragflächenspitzen-Beleuchtung und der Bodenbefeuerung gelang ihm dort eine sichere Landung. Mit dem einsetzenden Herbstnebel wurden wieder viele Flüge gestrichen. Zudem hatte sich die Überquerung der Plough Lane im Landeanflug auf Croydon als sehr problematisch erwiesen. Unter erheblichem Kostenaufwand ebnete man die Plough Lane ein und baute eine neue Hauptverkehrsstraße von Thronton Heath direkt zu den Abfertigungsgebäuden des Flughafens. Die englischen Fluggesellschaften standen nun in direkter Konkurrenz zu den französischen, niederländischen und deutschen Gesellschaften, so dass Daimler auch den Flugbetrieb nach Berlin aufnahm.

Der Einsatz der einmotorigen D.H.34 gestaltete sich jedoch auch auf dieser Route problematisch. Indessen hatten auch die ausländischen Fluggesellschaften mit Schwierigkeiten zu kämpfen. So stürzte eine französische Spad auf unerklärliche Weise bei Folkestone ins Meer, eine Goliath kam in Croydon vor dem Ende der Landebahn nicht mehr zum Halten und rast ein eine Fabrik, eine andere Maschine fing plötzlich Feuer und stürzte in der Nähe von Amiens ab. Weitere Unfälle ereigneten sich bei Maidstone und Croydon. All diese Unglücksfälle unterstrichen die Notwendigkeit staatlicher Subventionen. Zum entscheidenden Schritt kam es dann im Januar 1924 mit der Veröffentlichung des „Vertrages des Luftfahrtministeriums…zur Bildung einer großen Fluggesellschaft mit dem Namen <The Imperial Air Transport Co. Ltd>“, der eine jährliche Subvention von 137.000 Pfund Sterling zugesagt wurde.

Die neue fluglinie entstand durch die Zusammenlegung von Handley Page, Inston, Daimler und der British Marine Air Navigation Co. Letztere hatte schon seit 1923 mit zwei Supermarine-Sea-Eagle-Wasserflugzeugen die Strecken zwischen Southampton, den Kanal-Inseln und Le Havre beflogen. Imperial Airways wurde am „Fool´s Day“ – dem 1. April – 1924 gegründet. Bis zur Aufnahme des Flugbetriebs verging jedoch noch ein ganzer Monat, da die Piloten sich mit ihren Gesellschaften noch nicht über die Gehälter handelseinig waren. Unterdessen hatte man die Bilanz gezogen: Von August 1919 bis zum 31. März 1929 warn fünf Piloten, sechs weitere Mitglieder von Besatzungen und fünf Flugreisende ums Leben gekommen – dieser Schattenseite der Statistik stand die Zahl von 34.605 beförderten Passagieren gegenüber.

Am 2. Mai hatten sich Piloten und Gesellschaften geeinigt, und die Flugdienste nahmen ihren Betrieb wieder auf. Die neue Gesellschaft beflog die Instone-Route nach Brüssel und Köln, die Daimler-Route nach Amsterdam und Berlin, die Handley-Page-Route nach Paris, Basel und Zürich sowie saisonale Einsätze von Southampton nach Guernsey. Die Geschäfte gingen jedoch nicht allzu gut. Dennoch waren die Erwartungen hoch. Man wollte im gesamten Britischen Empire Flugrouten einrichten: Nach Kairo und Bagdad, an das Kap der Guten Hoffnung, nach Indien und nach Australien – und vielleicht sogar nach Amerika.

Was damals in der Geschichte der zivilen Luftfahrt noch ein Abenteuer war, ist in heutigen Tagen eine Selbstverständlichkeit geworden: „Fly by Whire.“

Von Rolf von Ameln

 

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Von am 26/06/2017. Abgelegt unter Spiegel der Zeit. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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