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Wider das Vergessen: Die Todesfabriken der Nazis 3. Teil

Im Laufe des Jahres 1942 sollten die Nazis das Tempo, indem sie bei der Verfolgung der „Endlösung der Judenfrage“ die europäischen Juden vom Leben in den Tod beförderten, enorm steigern. Doch noch beschränkte sich die Kapazität der Tötungen in Auschwitz auf die Gaskammern des „roten“ und des „weißen“ Häuschens. Deshalb sollte Auschwitz trotz seiner späteren unrühmlichen Bekanntheit bei der Ermordung der polnischen Juden in diesem Jahr nur eine untergeordnete Rolle spielen. Heinrich Himmler konnte seiner Sache, die Tötung aller polnischen Juden bis Ende 1942 nicht deshalb so sicher sein, weil es Auschwitz gab, sondern weil er wusste, dass die Mehrzahl der Massenmorde in drei neuen Lagern durchgeführt werden sollte, die man bereits in den Wäldern Polens errichtet hatte, drei Orte, die im Unterschied zu Auschwitz kaum in das Bewusstsein der Zivilbevölkerung eingedrungen waren, Belcec, Sobibor und Treblinka.

Eingang zum KL-Auschwitz mit der Inschrift „Arbeit macht Frei“. Foto: Archiv

Dass diese Lager in heutigen Tagen nicht oder kaum in einem Atemzug mit Auschwitz genannt werden, ist eine Art von schwarzer Ironie, da die Nazis selbst ihre Namen aus der Geschichte getilgt sehen und sichergehen wollten, dass alle materiellen Spuren von ihnen beseitigt wurden, nachdem sie ihre mörderische Aufgabe erfüllt hatten. Lange vor Ende des Zweiten Weltkrieges hatte die SS die Lager zerstört, das Gelände konnte aufgeforstet oder landwirtschaftlich genutzt werden. Hingegen wurde von der Lagerbesatzung in Auschwitz kein einziger Versuch unternommen, das Konzentrationslager als einen physischen Ort zu zerstören. Sein Vorgänger war ein bewährtes Vorkriegsmodell innerhalb des Nazi-Systems – das Konzentrationslager -, und diese Vorläufer der Todesfabriken sollten ursprünglich bewusst nicht den Blicken der Öffentlichkeit entzogen werden.

Ein KZ wie Dachau wurde am Rande einer Kleinstadt errichtet, und das hatte für das nationalsozialistische Regime einen propagandistischen Vorteil, weil es mit einem solchen Lager seinen Willen demonstrieren konnte, unliebsame Zeitgenossen in Schutzhaft zu nehmen und „umzuerziehen“. Erst nachdem in Auschwitz erstmals Menschen massenhaft ermordet wurden, trat das Schizophrene seiner Aufgabe deutlicher hervor – eine geistige Verfassung, welche die Lagerbesatzung dazu bewog, vor dem Verlassen des Lagers die Gaskammern in die Luft zu jagen, den übrigen massiven Komplex des KL jedoch weitgehend unversehrt hinterließen. Etwas völlig anderes entstand während des Jahres 1942 in Belcec, Sobibor und Treblinka.

Für die Existenz dieser Konzentrationslager gab es im Nazi-Staat keine Vorbilder, und es dürfte in der ganzen Geschichte der Menschheit keine Vorbilder dafür gegeben haben. Ihre Anlage orientierte sich an keinem früheren Modell, und in vielerlei Hinsicht verkörpern ihre Geschichte und ihr Betrieb die Einzigartigkeit der „Endlösung der Judenfrage“ durch den Nationalsozialismus vollkommener als in Auschwitz. Belzec, das als erstes KL gebaut werden sollte, war das einzige Lager, dessen Anfänge vor dem Jahre 1942 liegen. Im November 1941 begannen die Bauarbeiten an einem kleinen Lager nahe des Bahnhofes der Stadt, die abgelegen im Südosten des besetzten Polens lag.

Zunächst hatte die SS die Absicht, mit diesem Lager ein lokales Problem an Ort und Stelle zu lösen – „arbeitsfähige Juden“ aus der Umgebung zu töten. Ebenso wie in Chelmo die Gaswagen primär dazu gedacht waren, die Juden aus dem Ghetto Lodz umzubringen, so sollten in Belcec ursprünglich „unerwünschte Juden“ aus dem Gebiet Lublin getötet werden. Im Dezember des Jahres 1941 kam SS-Hauptsturmführer Christian Wirth nach Belcec, um den Posten des Lagerkommandanten anzutreten. Er war zu diesem Zeitpunk 56 Jahr alt, ursprünglich gelernter Tischler, Frontsoldat im Ersten Weltkrieg, wo er sich durch Tapferkeit auszeichnete. 1931 trat er in die NSDAP ein und war in den 1930er-Jahren bei der Kriminalpolizei in Stuttgart tätig.

Im Jahre 1939 wurde er Mitarbeiter im Euthanasie-Programm – „T4“ – und war einer der Organisatoren der Ermordung von Behinderten durch Kohlenmonoxid. 1941 wurde er in den Distrikt Lublin versetzt, wo er den Auftrag hatte, im Rahmen der „Aktion Reinhardt“ Vernichtungslager zu errichten, in denen die im „T4-Programm“ entwickelten Methoden eingesetzt wurden. Wirth war ein Sadist, und wurde einmal dabei beobachtet, wie er eine Jüdin mit der Peitsche in die Gaskammer trieb, und er brachte Juden mit seinen eigenen Händen um. In Belcec hatte dieser grausame Mörder die Möglichkeit, all seine bisherigen Erfahrungen im Massenmorden an einem einzigen Ort einzusetzen.

Er beschloss, als Mittel zu diesem Zweck Kohlenmonoxid zu verwenden, das nicht wie beim „T4-Programm“ aus Gasflasche kam, sondern aus einem normalen Verbrennungsmotor, wie man ihn wenige Monate zuvor inn der Sowjetunion benutzt hatte. Die drei Gaskammern selbst wurden in einem aus Ziegeln erbauten Gebäude untergebracht und sollten den eindruck von Duschräumen erwecken; – das Kohlenmonoxid wurde durch die Duschköpfe an der Decke eingeleitet. Mit der Verwendung von Kohlenmonoxid aus einem Motor und den angeblichen Duschen übernahm Wirth frühere Techniken der Nazis zum töten von Menschen. Doch nun betrat er mit dem Entwurf für die Anlage dieses Lagers völlig neuen Boden und orientierte sich nicht mehr an den bisherigen Anlagen von Konzentrationslagern. als erstes erkannte er, dass in der weitaus größten Mehrzahl der Fälle zwischen der Ankunft der deportierten Juden und ihrer Ermordung nur wenige Stunden vergehen würden, was einen ausgedehnten Gebäudekomplex wie in Auschwitz oder Dachau entbehrlich machte.

Das Vernichtungslager hatte nur eine relativ kleine Fläche von knapp 300 Meter im Quadrat! Und auf diesem kleinen Gelände waren nicht nur ein, sondern zwei Lager untergebracht. Wirth wusste, dass der Ablauf seiner Todesfabrik wesentlich davon abhing, dass den Neuankömmlingen der wahre Zweck des Lagers möglichst lange verborgen blieb. Aus diesem Grund brachte er die Gaskammern in einem eigenen, umzäunten Bereich des Lagers unter, das sogenannte Lager 2, versteckt hinter Bäumen und mit Zweigen begrünten Zäunen aus Draht. Dieser Bereich war mit dem übrigen Lager nur durch den „Korridor“ zu erreichen, ein Durchgang durch den elektrisch geladenen Zaun!

Lager 1 – der übrige Teil von Belcec – bestand aus dem Aufnahmebereich neben den Schienen, mehrere Baracken – in denen die Neuankömmlinge sich auszogen und wo ihre Habseligkeiten gelagert werden konnten, bevor diese abtransportiert werden konnten -, und einem Appellplatz. In Belcec und anschließend in den beiden anderen Vernichtungslagern arbeiteten drei Kategorien von Menschen. Die erste bestand aus Juden. Wirth hatte schnell erkannt, dass der Einsatz von Juden bei dem Prozess des Mordens nicht nur seinen Männern eine psychische Belastung ersparen würde, sondern auch bedeutete, dass für den Betrieb des Lagers weniger deutsches Personal benötigt würde.

So wurden einige hundert arbeitsfähige Juden aus den ankommenden Transporten ausgesondert und mussten die Leichen beerdigen, die Gaskammern reinigen und die riesigen Mengen an Kleidern und anderen Habseligkeiten sortieren, die sich recht schnell in dem Lager anhäuften. In der ersten Zeit wurden diese Juden bereits nach wenigen Tagen selbst umgebracht, doch das brachte für die SS-Schergen bald Probleme mit sich. Nicht nur, dass man diese „Arbeitskräfte“ nicht mehr über den wahren Zweck der Duschräume täuschen konnte,, wenn man sie dorthin schickte, sondern nach ihrer Ermordung mussten neue Juden ausgesucht und „eingearbeitet“ werden. Wenn man sie andererseits länge am Leben ließ, hatte es man mit einer eigenen Gruppe von Häftlingen zu tun, die nichts zu verlieren hatten, weil sie wussten, dass sie selbst einmal an die Reihe kamen. Sie hatten also Zeit, über ihr Schicksal und über Möglichkeiten eines Widerstandes nachzudenken.

An diesem „Problem“ für die Lager-SS ließ sich nichts ändern: Wie überwacht man Menschen, die wissen, dass sie eines Tages von den Menschen umgebracht werden, in deren Macht sie sich befanden? Die zweite Kategorie von „Arbeitern“ waren ukrainische Kriegsgefangene, sogenannte „Trawnikis“. Knapp einhundert von ihnen, aufgeteilt in zwei Züge, mussten einfache Aufsichtsfunktionen im Lager übernehmen. Berüchtigt für ihre Brutalität, hatten viele dieser Ukrainer früher in der Sowjetarmee gekämpft, waren von der SS in einem Lager in Trawniki, südöstlich von Lublin, ausgebildet worden und konnten auf diese Weise den unmenschlichen Bedingungen der Kriegsgefangenenlager entkommen.

Und dann gab es natürlich noch die Deutschen, die dritte Kategorie. Doch Wirth hatte den Betrieb seiner Todesfabrik so elegant an „fremdvölkische“ Arbeiter delegiert, dass nur 20 deutsche SS-Männer zur Bedienung der Tötungsmaschine in Belcec erforderlich waren. Bis zum März des Jahres 1942, mit der Ankunft des ersten Transports in Belcec, hatte Wirth den Traum Himmlers verwirklicht. Er hatte ein Vernichtungslager eingerichtet, das es ermöglichte, Hunderttausende von Juden zu ermorden, und das von einer Handvoll Deutschen geführt werden konnte, die jetzt nicht mehr den „seelischen Belastungen“ ausgesetzt waren, unter denen die Erschießungskommandos im Osten „gelitten“ hatten.

Fortsetzung folgt.

Von Rolf von Ameln

 

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Von am 01/03/2018. Abgelegt unter Spiegel der Zeit. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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