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Rheinland-Pfalz zur Zeit des Nationalsozialismus – Es gab viele Mitwisser

Eine Diktatur funktioniert eigentlich nicht aufgrund von Befehlen des jeweiligen Diktators, sondern durch Mitwirkung der eigenen Bevölkerung. Nicht alleine Funktionäre der NSDAP, SS- und SA-Männer und die Angehörigen von staatlichen Behörden haben das Regime des Adolf Hitler getragen. Daran beteiligt waren jedoch auch „ganz normale“ Deutsche, Männer wie Frauen. Sie mussten auch nicht unbedingt ein Parteibuch besitzen, um die Nazis zu unterstützen, sondern sie taten dies vielfach aus ihrem Verständnis von Staatstreue, Patriotismus und „Pflicht“ heraus. Nach dem Untergang des „Tausendjährigen Reiches“ wollten die Aktivisten und die vielen Helfer unter den „Volksgenossen“ davon nichts mehr wissen, wie sich in Zehntausenden von Entnazifizierungsakten nachlesen lässt.

Der amerikanische Vernehmungsspezialist Saul Padover hatte schon damals nach vielen Unterhaltungen, die er während des amerikanischen Vormarsches im Westen 1945 mit Deutschen geführt hatte, den gleichen Eindruck, was ihn eines Tages zu einer sarkastischen Bemerkung gegenüber seinem Fahrer veranlasste: „Joe, ich glaube, Hitler ist der größte Mann aller Zeiten. Seit zwei Monaten sind wir hier zugange, wir haben mit vielen Menschen gesprochen, wir haben jede Menge an Fragen gestellt, und wir haben keinen einzigen Nazi gefunden. Jeder ist ein Nazigegner. Alle Leute sind gegen Hitler. Sie sind schon immer gegen Hitler gewesen. Was heiß das? Es heißt, dass Hitler die Sache ganz allein, ohne Hilfe und Unterstützung irgendeines Deutschen durchgezogen hat.

Er hat den Krieg angefangen, er hat ganz Europa erobert, den größten Teil Russlands überrannt, sechs Millionen Juden ermordet, bis zu acht Millionen Polen und Russen in den Hungertod getrieben, vierhundert Konzentrationslager errichtet, die größte Armee in Europa aufgebaut und dafür gesorgt, dass die Züge pünktlich fahren. Wer das ganz allein schaffen will, muss schon ziemlich gut sein. Ich kenne nur zwei Menschen in der ganzen Welt, die so etwas können. Der andere ist Supermann.“ Saul Padover hatte vollkommen Recht damit, dass es so, wie es die von ihm vernommenen Deutschen behaupteten, nicht gewesen sein konnte. Das beste Beispiel hierfür lieferte wohl die berüchtigte Geheime Staatspolizei, denn der von ihr ausgehende Schrecken beruhte nicht auf die Anzahl ihrer hauptamtlichen Mitarbeiter, sondern auf die Bereitschaft vieler Deutscher zur polizeilichen Anzeige beziehungsweise Meldung.

Nur dadurch prägte die Gestapo bzw. die Angst vor ihr den Alltag in Nazi-Deutschland. Noch heute existiert in Neustadt an der Weinstraße das ehemalige Gebäude der Gestapo, von wo aus unliebsame „Zeitgenossen“ in ein KZ eingewiesen wurden und dort den Tod fanden oder gleich zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden, letzteres meist im KZ Natzweiler. Im Gebiet von Rheinland-Pfalz entstanden solche Konzentrationslager im März 1933 in der Turenne-Kaserne bei Neustadt sowie in einem ehemaligen Fabrikgebäude bei Osthofen, in denen bis April/Mai 1933 politische Gegner und Juden systematisch misshandelt wurden.

Ab dem 30. Januar 1933 wurde Deutschland zu einem Land, in dem das Leben durch die Maxime „Die Reihen fest geschlossen“ charakterisiert war. Die neue „Volksgemeinschaft“ sollte eine „Wohlfühlgemeinschaft“ sein, aber nur für diejenigen, die sich darin einfügen wollten und denen das nach den rassisch-politischen Vorstellungen des Regimes erlaubt war. Juden und Zigeuner waren davon kategorisch ausgeschlossen. Auch wurde die Inhaftierung zur Vorbeugung von Verbrechensbekämpfung großzügig ausgedehnt. Als „erbkrank“ eingestufte Menschen wurden aufgrund der Entscheidungen einer „Erbgesundheitsgerichtsbarkeit“ notfalls von der Polizei abgeholt und zwangsweise sterilisiert.

Die damit angestrebte uniforme Gesellschaft blieb natürlich Mythos und Fiktion. Die Kehrseiten waren permanente Bespitzelung und Ausgrenzung, Übergriffe von Nazi-Aktivisten, polizeiliche Verfolgung ohne Rechtsschutz und Einweisung in ein Konzentrationslager. Diese wurden nach Auflösung der frühen Lager nach dem Vorbild des KZ Dachau – entworfen von dem vormals in der Pfalz tätigen SS-Führer Theodor Eicke – an zahlreichen Orten eingerichtet. Ihre Namen gelten bis in die heutigen Tage als Symbole der Unmenschlichkeit, wie etwa Sachsenhausen, Bucehnwald, Bergen-Belsen, Ravensbrück, Flossenbürg und Neuengamme. Die Haft in diesen Lagern war mit derart sadfistiscch ausgeklügelten Misshandlungen verbunden, dass viele Häftlinge sie nicht überlebten, wie etwa der Literaturnobelpreisträger Carl von Ossietzky (verstorben 1938) und viele der im Gefolge der „Reichskristallnacht“ inhaftierten jüdischen Männer.

Michael Degen, der deutsche Schauspieler, schreibt in seinen Erinnerungen, dass man seinen Vater nach der Entlassung aus dem KZ Sachsenhausen „nur noch an den Augen erkannte“, bevor er anschließend im jüdischen Krankenhaus von Berlin im Jahre 1940 unter entsetzlichen Schmerzen verstarb. Generell machten die Ereignisse vom 9. auf den 10. November 1938 der Welt unmissverständlich klar, was in Deutschland vor sich ging..! Am Ende gab es im „Großdeutschen Reich“ nicht vierhundert Konzentrationslager, wie Saul Padover noch im Jahre 1946 glaubte, sondern rund eintausend, wenn man die vielen Außenlager und Außenkommandos dazurechnet. Hunderttausende Männer, Frauen und Jugendliche sind dort im Laufe der Jahre der Nazi-Herrschaft eingesperrt, gequält und ermordet worden. Darüber hinaus gab es die Tötungsfabriken zur systematischen Vernichtung der europäischen Juden. Sie stehen bis heute am stärksten für den „Zivilisationsbruch“, den das Regime der Nazis ohne jeden Zweifel begangen hat.

Noch heute betreibt man Analysen nach „Aktenlage“ über die Tätigkeit von Polizei, Justiz und Finanzverwaltung im regionalen Bereich, und es zeigt sich, wie vormals rechtsstaatlich organisierte Bürokratien an der Umsetzung einer menschenverachtenden Ideologie beteiligt waren. Auch wurde weiterhin sichtbar das Ausmaß gesellschaftlicher Beteiligung beziehungsweise Nutznießung. So gab es eine überwältigend große Nachfrage nach dem enteigneten Mobiliar und Wohnraum der deportierten Juden. Im Jahre 1943 kam es in Bad Dürkheim zu einer erheblichen Unruhe in der Bevölkerung, weil das der jüdischen Familie Hermann Wolf gehörende, aber enteignete Hauseigentum seit deren Deportation 1940 leer stand, obgleich „Bewerber“ in geradezu rauen Mengen vorhanden waren, wie der örtliche Finanzamtsleiter an den zuständigen Oberfinanzpräsidenten schrieb.

Solche Verhältnisse waren keine Ausnahme, wie Forschungen zur Enteignung und Verwertung jüdischen Vermögens zu Hessen und Mannheim zeigen. Reichsweit war die Nachfrage nach den Immobilien vertriebener oder deportierter Juden derart groß, dass die Reichsfinanzverwaltung „mit Rücksicht auf die Frontsoldaten“ am 22. April 1942 eine „Verwertungssperre“ erließ, die Verkäufe bis zum „Endsieg“ ausschloss und nur Vermietung oder Verpachtung zuließ. Aber in jedem Fall mussten alle Nutznießer der Nazi-Judenpolitik darauf hoffen, dass die zur Emigration gezwungenen oder nach Osten „evakuierten“ vorherigen Eigentümer nicht mehr zurück kamen.

Solche „sozialtaktischen“ Bedürfnisse und Erwägungen dürften daher eine die Nazi-Terror-Herrschaft stabilisierende Wirkung gehabt haben. Und der Rest der unrühmlichen deutschen Vergangenheit ist uns allen ja bestens bekannt.

Von Rolf von Ameln

 

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Von am 21/06/2018. Abgelegt unter Spiegel der Zeit. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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