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Die Rolle der Frau im Reich der Nationalsozialisten – VI. und letzte Folge

Der Begriff „häusliche Gewalt“ bekam im „Dritten Reich“ noch eine ganz andere und weitreichende Bedeutung. Die Frauen, die mordeten, verübten bei sich daheim oder in der Nähe davon feige Verbrechen. Das Schießen vom Balkon des Hauses geschah am häufigsten, und zwar in Anwesenheit des Ehegatten oder jeweiligen Liebhabers. Liesel Willhaus, die Tochter eines katholischen Stahlarbeiters aus dem Saargebiet, kam im Frühjahr des Jahres 1942 mit ihrer Tochter nach Lemberg. Ihr Ziel war das Lager Janowska, in dem ihr Mann, der SS-Untersturmführer Gustav Willhaus, zum Kommandanten ernannt worden war. Sie und ihr Mann waren noch immer damit beschäftigt, sich im Nazi-System „nach oben zu arbeiten“, und wollten unter allen Umständen ihre Herkunft aus der Arbeiterklasse gegen ein neues Leben im Osten voller Macht und Reichtum eintauschen.

Frauen in der SS. Foto: Archiv

Die Beförderung von Gustav bedeutete für sie den großen Durchbruch in dieser Hinsicht. Sie inspizierte zunächst einmal das neue Zuhause.Die Villa des Ehepaares befand sich am Rande des Zwangsarbeiter- und Durchgangslagers. In einer Maschinenfabrik auf dem Gelände des Lagers waren einige ausgewählte jüdische Arbeiter beschäftigt, während die Reichsbahnzüge den Großteil der jüdischen Bevölkerung von Lemberg in die Gaskammern von Belzec deportierten. Diese Deportationen begannen im März des Jahres 1942, also zu jener Zeit, als Gustav Willhaus in Janowska eintraf. Rund 300.000 polnische und ukrainische Juden starben im Lager Janowska oder passierten es auf dem Weg in die Vernichtungslager. Somit war Janowska das größte Arbeits- und Durchgangslager für Juden in der Ukraine.

Nachdem Willhaus seinen Posten angetreten hatte, war er „als blutrünstiger Lagerkommandant“ berüchtigt. Holocaustüberlebende sprachen von ihm „als geborenen Mörder“, der ohne Zögern, aber auch ohne große Begeisterung Menschen tötete. Seine Frau erwarb sich ihren ganz eigenen Ruf, indem sie zuerst darauf bestand, die Villa zu renovieren. Sie verlangte den Bau eines Balkons im zweiten Stock, wo die Familie den Nachmittag genießen konnte. Ihr standen für alles, was sie im neuen Hause brauchte, jede Menge jüdischer Sklavenarbeiter zur Verfügung, unter anderem auch für die Arbeit im Garten. Liesel Willhaus behielt sie vom Balkon aus streng im Auge, und sie nutzte diese erhöhte Position, um auf Häftlinge zu schießen – „einfach nur zum Spaß“, wie ein jüdischer Augenzeuge aussagte. „Die Frau von Willhaus besaß ebenfalls eine Pistole. Wenn Gäste zu Besuch kamen und sie auf der großen Veranda saßen, gab sie gerne mit ihrer Treffsicherheit an, indem sie Lagerinsassen einfach nieder schoss, sehr zur Freude ihrer Gäste. Die kleine Tochter der Familie, Heike, applaudierte kräftig.“

Diejenigen, die Liesel Willhaus´ spontanen „Schießeinlagen“ zum Opfer fielen, waren oft nicht sofort tot, da sie ein Kleinkalibergewehr benutzte. Einmal feuerte sie nur einen einzigen Schuss auf einen jüdischen Arbeiter ab, der vorüberging, dabei stand ihr Mann neben ihr auf dem Balkon. An einem Sonntag im April 1943 tauchte Willhaus wieder auf dem Balkon auf, ihre Tochter neben sich, und schoss auf eine Gruppe jüdischer Arbeiter im Garten. Vier Juden sanken zu Boden und rührten sich nicht mehr. Im Sommer 1943 zielte sie auf eine Gruppe von Zwangsarbeitern etwas weiter entfernt im Lager, die beieinander standen und verschiedene Dinge tauschen wollten. Kurz darauf schoss sie während eines Appells auf Juden und zielte recht genau auf ihre Köpfe. Ermittlungen nach dem Zweiten Weltkrieg zufolge zielte sie auch auf die Herzen an Typhus erkrankter Juden und erschoss sie aus kurzer Entfernung.

Die „Villa Willhaus“ war von bizarren Widersprüchen geprägt: der gut eingerichtete bürgerliche deutsche Haushalt stand in eigenartigem Gegensatz zu den Schüssen auf die jüdischen Lagerinsassen und deren Leid. Tatsächlich war der „Schießstand“ auf dem Balkon noch eine der „sauberen“ Methoden, die das Ehepaar Willhaus und ihre Helfershelfer anwandten. Ihre Spezialität waren mehr sadistische Spektakel: öffentliche Prügel, Aufhängen, das Abtrennen von Geschlechtsteilen, ausgerissene Gliedmaßen bei Kindern.

Von links nach rechts die KZ-Aufseherinnen Marta Löbelt, Gertrud Rheinhold, Irene Haschke und Anneliese Kohlmann nach ihrer Festnahme am 2. Mai 1945 in Bergen-Belsen. Wikipedia

Fast alle Frauen von SS-Schergen, darunter auch die Gattin eines Auschwitz-Kommandanten, behaupteten nach dem Krieg, sie hätten nicht gewusst, was hinter den Mauern und dem Stacheldrahtzaun der Lager vor sich ging. Sie beharrten darauf, ihr Heim wäre ein völlig abgetrennter Ort der Normalität gewesen, wo ihre Ehemänner Zuflucht vor der „anstrengenden Arbeit“ finden konnten. Es ist einfach nicht glaubhaft, dass SS-Frauen nichts mitbekommen hatten; – und man kann auch nicht glauben, dass viele Frauen keine andere Wahl gehabt hätten, als sich an den Morden zu beteiligen. Wie wir heute wissen, waren im Wahnsinn der Ostgebiete sadistische Gewalt, häusliche Routine und intime Bürobeziehungen eng miteinander verknüpft.

So manche der verheirateten Frauen ging in den Osten, doch für ledige Frauen machte die inzestuöse, engmaschige „Volksgemeinschaft“ die ausschließlich mit Deutschen besetzten Außenposten zu wahrlichen Heiratsmärkten für ideologisch nahestehende und oftmals moralisch verdorbene Partner. Bürobeziehungen waren gang und gäbe, und sie mündeten nicht immer in die Ehe. Viele Kinder kamen außerehelich zur Welt. Solch promiskes Verhalten wurde von der Nazi-Führung nicht missbilligt, im Gegenteil, die Vermehrung der „arischen Rasse“ war eine patriotische Pflicht. Das System der Konzentrationslager und Ghettos, das üblicherweise als eigenes „Universum“ jenseits der übrigen Gesellschaft angesehen wurde, war weitaus enger in die lokalen Gemeinschaften eingebunden.

Die Vorstellung von den Lagermauern als trennende Barriere verliert so ihre Glaubwürdigkeit; – und da liegt es nahe, dass es eine wesentlich größere Anzahl an Tätern, Komplizen und Augenzeugen gab, die diese Orte einrichteten oder besuchten. An diesem mörderischen System waren mehr Menschen beteiligt, als man bei Kriegsende denken konnte, und über eine systematische Verfolgung und Ermordung von Juden und anderen „Elementen“ wussten mehr Menschen Bescheid, als man je angenommen hatte. Und dieses „mehr“ betrifft alle: Es waren mehr Frauen, mehr Männer und mehr Kinder involviert. Die viel größere Anzahl an Lagern und deren Einbindung in die lokalen Gemeinschaften unterstreichen die gesellschaftliche Dimension der Geschichte des Holocaust.

Deutsche Frauen, die freiwillig in den Osten gingen, standen sinnbildlich für die Entwicklung, die das immer größer werdende Nazi-Imperium nahm; – hin zu mehr und immer größerer Gewalt. Es waren gewöhnlich junge Frauen mit typischen Vorkriegs-Biographien, nicht nur eine kleine Gruppe fanatischer Nazi-Anhängerinnen, die in den Osten gingen und sich – unter anderem als Mörderinnen – an den Verbrechen des Holocaust beteiligten. Nach der militärischen Niederlage des „Dritten Reiches“ war die Zeit der Täter und Täterinnen vorbei: Die Vernichtungsmaschinerie der Nationalsozialisten kam zum Stillstand. Doch das Leben dieser Frauen war noch nicht zu Ende; – sie kehrten heim in die Trümmer des Reiches und versuchten mit allen Mitteln, ihre kriminelle Vergangenheit zu verbergen. Und die wenigsten wurden – wenn überhaupt – gefasst und bestraft.

Von Rolf von Ameln

Rolf v. Ameln ist Buchautor, sowie IN-Korrespondent in Deutschland und Spezialist für Themen der Zeitgeschichte. Er schreibt seit 25 Jahren für die Israel-Nachrichten.

 

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Von am 20/03/2019. Abgelegt unter Spiegel der Zeit. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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