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Wider das Vergessen: Das Jahr 1938 wurde zum Schicksalsjahr der Juden in Nazideutschland

Der „Anschluss“ Österreichs und die dortige Pogromstimmung lösten auch im ganzen „Dritten Reich“ eine extrem negative Dynamik aus. Gewalt, Terror und Vollzug verbrecherischer Gesetze und Bestimmungen dominierten ab sofort das Leben der nach Nazi-Diktion als jüdisch geltenden Bevölkerung. „Dieses Jahr wird ein hartes werden, das Rad läuft immer schneller. Es wird ein gewaltiger Anspruch an die Nerven und  an die Ruhe des Denkens..“, schrieb in bitterer Voraussicht im April 1938 Leo Baeck, Präsident der Reichsvertretung der deutschen Juden an seinen emigrierten Freund.

Seit Wochen drangen alarmierende Nachrichten aus dem „angeschlossenen“ Österreich, das nun „Ostmark“ hieß, in das „Altreich“; Juden wurden gejagt, öffentlich misshandelt und willkürlich inhaftiert, ihr Wohneigentum und Vermögen in rasantem Tempo „arisiert“. Hatte sich der Prozess der Ausgrenzung in Nazideutschland bisher über fünf Jahre erstreckt, so entwickelte sich in Österreich eine wesentlich radikalere Variante der „Judenpolitik“ in nur fünf Monaten, deren Rückwirkungen die deutschen Juden sofort spürten. „Wien beschleunigt nur unseren Sturz“, urteilte Hans Reichmann, Vorsitzender des einst mächtigen „Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens.“

Hamburger Nachrichten 1938. Foto: Archiv/RvAmeln

Hamburger Nachrichten 1938. Foto: Archiv/RvAmeln

Und in der Tat, bereits Monate vor der „Reichskristallnacht“ folgte eine neue Verordnung auf die nächste. Teils handelte es sich „nur“ um lästige Schikanen, teils aber um weitreichende Vorschriften, die noch gravierendere ankündigten: Jüdischen In- und Exportunternehmen und Zuteilungen von Devisen gekürzt oder ganz gestrichen, jüdische Firmen wurden von öffentlichen Auftragsvergaben ausgeschlossen, jüdische Gewerbebetriebe systematisch erfasst, für Privatunternehmen wie Aktiengesellschaften definiert, wenn sie als „jüdisch“ galten und hohe Strafen für „Tarnungen“ angedroht. Einzelverbote ergänzten diese generellen Bestimmungen: Jüdische Fabrikanten durften keine Volksempfänger produzieren und keine Waffen herstellen, Einkaufs-, Elektro- und Gasgemeinschaften konnten ihre jüdischen Teilnehmer ungestraft ausschließen, um nur einige der unzähligen Maßnahmen zu nennen. Staatliche Zulassungen wurden aberkannt: so durften Juden nicht mehr am Börsenhandel teilnehmen, als Auktionatoren keine Versteigerungen abhalten, als Zahnärzte nicht mehr für die Krankenkassen arbeiten und als Tierärzte nicht ausgebildet werden. Humanärzten wurde die Approbation entzogen, Rechtsanwälte wurden aus der Anwaltschaft ausgeschlossen, und nur wenige durften unter den diskriminierenden Bezeichnungen „Krankenbehandler“ beziehungsweise „Konsulent“ jüdische Patienten oder Klienten betreuen.

Damit verloren Selbständige und Freiberufler ihre ökonomische Existenzgrundlage, wie es vielen Arbeitern und Angestellten oft bereits früher ergangen war. Sie mussten von ihren Ersparnissen leben oder Wohlfahrtsunterstützung beantragen. Im April des Jahres 1938 verlangte der Nazistaat die Anmeldung der Vermögen von mehr als 5000 Reichsmark. Auch die „Sicherung“ dieser Besitztümer für den „Einsatz im Interesse der deutschen Wirtschaft“ wurde angekündigt. Eine Reihe neuer Regelungen betraf das Privatleben. Viele zielten auf die räumliche Trennung von Juden und Nichtjuden, andere bezweckten Kenntlichmachung als Juden: Namensänderungen, das heißt Eindeutschungen von Familiennamen, die nach der „Machtergreifung“ 1933 erfolgt waren, konnten nunmehr staatlicherseits rückgängig gemacht und auch auf Kosten der Betroffenen in einer Tageszeitung öffentlich angezeigt werden. Bei Getauften sollten die Personenstandsbücher künftig eine frühere Zugehörigkeit zur jüdischen Religionsgmeinschaft vermerken.

Im August 1938 stellte das Innenministerium eine Liste zusammen, die aus Sicht der Beamten die Zugehörigkeit zum Judentum sofort deutlich machten und die Betroffenen stigmatisierten. Da die deutschen Jüdinnen in der Regel keine Namen wie Nachme, Telze oder Baschewa führten und Juden nicht Osias, Abimlech oder Jerobean hießen – um einige der künftig erlaubten Vornamen zu nennen – , mussten sie zwangsweise den Zusatznamen „Sara“ oder „Israel“ annehmen – und dies auch noch selbst beim Standesamt „beantragen.“ Ebenso hatten sie bis zum Jahresende eine Kennkarte ausstellen zu lassen, wie im Juli 1938 verordnet wurde. Diese war künftig überall vorzulegen, unterstrichen durch den Hinweis  auf die „Eigenschaft als Jude bzw. Jüdin.“ Im Kubad – so wurden die Kurdirektoren angehalten – sollten den Juden andersfabige Kurkarten ausgehändigt werden. Bestimmte Anwendungen durften die Juden ohnehin nicht mehr erhalten, damit kein „Arier“ indirekten Körperkontakt mit ihnen bekäme.

1938 in Deutschland: Juden nicht erwünscht. Foto: Archiv/RvAmeln

1938 in Deutschland: Juden nicht erwünscht. Foto: Archiv/RvAmeln

Auch in den Krankenhäusern präferierte man die Unterbringung jüdischer Patienten in abgetrennten Räumen; „Arier“ und Juden sollten nicht mehr dieselben Sportplätze und Umkleidekabinen benutzen, – und schon gar nicht zusammen -, stattdessen mussten Juden Anlagen anmieten oder bereitstellen. Hatten jüdische Schüler öffentliche Schulen beim obligatorischen Flaggenappell bis dahin oft in der letzten Reihe stehen müssen, so mussten sie diesem „staatstragenden Akt“ ab dem Sommer 1938 fernbleiben. Und selbst  im Kleingartenverein durfte ein jüdischer Schrebergärtner nicht mehr neben seinem nichtjüdischen Nachbarn Unkraut jäten. Derlei Verordnungen riefen all jene Verbände, Vereine oder Clubs auf den Plan, die ihre Vorstände noch nicht von „Juden befreit“ und auch noch keinen „Arierparagraph“ in ihre Satzung aufgenommen hatten. Sie alle holten pflichtschuldigst diesen Akt nach.

Im Sommer des Jahres 1938 schreckten aber nicht nur neue Verordnungen die deutschen Juden auf: Reichsweit verhaftete die Kriminalpolizei in der so genannten „Juni-Aktion“ rund 9000 „Asoziale“ und wies sie in Konzentrationslager ein. Unter ihnen befanden sich cirka 2000 Juden, die in den Jahren zuvor meist zu Bagatellstrafen verurteilt worden waren. Viele jüdische KZ-Insassen befanden sich noch in den Lagern, als ihre während des Novemberpogroms verhafteten Glaubensgenossen eintrafen. Flankiert wurde die „Juni-Aktion“ von gewalttätigen Ausschreitungen insbesondere in der Reichshauptstadt Berlin, wo der Polizeipräsident 76 gegen Juden gerichtete kleinlichste Verwaltungsvorschriften auflisten ließ. Strebte das Naziregime eigentlich seit dem Jahre 1933 an, Juden zur Emigration zu zwingen, – möglichst ohne ihr Hab und Gut , so verschärfte er jetzt die Bestimmungen rund um die Auswanderung: Beispielsweise mussten die Auswanderungswilligen nun auf schier endlosen Listen aufführen, welche Gegenstände sie vor oder nach 1933, warum und zu welchem Preis erworben hatten; Banküberweisungen an im Ausland lebende Juden wurden erschwert oder ganz untersagt.

Im September 1938 zeigte dann das Verbot, in Nachbarländer auszuwandern, den kommenden Kurswechsel in der antijüdischen Politik an. Wenige Wochen später mussten Juden ihre Reisepässe abgeben. Auf neuen Pässen – wenn sie denn auf Antrag ausgestellt wurden – prangte das rote „J“. Die Falle hatte sich bereits vor dem Novemberpogrom fast geschlossen. Das Naziregime richtete seine Maßnahmen jedoch nicht nur gegen deutsche, sondern auch gegen ausländische Juden, die im Deutschen Reich lebten: Es wies russische Juden aus und konfiszierte ihr Vermögen; rumänische Juden standen unter steter Androhung der Ausweisung; Juden, die aus dem annektierten Österreich geflüchtet waren, wurden einfach zuückgeschickt. Als sich das Hitler-Regime am 30. September 1938 das Sudetenland einverleibte, begann auch dort der Terror gegen die jüdische Bevölkerung.

Die deutschen Juden hatten 1933 mit der „Reichsvertretung der deutschen Juden“ (später: „Juden in Deutschland.“), geleitet vom zitierten Leo Baeck, eine Interessenkoordination und ein Sprachrohr gegenüber dem Nazistaat geschaffen. Doch am 28. März 1938 hatte ein unscheinbares „Gesetz über die Rechtsverhältnisse der jüdischen Kultusvereinigungen“ die Organisation paralysiert: Die Reichsvertretung wurde über Einnahmen der Jüdischen Gemeinden finanziert, die jetzt das Recht verloren, Steuern zu erheben. Zudem wurde sie der „höheren Verwaltungsbehörde“ unterstellt, also der GESTAPO! Ohnmächtig mussten die jüdischen Repräsentanten wie Leo Baeck, Otto Hirsch, Hans Reichmann oder Paul Eppstein verfolgen, wie sich im Laufe des Jahres 1938 die antijüdische Politik radiikalisierte. Sie konnten weder die neuen Maßnahmen noch die „Juni-Aktion“ oder die Abschiebung der 17.000 polnischstämmigen Juden im Oktober 1938 beeinflussen oder gar verhindern.

Am 7. November 1938 wurde um 20:37 Uhr über DNB-Rundruf verkündet, wie über das Attentat Grynspans am deutschen Diplomaten Ernst vom Rath in Paris zu berichten sei: „Alle deutschen Zeitungen müssen in größter Form über das Attentat auf den Legationssekretär an der deutschen Botschaft in Paris berichten. Die Nachricht muss die erste Seite beherrschen.

Die Tat eines Einzelnen wurden vom Propagandaapparat des Verbrechers Goebbels zum „Anschlag des Weltjudentums auf die deutsche Volksgemeinschaft stilisiert..!“

Was folgte, war dieReichskristallnacht..!“

Von Rolf von Ameln

Redaktion Israel-Nachrichten.org

 

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Von am 28/02/2014. Abgelegt unter Spiegel der Zeit. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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