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Die Presse im Nationalsozialismus: Wie ein überzeugter Nazi Karriere machte bis zum bitteren Ende

Der Wetterbericht auf Seite 14 der „Münchner Neuesten Nachrichten“ klingt vielversprechend für einen 1. November: „Weitere Besserung“ verspricht die Vorhersage des Reichswetterdienstes den Einwohnern der bayrischen Metropole. „Schwachwindig, aufgelockerte Bewölkung, tagsüber wieder milder, trocken…“ – frisch aber schön soll es an diesem Tag an der Isar werden.

 

Dr. Giselher Wirsing dürfte an jenem Morgen nicht nur wegen der Aussicht auf einen schönen Tag im Herbst mit besonders guter Laune in das altehrwürdige Redaktionsgebäude an der Sendlinger Straße gefahren sein. Es gibt noch einen anderen, ganz persönlichen Grund: An diesem 1. November des Jahres 1938 wird der Hauptsturmführer der SS zum Hauptschriftleiter der größten süddeutschen Tradtitionszeitung ernannt, der „Münchner Neuesten Nachrichten“ (MNN). Kein Zweifel, eine steile Karriere, die der erst 31 Jahre alte Nationalökonom da hingelegt hat: Nach behüteter Jugend in einer wohlhabenden Schweinfurter Familie absolviert er ein ausgedehntes Studium in München, Königsberg, Riga, Berlin und Wien. Er schließt sich dem Kreis um die führenden „linken“ Nationalsozialisten Gregor und Otto Strasser an, promoviert 1931 in Heidelberg und verfasst 1933 das Werk „Deutschland in der Weltpolitik“, quasi seine Eintrittskarte in die erste Reihe der NS-Publizistik.

 

Auf Vorschlag des Reichsführers SS, Heinrich Himmler, wird der SS-Mann schon im Oktober 1933 Politchef der MNN. Da ist die Gleichschaltung des lange Jahre katholisch-monarchistischen Blattes mit Wurzeln im Revolutionsjahr 1848 bereits radikal vollzogen: Zwei den Nazis explizit abgeneigte Mitglieder der Redaktion kommen schon im März 1933 in „Schutzhaft“. Fast fünfzig „politisch unzuverlässige“ Mitarbeiter wie etwa der Literat Eugen Roth werden fristlos entlassen. Eine Kohorte NS-treuer Redakteure übernimmt die Zeitung. Der weitgereiste Dr. Wirsing, nebenbei nicht nur für die SS, sondern auch für den SD-Geheimdienst tätig, sorgt dafür, dass der traditionell intellektuelle Anspruch der wichtigsten süddeutschen Zeitung nun mit dem Kurs der Nazi-Diktatur in Einklang gebracht wird – wobei die breite Auslandsberichterstattung erhalten wird.

 

An diesem schönen 1. November beherrschen die Nachwirkungen der „Tschecheikrise“ die ersten Seiten des Blattes: „41. Gau der NSDAP gebildet“ vermelden die MNN aus dem Sudetenland. Hitler hatte erst Wochen zuvor während der dramatischen Verhandlungen umm das Münchener Abkommen den westlichen Premiers Chamberlain und Daladier die Gebiete der deutschen Minderheit abgepresst – ein Ergebnis auch jener Appeasement-Politik, die keine zwölf Monate Frieden mehr in Europa zeigen sollte. Schon in der Kopfzeile des MNN-Aufmachers vom 1. November 1938 lässt Hauptschriftleiter Wirsing aber noch ein anderes Ereignis aus dem Ausland anreißen: „Hörspiel verursacht Panik in den USA“ heißt es da noch recht sachlich. Auf Seite fünf, gleich neben einem langen Bericht über eine Schiffsparade zu Ehren Mussolinis, klingt es dann schon skurriler: „Marsbewohner greifen Amerika an“ steht da, ganz ohne Anführungszeichen, als handele es sich um ein erschreckendes Faktum aus der verrückten Neuen Welt.

 

Im Text suggeriert der ungenannt MNN-Autor dann über fast eineinhalb Spalten, dass das berühmte Hörspiel „Krieg der Welten“ vom 30. Oktober, dem Abend vor Halloween, die gesamte Ostküste der USA ins Chaos gestürzt habe: „Unvorstellbare Szenen“ hätten sich in New York abgespielt, aus „ganzen Häuserblocks“ hätten „entsetzte“ Bewohner in „Luftschutzkellern Zuflucht gesucht“, halb New Jersey sei auf der Flucht vor den Außerirdischen gewesen und – natürlich – auch das: „Panik im Negerviertel.“ Kein Wort über die literarische Vorlage des berühmten englischen Autors H.G. Wells, dessen schon im Jahre 1898 erschienes Werk „Krieg der Welten“ als kaum misszuverstehende Satire auf die Kolonialpolitik des britischen Empire angelegt war – nur dass die Eroberer von der Insel plötzlich zu Opfern der Intervention mutierten. Nichts über den aufstrebenden Orson Welles, der das ganze Opus genialisch zu einer fiktiven Reportage aus Grover´s Hill (New Jersey) nahe New York uminszeniert hatte und damit in der Tat heftige Irritationen bei vielen Radiohörern auslöste. Und schon gar keine kritische Beleuchtung des phänomenalen Medienechos auf diese wohl berühmteste Premiere des Genres Science-Fiction in den Massenmedien – geschildert wird nur die „friedliche Stimmung“ bei „gutgläubigen Ameikanern“, die urplötzlich einem „Herd des Grauens“ zum Opfer fallen.

 

Münchner Neuest Nachrichten

 

Immerhin, wer in Dr. Wirsings Blatt zu diesem Thema zwischen den Zeilen lesen kann und will, erhält im gleichen Artikel postwendend die Erklärung für die höchst boulevardeske, so gar nicht MNN-konforme Aufbereitung der Ereignisse: Sie passt wunderbar ins nationalsozialistische Weltbild jener Tage. „Sensationsjournalisten“ seien ja ohnehin ständig mit der „Mystifikation“ einer „Bedrohung Amerikas durch fremde Invasion“ beschäftigt, heißt es in Spalte zwei der Geschichte. Und dann geht es ganz explizit: „Waren es bisher in der Hauptsache die Hitleristen und Faschisten, sind es jetzt gar die Marsbewohner, mit denen man un schreckt“, so heiße es in den USA. Will sagen: Seit Präsident Roosevelt schon im Jahre 1937 unter großem öffentlichen Zuspruch mit Blick auf Hitler vom „Regime des Schreckens und der Gesetzlosigkeit“ gesprochen hatte, das die Welt bedrohe, seinen die USA der Hysterie verfallen – Endergebnis: die fiktive Marsinvasion. Und das, wo doch der „Führer“ gerade erst in München in Sachen Sudetenland so deutlich seine Friedensabsichten bekundet habe – zynischer geht es kaum. Dazu passt der kleine Schlussabsatz in der dritten Spalte der berichterstattung, in der von angeblicher „Schadenfreude“ in Großbritannien über die amerikanische Panik erzählt wird: Auf der Insel habe man schon im Jahre 1926 schlechte Erfahrungen mit einem Hörspiel über den Einbruch „von feindlichen Kriegsscharen in Whitehall“ gemacht.

 

„Nun ist das gleiche Missgeschick der amerikanischen Hörerschaft widerfahren“, höhnt der Londoner MNN-Korrespondent. Worum es hier wirklich geht, hat kein Geringerer als Joseph Goebbels in seinem Tagebuch notiert. Nach der Lektüre des Bandes „Der maßlose Kontinent“, in dem Giselher Wirsing die Eindrücke einer USA-Reise aus dem Jahre 1938 schildert, urteilt der Reichspropagandaminister über die Schilderungen seines Münchener Vasallen: „Wirsing gibt hier eine Darstellung des amerikanischen Lebens, der amerikanischen Wirtschaft, Kultur und Politik. Das Material, das er zusammenträgt, ist wahrhaftig erschütternd. Roosevelt ist einer der schwersten Schädlinge der modernen Kultur und Zivilisation. Wenn es uns nicht gelänge, die Feindseite, die sich aus Bolschewismus, Plutokratie und Kulturlosigkeit zusammensetzt, endgültig zu schlagen, dann würde die Welt der dunkelsten Finsternis entgegengehen.“

 

Dr. Giselher Wirsing sorgt bis zum Untergang des „Dritten Reichs“ für helle Freude bei seinen Berliner Vorgesetzen: Er steigt zum SS-Sturmbannführer auf, leitet eine Propagandakompanie an der Ostfront und übernimmt nach zweijähriger Mitarbeit im Februar des Jahres 1945 die Redaktionsleitung bei „Signal“, der Auslandsillustrierten des Oberkommandos der Wehrmacht. In diesen letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges soll er überdies eine wichtige Rolle für das Reichssicherheitshauptamt spielen: Als Lesevorlage für Hitler, Himmler und weitere Spitzen der Diktatur fertigt er Lageberichte auf der Grundlage des SD-Spionagenetzes – „Egmont-Berichte“ heißen diese fünfzehn-Seiten-Konvolute, die bis zum märz 1945 regelmäßig erscheinen. Daheim im zerstörten München stellen die MNN im April 1945 ihr Erscheinen ein. Die amerikanischen Streitkräfte erreichen die Stadt am 30. des Monats – einem der wärmsten, die es in den Frühlings-Wetteraufzeichnungen der bayrischen Metropole je gegeben hat.

 

„Hauptschriftleiter“ Dr. Giselher Wirsing wird auch unter ganz anderen gesellschaftlichen Vorzeichen einer der führenden deutschen Journalisten bleiben. Nach der Kapitulation Nazi-Deutschlands heuert der anglophile Ex-SS-Sturmbannführer in amerikanischer Kriegsgefangenschaft offenbar beim US-Geheimdienst an und kann bereits 1946 die amerikanische Zone bereisen. Ein Entnazifizierungsverfahren endet im Jahre 1948 mit einer lächerlichen Geldstrafe von 500 Reichsmark..!!! Im gleichen Jahr ist Wirsing einer der Mitbegründer der evangelisch-konservativen Wochenzeitung „Christ und Welt“, 1954 steigt er zu deren Chefredakteur auf und bleibt es bis 1970!

 

Die „Münchner Neuesten Nachrichten“ werden im Oktober 1945 als „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) unter Lizenz der amerikanischen Militärregierung wiedergegründet. Der Lokalteil der SZ behält den traditionellen Titel bei!

 

Von Rolf von Ameln

 

Redaktion Israel-Nachrichten.org

 

 

 

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Von am 12/08/2014. Abgelegt unter Spiegel der Zeit. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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