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Israel in den 1950er Jahren: Ein Staat in den Kinderschuhen

Staatsverfassung und Staatsordnung, „Jedes Abweichen von Palästina wäre eine Art Götzendienst!“ (Chaim Weizman)

Das Grundgesetz: Die Grundlage des israelischen Staates bildet die Proklamation der provisorischen Regierung vom 14. März 1948. Darin hießt es: „Der Staat Israel wird auf den Prinzipien von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden basiert sein, wie sie die hebräischen Propheten lehrten; er wird die volle soziale und politische Gleichberechtigung aller Bürger ohne Unterschied der Rasse, des Glaubens oder des Geschlechtes aufrecht erhalten und wird volle Freiheit des Gewissens, des Glaubens, der Erziehung und der Kultur garantieren.“ Gemäß dieser Proklamation ist Israel eine nach westlichen Grundsätzen ausgerichtete Demokratie, die ihren Bürgern individuelle Freiheiten garantiert. Israel besitzt nach britischem Vorbild keine geschriebene Verfassung. Die wichtigsten staatsrechtlichen Belange sind in einigen Gesetzesakten niedergelegt. Staatsoberhaupt ist ein vom Parlament auf fünf Jahre gewählter Präsident, dessen wichtigste Funktion neben der rein dekorativen Bedeutung darin besteht, nach Anhören der Parteiausschüsse ein Mitglied des Parlaments für die Bildung einer Regierung zu ernennen. Chaim Weizman war bis zu seinem Tode im Jahre 1952 erster Präsident Israels. Danach hatte Isaak Ben Zwai dieses Amt inne. Die Regierung besteht zurzeit aus einem Premier und fünfzehn Ministern.

Parlament und Parteien: Alle Staatsgewalt geht in Israel von der Knesseth aus. Dieses 120köpfige Einkammerparlament wird alle vier Jahre durch Volkswahl nach den Vorschlägen der verschiedenen Parteien gewählt. Die Knesseth behandelt alle wichtigen Gesetze und verabschiedet das Budget. Seit dem Juli 1955 amtet die dritte Knesseth. Ihr Vorsitzender war bis zu seinem Tode Ende Januar 1959 Joseph Sprinzak. Er stand im Range dem Premierminister gleich; Sprinzak hatte dieses Amt seit der Staatsgründung inne und galt als die Seele des israelischen Parlaments. Die wichtigste Partei des Landes, der Ben Gurion und acht weitere Minister angehören, ist die Mapai, eine rechtsstehende Arbiterpartei, welche die marxistische Doktrin mit individueller Freiheit zu verschmelzen sucht und planwirtschaftliche Tendenzen verfolgt.

Zusammen mit der von ihr beherrschten Histadruth und der Jewish Agency bildet sie das eigentliche rückgrat des Staates. In der dritten Knesseth verfügt die Mapai über ein Drittel der Sitze. Sie kann daher nur noch mit Hilfe der Koalition regieren.Zwei weitere Arbeiterparteien, die Mapam und die Achduth Ha´avoda-poalej Zion, welche zusammen über neunzehn Sitze verfügen, sind ebenfalls in der Regierung vertreten. Beide Gruppen setzen sich für weitergehende Sozialisierungsziele ein, insbesondere für die Kollektivisierung von Grund und Boden. Außenpoltisch verfechten diese beiden Linksparteien eine neutralistische Linie zwischen den beiden großen Machtblöcken. Für die absolute Mehrheit im Parlament fehlen den Sozialisten noch zwei Sitze, weshalb die Mapai genötigt ist, ihre Koalition auch noch nach rechts zu erweitern.

Sie tat dies durch Einbeziehung der Progressiven, einer linksbürgerlichen Gruppe, welche beschränkte, liberale Tendenzen verfolgt und fünf Sitze im Parlament innehat. Bis zum Jahre 1958 gehörte auch die Nationalreligiöse Partei zur Regierungskoaltion. Sie stützt ihre Politik auf Thora und Talmud und wacht über die Einhaltung der mosaischen Gesetze in der Öffentlichkeit. In der Knesseth verfügt sie über elf Sitze. Die religiöse Front hat einen maßgebenden Einfluss auf das öffentliche Leben in Israel. Eheschließung und Scheidung sind den Rabbinatsgerichten unterstellt. Das Eherecht der Thora beruht auf jahrtausendealten, mit der modernen Zeit nicht mehr in Einklang stehenden religiösen Vorschriften und kennt zahlreiche Ehehindernisse.

Das israelische Parlament war daher gezwungen, „die Frau, die öffentlich als Gattin bekannt ist“, gesetzlich zu schützen, also die Konkubinatsehe trotz des Widerspruchs der religiösen Front anzuerkennen. Die gesamte Regierungskoalition verfügt ohne die Religiöesen über vierundsechzig Sitze im Parlament; der Opposition verbleiben sechsundfünfzig. Die Oppostition umfasst neben den Religiösen folgende Gruppen: Die Cheruth, „Freiheitsbewegung“, geht aus den früheren Terroristen-Organisationen der Irgun, Zwai Leumi und der „Sternbande“ hervor und vertritt die extrem nationalen Forderungen auf Integrität des historischen „Erez Israel“, also die Eroberung von Restpalästina samt Transjordanien. Ihre zunehmende Bedeutung ergibt sich aus der Erhöhung ihrer Sitzzahl von acht auf fünfzehn.

Es bleibt noch die bürgerliche Partei der Allgemeinen Zionisten, dreizehn Sitze, welche die konservative Bevölkerung vertritt und sich als einzige Partei vorbehaltlos für eine freie Wirtschaft und für die Privatinitiative einsetzt. Die marxistisch-leninistische Internationale vertritt die K.P. Israels, die Maki. Sie verfügt über sechs Parlamentssitze. Die arabische Minderheit ist in drei kleinere Parteien aufgespalten, welche zusammen fünf Vertreter in die Knesseth entsenden und in wirtschaftlicher Hinsicht unterschiedliche Ziele verfolgen. Die Parlamentswahl erfolgt nach dem Proporzsystem. Ben Gurions Versuch, die Knesseth zu einer Wahlrechtsreform im Sinne des Mayorzes zu bewegen, scheiterte, weil die kleinen Parteien, die zusammen eine Mehrheit bilden, bei einem Wahlmodus nach britischem Muster um ihre Existenz bangten.

Weitere staatliche Institutionen: Die richterliche Gewalt ist von der Exekutive formal getrennt. Die höheren Richter werden durch den Staatspräsidenten ernannt. Ein hoher Gerichtshof mit Sitz in Jerusalem, drei Distriktgerichte, siebzehn Magistratsgerichte und zahlreiche Rabbinatsgerichte sind für das Rechtswesenn zuständig. Israel kennt den Posten eines Staatskontrolleurs, der durch den Präsidenten auf Empfehlung eines Parlamentsausschusses für fünf Jahre ernannt wird und der Knesseth direkt verantwortlich ist. Er prüft die Staatsrechnung sowie alle Handlungen der Ministerien und lokalen Verwaltungen auf Gesetz und Rechtmäßigkeit. Israel ist ein zentralistisch verwalteter Einheitsstaat mit sechs internen Verwaltungsbezirken. Die örtliche Administration besetht aus 20 Gemeindeverwaltungen, 82 lokalen und 48 regioalen Räten, welche insgesamt 653 Dörfer betreuen. Auch die Araber haben in ihren Ortschaften eine beschränkte kommunale Selbstverwaltung.

Die jüdischen Führer: Sechzehn Monate lang weilte David Ben Gurion in einem primitiven Holzhaus bei Sdeh Boker als Schafhirt in der Negew-Steppe, wobei er es nicht unterließ, seine umfangreiche Bibliothek, je eine Büste des griechischen Philosophen Plato und des Moses von Michelangelo, nebst einer Anzahl von Buddah-Statuen und eine ganze Reihe althebräischer Thora-Rollen mitzunehmen. Als er am 21. Februar 1952 erstmals wieder mit der altgewohnten aggressiven und kampflustigen Sprechweise vor die Knesseth trat, wurde er mit 74 gegen 22 Stimmen als Sicherheitsminister neu bestätigt. Eine Woche später erfolgte der Angriff auf die ägyptische Garnison in Gaza, wobei 38 Ägypter getötet und 30 verletzt wurden. Ben Gurion, heute wieder Ministerpräsident und Kriegsminister, ist alles andere als ein Kompromissler und gilt als gewiegter Taktiker, nicht nur im Hinblick auf seine innenpolitischen Rivalen, die er geschickt gegeneinander ausspielt, sondern ebenso in außenpolitischer Hinsicht. Als Führer der Mapai hat er die stärkste Partei des Landes hinter sich. Ben Gurion regiert in Israel härter als jeder andere europäische Staatschef. Sein Einfluss in der Knesseth ist weitaus größer als der Konrad Adenauers im Deutschen Bundestag. Ben Gurion ist der uneingeschränkte anerkannte und konkurrenzlose Führer, nicht nur das Symbol seiner Partei, sondern ganz Israels.

Obwohl der zeitweilige Ministerpräsident und langjährige Außenminister Mosche Schareth über große diplomatische Fähigkeiten verfügt, hat der aktive Ben Gurion diesen Cunctator nicht mehr neben sich ertragen. An seine Stelle trat die profilierteste Frau des neuen Israel, Golda Meir, 1898 in Kiew geboren und 1906 bereits nach USA emigriert. 1921 wanderte die heutige Außenministerin nach Palästina ein, wobei sie die ersten Jahre als Landwirtschaftsarbeiterin auf einer Kollektivfarm verbrachte, dann in die Adminitration der Histadruth hinüberwechselte, wo sie mehr und mehr an Einfluss gewann. Nach der Gründung des Staates Israel wurde sie im August 1948 erste israelische Botschafterin in der Sowjetunion; – seit 1948 ist sie Mitglied der Regierung. Unter den weiteren Politikern von Format wäre noch Levi Eschkol, der Finanzminister und Mitbegründer der Histadruth, zu erwähnen. Es ist bezeichnend, dass alle politischen Führer des neuen israelischen Staates „Russen“ sind; Ostjuden, die in einem russischen Ghetto aufwuchsen und zum Teil schon sehr frühzeitig, die meisten mit der zweiten Alija, nach Israel auswanderten: Weizman, Ben Zwai, Ben Gurion und viele Minister.

Von Rolf von Ameln

 

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Von am 13/10/2015. Abgelegt unter Spiegel der Zeit. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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