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Stille kann man sich wünschen – Taubheit nicht

Da ist die Stille mitten in der Nacht, wenn kein Vogel mehr singt, kein Motorenlärm mehr stört, keine menschliche Stimme mehr zu hören ist. Die Welt scheint in solchen Sekunden stillzustehen, aus der Zeit gefallen zu sein. Man kann von dieser absoluten Stille aufwachen. Sie entspricht nicht der Norm. Manch einer wartet dann auf ein „erlösendes Lebenszeichen“. Der Hund, der irgendwo bellt, der Partner, der leise schnarcht, das Kind, das kurz weint, ohne dabei aufzuwachen. Diese kleinen Geräusche sind wohltuend, die Norm ist wieder hergestellt.

Zur Bedeutung des Schweigens im Judentum und in anderen Religionen habe ich hier eine spannende Textstelle gefunden.

„Während der Aufrechte sein Lob durch gesprochenes Gebet artikuliert, der Gerechte durch stummes Bewegen der Lippen, beim Frommen sich das Wort nicht von der Zunge löst, verbirgt der Heilige als Verstehender seine Anbetung im Inneren: “Wenn ein Mensch den höchsten Verstehensgrad erreicht hat, ist er zum Stillesein gezwungen.““Im Buddhismus

weist das Schweigen in einer anderen Weise über die Sprache hinaus. Die buddhistische Dialektik zwingt zum Überwinden des logischen Denkens. Erst im unauflöslichen Widerspruch flackert die Wahrheit auf, und im Vollzug des Schweigens kommt die Erleuchtung zur Vollendung. Diese Zenerfahrung selbst widersetzt sich jedem rationalen Zugriff.

Die Stille, der sich der selbst ernannte Asket aussetzt, bringt ihn ganz zu sich. Den freiwilligen Rückzug aus der Gemeinschaft hält nicht jeder aus. Schweigeorden, wie die Trappisten oder Kartäuser erlauben das Gespräch nur in wenigen Ausnahmefällen. Sogar das Essen wird, ausser an den Feiertagen nicht gemeinsam eingenommen.

Auch die Freimaurerei kennt in ihrem Aufnahmeritus den Moment des Schweigens und der Stille. Bekannt wurde dieses Detail durch die Zauberflöte. Prinz Tamino wird von den Priestern für die Dauer der Prüfungen, die ihn schlussendlich gemeinsam mit Pamina in den Tempel der Weisheit bringen mit einem Schweigegebot belegt, wiederum mit dem Ziel, ganz und gar bei sich und seinen Zielen zu sein.

Jeder gesunde Mensch, der sich freiwillig einem solchen Schweigen unterwirft, kann es jederzeit beenden. Seine Fähigkeit zu hören und zu sprechen wird auch von einer längeren Zeit der Stille nicht nachhaltig geschädigt.

Manchmal tut es auch einfach gut, sich aus der Menge der Reize, die unaufhörlich auf uns einprallen zurückzuziehen. Akustische und optische Reize stellen die beiden intensivsten Reizquellen dar. Weil das Gehirn für jeden Reiz eine eigene „Schaltzentrale“ hat, gibt es in der Regel keine Überforderung, auch wenn es einmal in der Disco zu laut oder zu grell-blitzend ist. Es ist nicht die Menge der Reize, die uns überfordert, es ist der Reizkonsum. Aber dem kann man manchmal nicht ausweichen.

Bei Autisten verläuft die Grenze zwischen gerade noch erträglichen Reizen und nicht mehr erträglichen Reizen hauchzart.

Autisten haben sich ihr Problem sicher nicht selber ausgesucht, für sie ist der Alltag ein einziger Kampf gegen das Unausweichliche. Ihr Überlebensmechanismus ist der Rückzug in eine nur ihnen bekannte und erschlossene Welt.

Ganz anders ergeht es Menschen, die seit Geburt taub und stumm sind.

Sie haben sich weder die Stille noch das Schweigen um sich herum freiwillig ausgesucht, es ist nicht krankheitsbedingt, noch können sie es jederzeit beenden.

Allein die Zuschreibung, „stumm“ zu sein, implizierte in früheren Gesellschaften oft stumm = dumm. Als stumm, im Sinne von kommunikationsunfähig sieht sie heute nur der Mensch an, der die Gebärdensprache nicht beherrscht. Der also „gebärdensprachbehindert“ ist.

Menschen, die seit der Geburt taub sind und nicht das Glück hatten, entsprechende Schulungen bereits im frühesten Kindheitsalter zu erhalten, fehlt die Fähigkeit zu hören und sinnvolle wortbildende Tonfolgen zu bilden. Sie können lesen, sie können schreiben. Eine in normalem Sprechtempo geführt Konversation ist so trotzdem nicht möglich. Eine sinnvolle Alternative stellt das Erlernen der Gebärdensprache dar.

Es gibt durchaus auch Kinder, die sofern der Hörnerv in der frühen Fetalperiode (bis zum 3. Monat) angelegt wurde, nach der Geburt ihre Hörfähigkeit entwickeln. Sollte dies nicht der Fall sein, diskutiert man in der Fachwelt bereits eine Operation innerhalb des ersten Lebensjahres. Das wäre dann innerhalb jenes Zeitraumes, in dem der Spracherwerb vor sich geht. Für die OP im Kleinkindalter gibt es zwei Zeitfenster. Das erste liegt zwischen dem 8. und 9. Lebensmonat. Langzeitstudien haben ergeben, dass sich bei einer signifikant hohen Zahl an Babys und Kleinkindern durch diese Unterstützung die Hörfähigkeit und damit auch der Spracherwerb normal entwickeln und auf eine weitere Unterstützung verzichtet werden kann. Das zweite Zeitfenster endet im Alter von in etwa 3 ½ Jahren. Dabei muss klar sein, dass, je länger dem Gehirn akustische Reize vorenthalten werden, je grösser die Gefahr der anhaltenden Taubheit ist.

Bei der Cochlea Implantation, wird in einer in etwa zweistündigen Operation unter Vollnarkose eine Innenohr Prothese eingesetzt. Der externe Teil besteht aus Mikrofon, Sprachprozessor, Spule und Akku. Der implantierte Teil besteht aus Spule, Signal (Sprach) Prozessor mit Stimulator und stimulierenden Elektroden. Die beiden Spulen werden mit Magneten fixiert.

Über das Mikrofon erhaltene akustische Signale werden mittels Sprachprozessor in elektrische Signale umgewandelt. Anschliessend werden die Signale an den innenliegenden Sprachprozessor weitergeleitet. Dieser gibt sie an einen Elektrodenträger weiter, der in der Hörschnecke (Cochela) platziert wurde. Die Elektroden üben eine stimulierende Wirkung auf den Hörnerv aus. Als Resultat entsteht im Gehirn ein Höreindruck.

Für Menschen, die noch nie in ihrem Leben gehört haben, ist das ein überwältigendes Erlebnis, das neben dem Glück, diese Erfahrung zu machen auch Angst auslösen kann. Die Reizüberflutung muss Angst und Schrecken auslösen.

Deshalb ist es auch von grösster Bedeutung, dass möglichst unmittelbar nach der Implantation mit der Reha und dem Hörtraining begonnen wird. Das Gehirn muss es erst langsam lernen, die Reize den entsprechenden Regionen zuzuordnen und dort zu verarbeiten. Dazu muss es aber auch erst lernen, verschiedene Geräusche zu unterscheiden.

Je jünger die Patienten, desto schneller wird der Lernprozess ablaufen.

Die zweite grosse Lernaufgabe ist es, Worte, die dem Patienten durchaus bekannt sind, mit den entsprechenden Lauten zu verbinden, also das zu tun, was ein Kleinkind mühelos tagtäglich leistet.

Eine Operation ohne Nachbetreuungskosten kostet in etwa € 20.000,–

Derzeit unterziehen sich 17 palästinensische Kinder aus Gaza sowie aus Yehuda und Samaria im Hadassah Krankenhaus in Jerusalem dieser Operation, die ihr Leben verändern wird. Ermöglicht wurde die Behandlung durch das Peres Peace Center. Dieses vom verstorbenen Präsidenten Shimon Peres ins Leben gerufene Zentrum soll palästinensischen Kindern in medizinischen Notfällen helfen.

Sechs der 17 kleinen palästinensischen Patienten haben die OP bereits hinter sich. Bei einigen mussten die Einreisepapiere erst durch das israelische Verteidigungsministerium ausgestellt werden, nachdem keinerlei Ausweise vorhandeln waren.

Die Kinder kamen ohne jeglichen Arztbrief. Sie mussten zunächst in Jerusalem völlig durchgecheckt werden, um sicherzustellen, dass ihr Allgemeinbefinden eine OP zuliess.

Für die Kinder hat sich eine neue Welt aufgetan. Noch werden sie für einige Zeit in einer Reha Klinik bleiben müssen, bis sie genug sprachliche Sicherheit haben, um sich allein im Alltag zurechtfinden zu können.

Von Esther Scheiner

 

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Von am 02/03/2017. Abgelegt unter Israel. Sie knnen alle Antworten zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0. Kommentare und pings sind derzeit geschlossen.

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